Katja Riemann über "Jeder hat. Niemand darf"

Ein Buch, das Hoffnung machen soll

16:16 Minuten
Porträt von der Autorin und Schauspielerin Katja Riemann, 28.02.2020.
Von der Hoffnung, die die vorgestellten Projekte wecken, "durchblutet werden": Das wünscht Katja Riemann Leserinnen und Lesern ihres Buchs. © picture alliance / Geisler-Fotopress / Sven Ganz
Moderation: Frank Meyer · 30.03.2020
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Seit Jahren engagiert sich die Schauspielerin Katja Riemann in verschiedenen Organisationen für Menschenrechte und gegen Gewalt und Armut. Was sie bei der Projektarbeit erlebte, beschreibt sie in ihrem Buch "Jeder hat. Niemand darf".
Katja Riemann ist als Schauspielerin eine feste Größe in der deutschen Fernseh- und Kinolandschaft. Was viele nicht wissen: Riemann engagiert sich seit Jahren auch für Demokratie, Menschenrechte und eine offene Gesellschaft.
Sie unterstützt unter anderem UNICEF und Amnesty International und engagiert sich in verschiedenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) für den Kampf gegen Kinderarmut, Menschenhandel, Zwangsprostitution und die Beschneidung junger Mädchen in Afrika.
Für ihren Einsatz erhielt sie 2010 das Bundesverdienstkreuz am Bande – und hat nun mit "Jeder hat. Niemand darf" ein Buch über die Erfahrungen ihrer Projektarbeit geschrieben.

Direkt, humorvoll, auf Augenhöhe

Es sind Projekte in verschiedenen afrikanischen Ländern, in Moldawien, das als ein Zentrum des Menschenhandels gilt, aber auch in ihrer Heimatstadt Berlin, wo Riemann Ehrenamtliche in der Obdachlosenhilfe unterstützt.
Im Stil beschreibend, sehr direkt, durchaus humorvoll und weit davon entfernt, sensationslüstern auf die vielen Konfliktherde dieser Welt herabzublicken, möchte die Schauspielerin mit ihrem Buch vor allem die Aufmerksamkeit auf jene lenken, die mit großem Engagement gegen Gewalt und Diskriminierung kämpfen.
"Ich möchte, dass man das Buch gerne liest", sagt die Riemann. Die Leser sollten von der Hoffnung, die die vorgestellten Projekte wecken, "durchblutet werden".

Wie Maison Shalom Kinder rettete

Im Gespräch schwärmt sie von Aktivistinnen wie der burundischen Entwicklungshelferin Marguerite Barankitse. Die engagierte Frau, selbst Angehörige der in Ruanda verfolgten und ermordeten Tutsi, rettete im Bürgerkrieg zwei Dutzend Kinder und gründete in Burundi das Kinderheim Maison Shalom.

Sie vernetzte sich dafür mit zahlreichen Bildungseinrichtungen weltweit, Tausende Kinder bekamen seither ein neues Zuhause und eine Ausbildung. "Was sie dort aufgebaut hat, ist Weltklasse!", betont Riemann.
Als in Burundi selbst der Bürgerkrieg wiederaufflammte, floh die regierungskritische Barankitse nach Ruanda – und baute dort ein neues Kinderheim auf. "Das ist doch Wahnsinn", sagt Riemann. "Die Menschen sind von Ruanda nach Burundi geflüchtet. Und jetzt flüchten sie von Burundi nach Ruanda. Wir müssen doch aufhören damit! Und die Humanitären können nicht diese Welt befrieden oder retten und all diese Not lindern. Und sie heißen ja – das muss man sich klarmachen – Nichtregierungsorganisationen, weil sie das übernehmen, was die Regierungen nicht leisten, obwohl sie es leisten könnten, wenn sie nur wollten."
(mkn)

Katja Riemann: "Jeder hat. Niemand darf. Projektreisen"
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020
400 Seiten, 24 Euro
Eine Leseprobe finden Sie hier.


