Katholische Kirche in Kroatien

Zwischen Zurückhaltung und Engagement für Flüchtlinge

Ein Zug mit Flüchtlingen an der kroatisch-slowenischen Grenze in Sredisce ob Dravi.
Ein Zug mit Flüchtlingen an der kroatisch-slowenischen Grenze in Sredisce ob Dravi. © afp/GOMOLJ
Von Martin Sander · 21.02.2016
Kroatien wird immer noch von vielen Flüchtlingen auf der Suche nach einem sicheren Wohnort durchquert. Wie werden die Fremden wahrgenommen, wie verhält sich die katholische Kirche zu ihnen, der in Kroatien offiziell 87 Prozent der Bevölkerung angehören?
Šid - eine Kleinstadt ganz im Westen Serbien an der Grenze zu Kroatien. Die kroatische Regierung hat hier einen Zug mit acht ausgedienten Waggons für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt. Wenn sich vor dem Bahnhof von Šid achthundert oder mehr Menschen eingefunden haben, werden sie nach einer Polizeikontrolle in den Zug gelassen. Ein- oder zweimal am Tag - bei Bedarf auch häufiger - fährt der Zug ohne Zwischenhalt ins hundert Kilometer weiter westlich gelegene Slavonski Brod und kommt zurück.

Nur wer krank ist, bleibt länger

In Slavonski Brod hat die Zagreber Regierung im November auf einem stillgelegten Industriegelände ein Übergangslager eröffnet - für ungefähr 5000 Flüchtlinge. Das Lager ist umzäunt und wird von Polizisten bewacht. Der Zug fährt auf einem alten Industriegleis direkt ein. Die Stadtbewohner bekommen nichts davon mit, wenn die Flüchtlinge aussteigen, in beheizten Zelten mit Wasser, Getränken und Lebensmitteln versorgt werden und sich registrieren lassen. Für die allermeisten von ihnen geht es schon nach wenigen Stunden weiter - im nächsten Zug direkt nach Slowenien. Nur wer krank ist, bleibt länger im Lager oder wird, falls nötig, im Krankenhaus von Slavonski Brod behandelt.
"Jetzt hatten wir ein paar Geburten in den vergangenen Tagen. In einem solchen Fall bleibt die Familie in einem dafür eingerichteten Container, bis die Mutter imstande ist weiterzufahren."
Die Studentin Iva Raguž leitet eine Gruppe von Freiwilligen des Jesuit Refugee Service, einer Einrichtung für Flüchtlingshilfe der katholischen Kirche. Iva Raguž, Jahrgang 1989, kann sich daran erinnern, wie in ihrer Kindheit der Jugoslawienkrieg in Kroatien wütete. Über die Flüchtlingsfamilien, die derzeit fast alle aus Syrien, Irak oder Afghanistan nach Europa kommen, sagt sie:
"Diese Menschen wissen, dass sie in ihrer Heimat sterben würden. Sie haben nichts zu verlieren. Kein normaler Mensch würde doch ein Kind von zwei oder drei Monaten oder nur einer Woche auf eine Reise mitnehmen, bei der die Überlebenschancen unter 50 Prozent liegen. Sie versuchen es trotzdem."

Alle Menschen - Brüder und Schwestern

Organisationen wie der seit dem Jugoslawienkrieg der 90er-Jahre in der Region sehr aktive Jesuit Refugee Service und Einzelpersönlichkeiten der katholischen Kirche Kroatiens setzen sich seit Bestehen der Balkanroute für Flüchtlinge ein. Besonders engagiert hat sich etwa die Ordensschwester Vesna Zovkić - nicht nur durch ihre humanitäre Hilfe in Slavonski Brod, sondern auch durch öffentliche Auftritte. Zovkić verkündete immer wieder, in einer Situation wie der gegenwärtigen seien alle Menschen Brüder und Schwestern. Da gebe es keinen Unterschied zwischen Katholiken und Muslimen - in einem Nationalstaat wie Kroatien nicht für alle Katholiken eine Selbstverständlichkeit.
Emina Bužinkić, Migrationsforscherin und Aktivistin des Zentrums für Friedensforschung in Zagreb sieht bei allem Respekt vor der Flüchtlingsarbeit der Katholiken auch wesentliche Schwachstellen bei der Kirche:
"Solche Stimmen wie die von Vesna Zovkić hat man unter den Hierarchen der katholischen Kirche Kroatiens nie gehört. Einer von ihnen, zudem ein Theologieprofessor, hat am Tag der Menschenrechte, dem 10. Dezember 2015 erklärt, dass der katholische Glaube zwar die Grundlage für Solidaritätsbekundungen biete. Es sei aber vom staatlichen Standpunkt aus sehr wichtig, auf die Sicherheit zu achten und die Republik Kroatien vor Terrorismus zu schützen. Das ist wohl kein religiöser Diskurs."
Ähnlich sieht es Tvrtko Barun, ein junger Priester. Barun arbeitet in der kroatischen Hauptstadt Zagreb für den Jesuit Refugee Service. Er setzt sich besonders für die wenigen Flüchtlinge ein, die sich in Kroatien um Asyl bemühen. Barun formuliert vorsichtig:
"Offiziell deckt sich der Standpunkt der kroatischen Kirche mit den Bemühungen von Papst Franziskus um die Rechte von Flüchtlingen und Migranten. Man plädiert also für Offenheit, für eine Unterstützung der Flüchtlinge. In der Praxis sind die Bischöfe eher zurückhaltend. Sie sorgen sich um die Sicherheit des Landes und um den religiösen Einfluss des Christentums."

Neue Herausforderungen für kroatische Katholiken

Die Zurückhaltung der katholischen Hierarchen gegenüber Migranten aus Afrika und Asien erklärt Barun mit Besonderheiten der kroatischen Gesellschaft.
"Vor einigen Tagen habe ich in Čakovec im Norden Kroatiens gepredigt. Da sagte ich: Seht mal, unter uns hier haben wir keinen einzigen schwarzen Menschen. Aus historischen Gründen sind unsere Kultur, unser Staat und auch unsere Kirche ziemlich verschlossen. In Zagreb gibt es zum Beispiel - abgesehen von 50 Asylberechtigten - 39 Schwarzafrikaner. Und die Menschen haben Vorbehalte, weil sie die fremde Kultur und Religion nicht kennen."
Womöglich werden sie sie bald besser kennenlernen. Zwar wollen fast alle Flüchtlinge weiter nach Deutschland. Doch sollten Deutschland, Österreich oder Slowenien ihre Grenzen für Flüchtlinge schließen, blieben unter Umständen Tausende in Kroatien zurück. Aus der Flucht über die Balkanroute könnte ein Asyl in Kroatien werden. Dann stünden die kroatischen Katholiken vor neuen Herausforderungen.
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