Kasachstan

Stalins Frauen-Gulag Alzhir

Die Gedenkstätte "Alzhir" in der kasachischen Steppe
"Stalin war ein Verbrecher" - Kasachstan arbeitet seine Gulag-Geschichte auf © Deutschlandradio / Gesine Dornblüth
Von Gesine Dornblüth · 06.05.2015
Stalins "Großer Terror" erreichte 1937 seinen Höhepunkt: 1,5 Millionen Menschen wurden verhaftet, die Hälfte davon sofort erschossen, die anderen kamen ins Gulag. Unter anderem ins Frauenlager Alzhir in Kasachstan, das heute eine Gedenkstätte ist.
Das Akmolinsker Lager für Frauen von Heimatverrätern, abgekürzt "Alzhir", wurde mitten in der Steppe errichtet. Die Bäume an der Straße sind noch kahl, in den Wipfeln bauen Krähen ihre Nester. Bis auf ein paar Häuser braunes Gras, vereinzelt Tümpel, Schneereste soweit das Auge reicht. Im Winter fallen die Temperaturen auf bis zu minus 50 Grad. Direktorin Raisa Zhaksybajewa führt durch die Gedenkstätte.
"Am 3. Dezember 1937 befahlen Beria, Stalin und Jeschow, in Kasachstan dieses Frauenlager zu eröffnen. Schon einen Monat später kamen die ersten 50 Frauen mit kleinen Kindern an."
Ein Eisenbahnwaggon erinnert an die Frauentransporte nach Kasachstan. Lebensgroße Puppen liegen auf nackten Holzpritschen. Fotos zeigen lange Baracken. In einer Ecke ist ein Verhör nachgestellt. Der Ermittler sitzt, breitschultrig und in Uniform, hinter einem Schreibtisch, die Frau, einen weiteren Beamten im Rücken, in Rock, Wattejacke, Kopftuch auf einem Schemel. Darüber ein Banner: "Für die Heimat, für Stalin".
"Schauen Sie, wie hoch der Stuhl ist, die Füße der Frau reichen nicht auf den Boden. Nach 5, 6 Stunden Verhör musste sie in Ohnmacht fallen."
Über Stalins Tod hinaus blieb das Lager in Betrieb
Die Frauen blieben bis zu zehn Jahre in dem Lager. Ihr einziges Vergehen: Ihre Männer, Söhne, Väter oder Brüder waren beim Sowjetregime in Ungnade gefallen und als sogenannte Volksfeinde verhaftet worden. Ihre Kinder wurden den Frauen im Alter von drei Jahren abgenommen. Die Frauen mussten zwölf bis 14 Stunden am Tag arbeiten, unter anderem in einer Näherei. Wie viele an Hunger starben, ist unbekannt. Es waren viele.
Eine nachgestellte Szene mit Figuren zeigt, wie Frauen ihre Kinder weggenommen wurden.
Den inhaftierten Frauen wurden ihre Kinder weggenommen.© Deutschlandradio / Gesine Dornblüth
Das Frauenlager Alzhir wurde 1956, drei Jahre nach Stalins Tod, geschlossen, die Insassen rehabilitiert. Die Baracken blieben zunächst stehen. Der benachbarte Ort Akmol wuchs, Zugezogene nutzten sie als Wohnunterkünfte. Auch die Museumsdirektorin Raisa Zhaksybajewa hat in den 1980er Jahren noch in einer Häftlingsbaracke gewohnt. Sie kam als Lehrerin nach Akmol.
"Als wir noch zur Sowjetunion gehörten, war es verboten, über das Lager zu sprechen. Aber die Geschichte war trotzdem bekannt. Zumal in unserem Ort auch drei ehemalige Insassinnen des Lagers gelebt haben, die nach der Schließung hiergeblieben sind. Ebenso drei ehemalige Wachmänner. In der Sowjetunion wurde generell nicht über Repressionen geredet. Wir haben erst damit begonnen, als Kasachstan unabhängig wurde."
Damals, Ende der 80er Jahre, im Zuge der neuen Offenheit, kamen ehemalige Insassinnen auf das Lagergelände, brachten Gegenstände, die sie aus der Gefangenschaft aufbewahrt hatten.
Eine andere Gedenkkultur als in Russland
So entstand zuerst ein kleines Museum. 2007 dann, zum 70. Jahrestag des sogenannten "Großen Terrors" unter Stalin, ordnete Kasachstans Staatspräsident Nursultan Nasarbajew an, an der Stelle des Lagers mit staatlichen Geldern eine offizielle Gedenkstätte zu errichten. In große Marmorwände wurden die Namen der Häftlinge eingemeißelt. Ein Torbogen symbolisiert das Leid der Frauen. Schulklassen besuchen die Anlage, und gelegentlich auch ausländische Staatsgäste, wie kürzlich die Gattin des türkischen Präsidenten Erdogan.
Diese Gedenkkultur unterscheidet Kasachstan von Russland. Dort wurde die einzige Gedenkstätte, die an authentischem Ort an die stalinistischen Lager erinnerte, das von engagierten Bürgern gegründete Museum Perm 36, gerade geschlossen. Die Behörden erklärten den Trägerverein zum "Ausländischen Agenten". Und Stalin wird in Russland wieder populär. Die Direktorin des Gedenkkomplexes in Kasachstan kann diese Entwicklungen in Russland nicht nachvollziehen.
"Stalin war ein Verbrecher. Und wir dürfen nicht zulassen, dass sich so etwas wiederholt. In Kasachstan nicht, und auch nirgendwo anders."
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