Das Interview im Wortlaut:

Frank Meyer: Katja Riemann, die kennen Sie bestimmt als Schauspielerin, zum Beispiel aus Margarethe von Trottas Film "Rosenstraße" oder aus Katja von Garniers "Bandits" oder aus "Fack ju Göhte" von Bora Dagtekin – unvergesslich ihre Klebstift-Schnüffeleinlagen da als Schuldirektorin. Katja Riemann ist auch Autorin, sie hat Kinderbücher geschrieben, ein musikalisches Hörspiel für junge Menschen, und jetzt gibt es von ihr ein neues, ein sehr beeindruckendes Buch: "Jeder hat. Niemand darf." heißt das.
Vor zwei Wochen war Katja Riemann hier bei uns im Funkhaus für ein Gespräch über das Buch – das war am Anfang der Coronakrise, da haben wir noch ganz anders geredet als heute –, und ich hab sie da zuerst gefragt: Katja Riemann, Sie erzählen von den Reisen, die Sie für Unicef und andere Hilfsorganisationen unternommen haben, seit 20 Jahren engagieren Sie sich schon auf diesem Gebiet. Wie hat das eigentlich angefangen, dieses Engagement?
Der Publizist Roger Willemsen
Der Publizist Roger Willemsen gab den Stoß zu dem Buch, das Katja Riemann ihm gewidmet hat. © picture-alliance/Ulrich Baumgarten
Katja Riemann: Das war ganz unspektakulär. Ich bin angerufen worden von einer Dame von Unicef, weil sie jemanden händeringend suchten für eine Fernsehschau, also jemand, der präsentiert, ein Projekt aus Westafrika, Senegal, gemeinsam mit der Initiatorin dieser lokalen NGO, Nichtregierungsorganisation namens Molly Melching. Da ging es um das Thema Mädchenbeschneidung, und sie fanden niemanden. Und dann hat wohl irgendjemand gesagt, frag mal die Riemann, die macht das ja vielleicht, und so war es dann auch. So lernte ich eben die großartige Molly Melching kennen, mit der ich bis heute befreundet bin. Die hat mir einfach wahnsinnig viel beigebracht über humanitäre Arbeit.
Meyer: Sie haben sich da richtig reingekniet, sind Unicef-Botschafterin, Sie unterstützen Amnesty International, die Hilfsorganisation Plan International. Sie haben auch schon für dieses Engagement das Bundesverdienstkreuz bekommen. Jetzt erzählen Sie am Anfang dieses Buches in einer Aufblende, wie es überhaupt dazu gekommen ist, als müssten Sie erklären, warum Sie dieses Buch geschrieben haben.
Riemann: Das stimmt, das hab ich aus verschiedenen Gründen gemacht. Zum einen war es mir irgendwie wichtig zu sagen, dass es nicht meine Idee war, dieses Buch, sondern das war die Idee vom Fischer-Verlag. Zum anderen war es mir wichtig, meinem Freund Roger Willemsen hier zu ehren, weil er war der erste Auslöser, weil er mich eingeladen hat zu dem Literaturfest, das er kuratiert hat viele Jahre, zehn Jahre lang in Mannheim, und sagte: Wollen wir nicht einen Abend machen über deine menschenrechtliche Arbeit, davon wissen doch viel zu wenige Leute.
Meyer: Das war kurz vor seinem Tod, Sie haben ihm das Buch auch gewidmet.
Riemann: Genau, und den Abend musste ich dann eben alleine machen, weil er zehn Tage davor starb.

