Katalonien

Klinkenputzen für die Unabhängigkeit

Menschen demonstrieren am 30. September 2014 auf dem Rathausplatz von Gerona in Katalonien gegen das Verbot des Referendums über die Unabhängigkeit der Region von Spanien durch das Verfassungsgericht.
Nachdem das Verfassungsgericht das geplante Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens verboten hat, kam es zu Demonstrationen. © picture alliance / dpa / EFE/ Robin Townsend
Von Julia Macher · 13.10.2014
Obwohl Katalonien schon eine gewisse Autonomie von der spanischen Regierung hat, setzt sich eine Bewegung für die vollständige Unabhängigkeit der Region ein. Nach schottischem Vorbild machen die Befürworter mit einer Tür-zu-Tür-Kampagne mobil.
Samstagvormittag in Badalona, einer Industriestadt nördlich von Barcelona. In kleinen Gruppen plaudernd stehen rund tausend Menschen auf dem platanengesäumten Platz. Helfer hieven Kartons auf Klapptische: Material für die Tür-zu-Tür-Kampagne "Ara és l'hora – Es ist an der Zeit". Organisiert wird dies von der Bürgerbewegung "Assemblea Nacional", der Speerspitze der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung.
"Wir wollen herausfinden, was die schweigende Mehrheit will, von der alle reden",
sagt Laia Casulà, eine Informatikerin Mitte 30. Zweifler und Unentschlossene will sie von der Unabhängigkeit überzeugen.
Gemeinsam mit ihrem Vater Miquel reiht sich Laia in die Schlange vor den Klapptischen ein, nimmt Adresslisten, Stadtplan und Fragebögen entgegen.
"Seid höflich und nett - und vergesst die Frage nach der E-Mail-Adresse nicht",
gibt ihnen ein Helfer mit auf den Weg. Dann gehen Miquel und Laia in Richtung Fußgängerzone. Badalona ist eine der wenigen katalanischen Kommunen, in denen die konservative spanische Volkspartei Partido Popular den Bürgermeister stellt. Trotzdem hängen aus vielen Fenstern die Sternchen-Fahnen der Unabhängigkeitsbewegung. Auch aus dem Haus, das ganz oben auf der Adressliste steht.
Das Versprechen: Mehr Geld durch Unabhängigkeit
Laia liest der Hausherrin Eva die sechs Fragen aus ihrem Katalog vor: Ein unabhängiges Katalonien wird mehr Geld haben, so die erste Hypothese. Soll es in das Gesundheitssystem, in die Bildung oder in den Wohnungsbau fließen? Zweite Hypothese: Ein unabhängiges Katalonien kann das politische System von Grund auf neu gestalten. Was ist dabei das Wichtigste: Mehr Transparenz? Bekämpfung der Korruption? Niedrigere Politikergehälter?
Eva nickt zustimmend, sie muss nicht überzeugt werden mit dem Frage-Antwort-Spiel der Unabhängigkeitsaktivisten. Dann stutzt sie kurz und macht bei Frage 6 ein Kreuzchen bei: Ja, ich werde am 9. November abstimmen. Was aber, wenn die katalanische Regionalregierung die Befragung verbieten muss, weil das Verfassungsgericht dies so anordnet?
"Wenn es keine Befragung gibt? Dann gehen wir trotzdem wählen, oder? Vielleicht in einer inoffiziellen Abstimmung oder so... Oder wir gehen auf die Straße! Irgendetwas müssen wie ja machen, oder?"
Viele offene Fragen – auch bei Befürwortern
Miquel und Laie nicken, natürlich wollen sie nicht aufgeben. Wenn weder ein Volksentscheid, noch eine Befragung erlaubt sind, dann gibt es in Katalonien vielleicht einen Regierungswechsel und irgendwann eine einseitige Unabhängigkeitserklärung. Und dann?
"Die Lage ist kompliziert",
resümiert Laia. Den Satz wiederholt sie an diesem Vormittag noch häufiger. Bei einem Architekten, der eine sachliche Debatte vermisst. Bei der Besitzerin des Keramik-Geschäfts, der die wirtschaftlichen Folgen nicht geheuer sind.
"Ich will die Unabhängigkeit, aber da sind noch viele Fragen offen. Ob wir in der EU bleiben, den Euro behalten, was wir mit dem Geld tun, mit den Schulden? Ich will einen Wandel für Katalonien, aber davor ich will mehr wissen."
Miquel klingelt sich vergeblich durch ein Mehrfamilienhaus. Das Fenster im vierten Stock schließt sich sofort. Nein danke, kein Interesse, heißt es aus dem zweiten.
"Ich glaube das sind Leute, die neutral oder gleich ganz gegen eine Unabhängigkeit sind. Wir machen, was wir können, um sie zu überzeugen."
Verhärtete Fronten
Dann öffnet sich doch noch die gläserne Eingangstür.
"Na, wollt ihr mich überzeugen",
fragt spöttisch ein graumelierter Herr im Anzug.
"Wählen wollen wir", ruft eine Anwohnerin,
"Was für ein Blödsinn", schimpft der Mann auf dem Weg zum Aufzug. "Bei einer Unabhängigkeit verlassen alle Unternehmen, alle Banken das Land mit wehenden Fahnen".
Die Fronten sind verhärtet in Katalonien, der Dialog unmöglich. Da helfen auch keine Tür-zu-Tür-Kampagnen seufzt Miquel.
Verbot der Abstimmung könnte noch mehr Menschen mobilisieren
Nach drei Stunden sind alle Adressen abgeklappert. Laia und Miquel gleichen die Listen mit den ausgefüllten Bögen ab. Gut zwei Drittel haben mitgemacht, Tendenz: Pro-Unabhängigkeit. Das liegt an Madrids Unnachgiebigkeit, meint Laia:
"Unter meinen Kinderfreundinnen war ich früher die einzige 'Indepe', die einzige für die Unabhängigkeit, inzwischen gehen alle mit mir zu Demos. Wir hören immer nur Nein, nein, nein aus Madrid – natürlich wird man da radikaler."
Wenn es beim Verbot der Abstimmung am 9. November bleibt, dann schließen sich noch mehr Katalanen der Unabhängigkeitsbewegung an. Aus Trotz, meint Laia. Sie legt mit Miquel die ausgefüllten Bögen in einen großen Karton, der auf dem Klapptisch steht. Was damit nun passiert, bleibt unklar.
Ein Stimmungsbild liegt in dem Karton, und vielleicht eine Diskussionsgrundlage für einen neuen Staat Katalonien. Irgendwann.
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