Katalonien

Erste Verlage verlassen Barcelona

Ein Blick in den Lesesaal der Universität von Barcelona
Auf einen Boom der katalanischen Literatur wartet das Feuilleton bisher vergebens. © imago/ecomedia/robert fishman
Von Julia Macher · 31.10.2017
Die Urteile in der Verlagswelt sind hart und klar: Die Politik in Barcelona und Katalonien sei von "Ressentiments begleitet" - "eine katalanische Nabelschau". Und das führt zu Abwanderungen. Die Folge, so das Urteil, ist nicht etwa Identitätsgewinn, sondern Kulturverlust.
Montserrat Caballé und Freddy Mercury schmettern nicht von ungefähr so optimistisch ihre Hymne: Barcelona, Heimatstadt von Gaudí und Co. Sehnsuchtsort von Kreativen und Kulturschaffenden aus aller Welt. Um sich stolz und selbstbewusst zu zeigen, dazu hat Barcelona noch nie eine Unabhängigkeitserklärung gebraucht. Man hat hier schon immer als eigentliche Hauptstadt betrachtet. Als Kulturhauptstadt nämlich.
Zumindest bis jetzt. Denn inzwischen läuft Barcelona Gefahr sein kulturelles Renomée zu verspielen. Als Konsequenz einer eindimensionalen Politik, sagt Miquel Molina, Kulturjournalist und einer der Chefredakteure der katalanischen Tageszeitung La Vanguardia: "Man hat die Kultur auf Sprache und Traditionen, auf Volkskultur, reduziert und alles andere darüber vergessen: In der Kunstwelt hat Katalonien seine Bedeutung verloren. Das Galeriensystem ist nicht effizient, die Museen sind unterfinanziert, es gibt keine großen Ausstellungen und im Vergleich zu Madrid schwächelt das Theater."

Verlagsgruppe verlässt Barcelona

Offensichtlichster Beweis: Vor zwei Wochen verlegte die Verlagsgruppe Planeta ihren Geschäftssitz von Barcelona nach Madrid. Wegen der rechtlichen und politischen Unsicherheit. Mit seinen 47 Verlagen und einem Jahresumsatz von 1,8 Milliarden Euro hat Planeta Barcelona zur Verlagshauptstadt Spaniens gemacht. Auch wenn die Mitarbeiter bleiben und der Entschluss angesichts der sich ständig wandelnden Szenarien nicht definitiv sein muss: In der Statistik hat Barcelona seine Führungsrolle eingebüßt. Das Selbstwertgefühl der Stadt sei angeknackst, sagt Molina, doch die Politik nehme keine Notiz davon:
"Bis vor kurzem waren auch die nationalistischen katalanischen Regierungen stolz darauf, dass Barcelona Verlagshauptstadt der spanischsprachigen Welt war. Aber seit sich die Positionen so radikalisiert haben, ist das zu einem Randthema verkommen. Für alle, die mit dem Verlagswesen zu tun haben, ist der Weggang der Verlagsgruppe fürchterlich, aber weder der ehemalige Kultur- noch der Wirtschaftsminister haben sich dazu geäußert."
Planetas Weggang ist nicht der einzige Schaden des Katalonienkonflikts. Beatriz Moura, ehemalige Chefin des Verlagshauses Tusquets beklagt schon seit Jahren eine vom "Ressentiment begleitete, katalanische Nabelschau", die den Blick auf den Reichtum einer geförderten Zweisprachigkeit verbaue.

Briefe von Kundera oder Duras? - Nun eben in Madrid

Das Archiv des 1969 gegründeten Verlags geht demnächst an die Spanische Nationalbibliothek in Madrid. Die katalanische Nationalbibliothek habe kein Interesse gezeigt, so Moura:
"Für mich war es ein ganz logischer Schritt ein Archiv mit so einem katalanischen Namen wie Tusquets der katalanischen Nationalbibliothek anzubieten. Hier in Katalonien bin ich schließlich zur Verlegerin geworden. Aber ich musste sechs Monate auf eine Antwort warten. Die Nationalbibliothek in Madrid hat aber sofort gemerkt, was für einen Schatz ich habe: handschriftliche Briefe, Notizen von Milan Kundera, von Margerite Duras – und sie haben sofort jemanden hierher geschickt."
Die literarische Welt und Kataloniens unabhängigkeitsbewegte Politiker – sie scheinen nicht auf bestem Fuß miteinander zu stehen. Dabei hat der Katalonienkonflikt mit seinen vielen überraschenden Wendepunkten, den mediengerecht inszenierten theatralischen Gesten, eine starke literarische Komponente.

Kurz nach dem Referendum bereits Museumspläne

Für Jorge Carrión, Schriftsteller und Literatur-Dozent an der Universidad Pompeu Fabra, ist der "Prozess", wie der Kampf um die Unabhängigkeit in Katalonien genannt wird, ein Musterbeispiel fiktiver Politik:
"Die Politik ist zum Storytelling verkommen. Es geht darum, ikonographische Bilder zu schaffen. Nach dem Referendum hat das katalanische Fernsehen aus der absurden und fürchterlichen Polizeigewalt quasi in Echtzeit einen Mythos geschaffen. Die Kulturverwaltung hat wenige Tage später bereits Dokumente und Zeugenberichte für ein künftiges Museum gesammelt. Das sind ganz bewusst konstruierte Erzählungen."
Es ist die einzige große Kulturleistung der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung, sagt Carrión. Denn trotz des steten Wachsens der Unabhängigkeitsbewegung: auf einen Boom der katalanischen Literatur wartet das Feuilleton bisher vergebens, trotz des Gastauftritt Kataloniens auf der Frankfurter Buchmesse 2007. Es sei bemerkenswert, sagt Carrión, dass auf den Kundgebungen der Unabhängigkeitsbewegung Lluis Llachs noch aus der Franco-Zeit stammende Widerstandshymne "L'Estaca" gesungen werde: Die kulturellen Referenzen im Jahr 2017 seien die gleichen wie vor 30, 40 Jahren. Auch in der intellektuellen Debatte hätten sich die Schriftsteller bisher nicht hervorgetan – bis auf wenige Ausnahmen: Etwa Sergi Pàmies, der vor einer Trivialisierung des Exils durch Carles Puigdemonts extravagante Brüsselreise warnte.

Langes Warten auf den Boom der katalanischen Literatur

Als Farce bezeichnet Carrión diese jüngste Volte des Katalonien-Dramoletts. Doch bei aller Empörung über die Theatralik seiner Politiker, ernsthafte Konsequenzen für seine Stadt fürchtet der katalanische Schriftsteller nicht. Bemerkenswerter als der Weggang Planetas sei die Tatsache, dass andere große Häuser wie Randhom House sich bisher unberührt gezeigt hätten.
"Ich hoffe, dass jetzt wieder Ruhe einkehrt und dass wir die Arbeit von Generationen Verlegern, Buchhändlern, Literaten nicht einfach in die Luft sprengen. Barcelona ist Unesco-Literaturstadt. Meine Studenten kommen aus der ganzen Welt, eben weil das die Stadt von Verlegern Carme Balcells und Carlos Barral war, weil hier Schriftsteller wie Eduardo Mendoza, Enrique Vila-Matas, Juan Marsé und Quim Monzó wohnen."
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