Maggy Barankitse aus Burundi

Meyer: Jetzt erzählen Sie von Ihren Reisen, das ist eigentlich nur zum Teil richtig, weil eigentlich erzählen Sie vor allem von den Menschen, die Sie treffen auf Ihren Reisen. Ich hatte jetzt die schwierige Aufgabe, auszusuchen, über wen wir hier reden.
Riemann: Gott sei Dank hatte ich die nicht.
Meyer: Ich hab mich mal für Maggy Barankitse, aus Burundi entschieden, mit der fangen Sie Ihr Buch auch an. Können Sie uns von ihr erzählen, was hat Maggy Barankitse getan in Burundi?
Riemann: Marguerite genannt Maggy Barankitse ist Tutsi, Katholikin, und was man vielleicht vorher sagen sollte, ist, dass der Genozid, von dem die meisten Menschen hoffentlich wissen, der in Ruanda stattgefunden hat zwischen diesen beiden Ethnien – also die Hutus, die versucht haben, die Tutsis auszulöschen sozusagen –, der hat sich ja fortgesetzt dann in den Ostkongo als auch nach Burundi.
Ich bin in allen drei Ländern gewesen, und Maggy hat halt immer versucht, Frieden zu stiften zwischen diesen Ethnien, weil sie sagt, das ist schwache Politik, die uns in diese Situation gebracht hat. Sie hat in einer Diözese gearbeitet und erlebte eben ein Massaker, was vor ihren Augen ausgeführt wurde, wo 72 Menschen, mit denen sie sowohl gearbeitet hat als auch, die partiell ihre Freunde waren, in kleine Stücke gehackt wurden.
Sie hat es aber geschafft, mit den 600 Leuten, die Ruyigi überfallen haben, mit Gewalt im Gepäck oder Rache, hat sie geschafft zu verhandeln, angesichts des Todes sozusagen, damit die 25 Kinder, die sich dort auch befanden, gerettet werden würden. Das ist ihr gelungen. Und so hat sie gesagt, ich muss etwas tun für diese Kinder, und hat angefangen, ein Kinderheim zu bauen – das hat sie Maison Shalom genannt – und hat die Kinder durch den ganzen Krieg betreut, insgesamt 20.000 Kinder.
Aber auch nach dem Krieg ging es weiter, und es waren fast 30.000 Kinder, die sie ihre eigenen Kinder nennt und die sie begleitet hat bis in die Welt hinein. Und was sie dort aufgebaut hat in Ruyigi – ich durfte es mir ja angucken. Da schlackert man mit den Ohren. Mit einem Krankenhaus und einer riesigen Schule und mit Universitäten in Europa sind die über Skype in Kontakt, dass die Studenten an den Lesungen teilnehmen dürfen, damit sie dann studieren können, Medizin oder Jura oder Ingenieurswissenschaften. Und dann kommen die alle wieder zurück und arbeiten weiter mit Maggy, ihrer Ziehmutter sozusagen. Also was die da aufgebaut hat, das ist Weltklasse.
 Die Schauspielerin und Unicef-Botschafterin Katja Riemann (r) trifft in Bujumbura Maggy Barankitse, Leiterin der Hilfsorganisation Maison Shalom. 
Die Schauspielerin mit Katja Riemann traf in Burundi mit Maggy Barankitse, Leiterin der Hilfsorganisation Maison Shalom, zusammen.© picture-alliance/Zentralbild/ Tom Schulze
Meyer: Und dann gibt es aber eine ganz bittere Wendung, also all das, was sie da aufgebaut hat – 2015 gab es einen Krieg in Burundi selbst dann, da wurde all das zerstört und Maggy Barankitse musste selbst fliehen aus dem Land, musste sich in Sicherheit bringen.
Riemann: Ja, ist nach Ruanda gegangen, ins Exil.
Meyer: Wie hat sie das verkraftet, wie hat sie weitergemacht?
Riemann: Sie hat dann tatsächlich weitergemacht mit über 60 Jahren und hat das Maison Shalom Rwanda gegründet, und dort ist das Thema die Geflüchteten. Ich meine, es ist doch Wahnsinn, oder? Die Menschen sind von Ruanda nach Burundi geflüchtet, und jetzt flüchten sie von Burundi nach Ruanda. Wir müssen aufhören damit.
Und die Humanitären können ja nicht diese Welt befrieden oder retten oder all diese Not lindern. Und sie heißen – das muss man sich auch noch mal klarmachen, warum – Nichtregierungsorganisationen, weil sie das übernehmen, was die Regierungen nicht leisten, obwohl sie es leisten könnten, wenn sie es nur wollten. Die machen dort Dinge, da stand ich immer wieder vor Projekten und dachte, boah, das ist ja eine tolle Idee, warum haben wir so was nicht – um dann kurz innezuhalten und zu realisieren, dass wir so was schon seit den 50er-, 60er-Jahren natürlich haben: Strafmündigkeit, Kinderheime – bei uns bringt mit zwölfjährige Kinder nicht in ein Männergefängnis.
Meyer: Was Sie erlebt haben unterwegs.
Riemann: Natürlich. Das ist mir wichtig, noch mal zu betonen, warum das so heißt. Die Arbeit der NGOs geht immer nur in Kooperation mit den Regierungen. Da wo man die krassen Diktaturen hat, gibt es keine NGOs.

Menschenhandel in Moldawien

Meyer: Sie sind viel in Afrika unterwegs gewesen, erzählen von ganz verschiedenen Ländern, auch ganz verschiedenen Problemlagen in Afrika. Sie waren aber auch in unserer Nachbarschaft eigentlich unterwegs, in Europa in Moldawien. Da fliegt man genauso lange hin wie nach Mallorca zum Beispiel, was ja viele kennen als Distanz. Jetzt geht es bei dieser Reise um ein Problem – wenn man davon zum ersten Mal liest, denkt man, das gehört aber in eine ganz andere Zeit oder in eine andere Weltgegend –, es geht nämlich um Menschenhandel.
Riemann: Ja, Trafficking.
Meyer: … in Moldawien. Mit welchen Menschen wird denn da gehandelt?
Riemann: Mit Frauen, mit Mädchen, mit Kindern. Die werden verkauft in die Zwangsprostitution. Warum? Weil man Menschen öfter verkaufen kann, ein Päckchen Drogen nur einmal. Aufgrund der Umstände, in denen speziell in Moldawien auf dem Land Mädchen groß werden mit einer wahnsinnigen Perspektivlosigkeit, sind die leichte Opfer. Weil da kommt jemand ins Dorf mit einer Sonnenbrille und einem Handy und einem schicken Auto und sagt, hey, willst du vielleicht in Moskau arbeiten, in einer Bar oder in einer Fabrik. Dann kommst du hier raus, ich hab ein Ticket für dich, ein Zugticket. Und das machen die. Man kann es ihnen auch gar nicht verübeln.
Klar würde man sagen, was ist das für eine hohe Naivität, aber wenn du nicht weltgewandt bist, weil du die Welt niemals gesehen, erlebt oder davon berichtet bekommen hast, dann ist dieses Verführen sehr schnell da. Und keiner erzählt dir, klärt dich auf über die Gefahr, die damit einhergeht. Die Mädchen kommen auch hierher, sehr gerne, auch nach Berlin oder nach Schweden oder nach Italien, nach Israel, Tschechien.
In diesem Fall war es jetzt – an dem Beispiel, was ich genannt habe – Moskau. Und sie kommt dann an am Bahnhof und wird abgeholt, dann wird sie in eine Wohnung gebracht, da sind dann schon 20 andere Mädchen. Und in derselben Nacht werden sie dann vergewaltigt und an Freier verkauft oder dann noch mal wieder an ein anderes Ehepaar, und die verkaufen sie dann auch wieder, weil damit kann man viel Geld machen, mit diesen Mädchen.
Meyer: Die Hilfsorganisationen, die Sie unterstützen, die kümmern sich um diese Frauen, wenn sie nach Moldawien zurückkommen, kümmern sich um Wohnungen für sie, um ihre Kinder, auch um Schutz vor einer erneuten Verschleppung. Es gibt ein Kapitel in diesem Buch, da geht es nicht um Reisen, da geht es um Deutschland, und deshalb wollte ich von Katja Riemann wissen, warum wollten Sie denn in dem Buch auch von Deutschland erzählen?
Riemann: Weil ich finde, dass man nicht immer nur auf die anderen zeigen sollte, sondern auch schauen muss, wo kommen wir denn her. Veränderung fängt immer bei sich selbst an und vor deinem eigenen Vorgarten sozusagen. Das eine ist natürlich so ein bisschen der Versuch zu erzählen, was geht so ab, wie ich das wahrnehme, die Situation in Moabit. Da bin ich halt gewesen damals, als das erste Mal so viele Geflüchtete kamen.
Meyer: Im Jahr 2015?
Riemann: Genau. Und da hab ich mich halt so ein bisschen rumgetrieben und mit Leuten gesprochen.
Meyer: Da muss man erklären, in Moabit war die zentrale Anlaufstelle für Geflüchtete in Berlin, wo sich viele geballt haben damals, wo auch ganz schwierige Umstände dann herrschten für die Leute.
Riemann: Genau, ich bin auch nach Eisenhüttenstadt gefahren – darüber schreibe ich allerdings nicht – in die Erstaufnahme, weil ich das einfach begreifen wollte, was da los geht. Und warum ich das sage: Ich fuhr also nach Moabit, einem Stadtteil in Berlin, und kam nachts um halb drei zurück in meinen Stadtteil und dachte, ich sei tatsächlich von einer Projektreise zurückgekommen. Aber das, was mir wesentlich ist in diesem Deutschlandkapitel, ist ganz sicherlich die ehrenamtliche Arbeit, die Geflüchtete für Deutsche machen, das gibt es nämlich auch. Ich würde mal denken, mehr Integration ist gar nicht möglich, oder?
Meyer: Das stimmt. Sie erzählen auch von einem tollen Typen, Alex am Alex. Wer ist Alex und was macht er am Alex, also am Alexanderplatz in Berlin?
Riemann: Alex ist natürlich auch nicht sein richtiger Name, er kommt aus Syrien. Den habe ich kennengelernt wegen einem Preis, den die Staatssekretärin Sawsan Chebli auslobte: "Farben bekennen", wo es einen Aufruf gab für all die Geflüchteten, die sich bundesweit ehrenamtlich engagieren in allen möglichen Dingen.
Er war unter den letzten fünf und war im Roten Rathaus und sagte: 'Ich war in den Gefängnissen vom IS in Libyen und ich dachte, ich sterbe, ich werde sterben. Und dann kam ich nach Deutschland, und Deutschland hat mich gerettet. Und ich ging durch Berlin und ich sah Obdachlose und dachte, es kann nicht sein, in Deutschland gibt es keine Menschen, die auf der Straße leben.' Er sah dann aber, dass es sich anders darstellte, und begann jeden Freitag einzukaufen von seinem wirklich bescheidenen Taschengeld, was er hatte, und hat einen Topf Suppe gekocht – vegetarisch übrigens – und hat es am Alex verteilt an die Reisenden, Wandernden, Obdachlosen und die Menschen, die auf der Straße leben.
Das hat mich ziemlich beeindruckt. Und er sagte: 'Für den Fall, dass ich jetzt hier gewinnen sollte, dann würde ich mir ein Auto kaufen, weil dann kann ich auch noch woanders hinfahren, weil dann muss ich nicht mehr mit der U-Bahn.' Und da habe ich mich gemeldet und gesagt, ich hab ein Auto, ich kann euch fahren, wenigstens das.
So haben wir uns kennengelernt, und ich bin dann halt zu ihm und seiner Freundin und hab zugeguckt, wie die gekocht haben, und mit dann mit ihm da hin und durfte dann eben auch mal mitmachen und hab so ein bisschen was gefilmt und hab dann halt die Erlaubnis bekommen, darüber zu schreiben. Das war wirklich schwer beeindruckend, zumal Alex sich bis heute komplett unabhängig macht – weil da kommen manchmal Leute und sagen, danke für eure Arbeit, das ist so großartig, wir möchten das unterstützen, dürfen wir euch Geld geben. Da sagt er Nein.
Meyer: Nimmt kein Geld für seine Arbeit?
Riemann: Nein. Da kamen Leute, die haben richtig viel Geld ihm gegeben, die haben richtig gesammelt und so, die waren auch ganz verärgert, dass er es nicht nahm. Aber er sagte, nein, ich will unabhängig bleiben. Es ist mein Geld, es ist das Ding, was ich mache, und die anderen können ihr Geld gerne woanders spenden. Das finde ich toll, aber nicht, dass mir irgendwann was vorgeworfen werden würde oder wie auch immer.

Im Geist durchblutet

Meyer: Ihr Buch, das hat mich auch so gepackt, weil Sie so eine direkte Art zu erzählen gefunden haben. Man merkt es auch ein bisschen, wie Sie jetzt hier im Studio. Es ist unsentimental, es ist ungekünstelt, wie Sie erzählen. Der Soziologe Harald Welzer hat ein Nachwort geschrieben zu Ihrem Buch, er spricht da manchmal von Ihren schnoddrigen Einschüben, die Sie machen würden – ich weiß nicht, ob Ihnen das gefällt als Formulierung. Warum haben Sie das auf diese Weise erzählt?
Riemann: Um niemals die gegenüber zu viktimisieren oder herabzuschauen. Das hat mit Würde zu tun. Das verbindende Glied ist auf jeden Fall die Direktheit und der Humor und sicherlich Empathie. Wir müssen uns nicht schlecht fühlen aufgrund der Gunst des Geburtsortes, wir müssen uns deswegen aber auch nicht besser fühlen.
Meyer: Haben Sie denn mit diesem Buch auch eine Vorstellung oder Hoffnung, was dieses Buch auslösen könnte bei den Leserinnen und Lesern?
Riemann: Erst mal freue ich mich, dass Menschen mein Buch kaufen, das ist eine völlig neue Erfahrung. Jetzt ist natürlich gerade so eine bisschen schwierige Zeit, weil alles abgesagt wird. Nein, ich würde mir wünschen, dass man das Buch gerne liest und dass es einen bereichert und dass diese komischen Ängste, wo man sagt, ach, das kann ich gar nicht lesen, das ist so schrecklich, wo ich so denke, warum eigentlich, warum will man Sachen nicht wissen.
Ich erzähle niemals so, dass ich sensationslüstern über Grausamkeiten schrieb, überhaupt nicht. Das versuche ich immer zu vermeiden, weil das auch überhaupt niemals der Ansatz von Humanitarians ist. Zweimal musste ich darüber erzählen – man weiß, worum geht es überhaupt, was ist die Situation, die prekäre Situation, und was sind die Projekte dazu, die sich darum bekümmern. Das ist eben die Vergewaltigung als Kriegsinstrument im Ostkongo und Mädchenbeschneidung.
Aber ansonsten ist der Schwerpunkt immer da, was wird gemacht, was versuchen wir hier zu bewegen. Und wenn Sie mich fragen, was wünschte ich mir, dann ist es das, dass man es liest und nicht hoffnungsunfroh ist, sondern so ein bisschen durchblutet wird. Durchblutet wird auch im Geist, zu sagen: Mensch, komm, wir schließen uns zusammen, wir versuchen, Sachen zu bewegen. Und es beginnt immer, es beginnt immer, immer, immer mit dem ersten Gedanken und dem Bewusstsein, dem Sich-nicht-verschließen, dem Bekanntmachen, was vorher unbekannt war, weil ich tatsächlich glaube, dass darin eben auch ganz viel Rassismus steckt. Das Unbekannte wird zu etwas stilisiert, was möglicherweise auch die Verantwortung trägt für dein eigenes Leben.
Meyer: Ich kann schon mal für mich sagen als Leser, was Sie vorhatten mit dem Buch, bei mir hat es funktioniert. Es ist unglaublich ansteckend, was Sie erzählen von Leuten, die sich mit so unfassbarer Energie einsetzen für andere und mit wie viel Mut und Fantasie sie das oft auch tun. Und was ich auch wichtig fand, dass Sie auch darüber schreiben, was Sie auch mitnehmen und was man erfährt, wenn man mit solchen Menschen zusammenkommt, die so Menschlichkeit leben. Das war für mich ganz bereichernd, davon zu lesen in dem Buch "Jeder hat. Niemand darf." von Katja Riemann, mit einem Nachwort von Harald Welzer.
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