Karussell der Klischees

Von Elske Brault · 09.01.2011
In "Abschied" verliebt sich eine junge Frau in einen sehr viel älteren Mann. Sie weiß, dass er vor ihr sterben wird. Auch wenn vier Musiker mit auf der Bühne sitzen - in Marie Bäumers Stück an den Hamburger Kammerspielen ist keine Musik drin, nur das Klappern leerer Worthülsen.
Die Schauspielerin Marie Bäumer hat ein Stück geschrieben. Fast jeder kennt sie, seitdem sie in "Der Schuh des Manitou" die schnippische Gespielin von Sky Dumont gegeben hat. Zuletzt war Bäumer zu sehen im preisgekrönten Fernseh-Zehnteiler "Im Angesicht des Verbrechens". Und so ist die Uraufführung, die Bäumer auch noch selbst inszeniert, ein mediales Ereignis: Das ZDF ist gekommen und Tagesschausprecher Wilhelm Wieben. Nur Sky Dumont fehlt: Der hat das Stück wohl vorher gelesen.

Marie Bäumer ist eine schöne Frau, und was wir an diesem Abend zu sehen bekommen, davor hätte ein kluger Intendant sie bewahrt. Axel Schneider, der neben den Kammerspielen noch zwei weitere Privattheater in Hamburg leitet, ist kein kluger Intendant, sondern ein bauernschlauer. Er weiß, wie er die Hütte vollkriegt, und so laufen in seinen Häusern immer häufiger Inszenierungen wie beispielsweise eine "Robin Hood"-Dramatisierung, die sich auf dem Erkenntnisniveau der in Hamburg so beliebten Musicals bewegen und vermutlich ähnlich hohen Erlebniswert bieten: Bloß, dass keine Musik in ihnen steckt.

Auch in Marie Bäumers Text ist keine Musik drin, nur das Klappern leerer Worthülsen. Dabei klingt der Plot durchaus vielversprechend: Eine junge Frau verliebt sich in einen sehr viel älteren Mann, sie weiß, dass er vor ihr sterben wird. Das passiert tatsächlich: Er lässt sie allein zurück. Ganz allmählich lernt sie, mit ihrer Trauer fertig zu werden.

Beherzt hat Marie Bäumer das in Sprache gepackt und immer nur das Nächstliegendste gegriffen. Der Schmerz, der die trauernde Frau schüttelt, ist ein "Werwolf", und er frisst – na was? – ihr Herz. Die Angst vor dem Tod sitzt dem Mann im Nacken wie ein "Blutegel", er sieht sein Ende vor sich als "monotone, graue Straße" und bricht aus in den Ruf: "Mein Gott noch mal! Und alles nur, weil wir ihn nicht sehen können, diesen Moment ohne Namen, ohne Gesicht. Alles kann erforscht werden, berechnet, in Formeln belegt, nur der irdische Abgang nicht!" Als der Mann dann weg ist, bricht die Frau zusammen und kann nicht mehr gehen. Rückwärts laufend kommt sie wieder auf die Füße. Die Metapher "Lernen, auf eigenen Füßen zu stehen" wird hier in Bildsprache übersetzt wie im Deutschkurs für Ausländer.

Peter Franke und Laura Lo Zito sind ein glaubwürdiges Paar: Man kann sich gut vorstellen, dass er sich an ihrer Kindlichkeit erfreut, dass sie bei ihm Schutz und Stärke findet. Hätten die beiden einfach nur die Texte gelesen, die zum Thema Tod und Abschied im Programmheft stehen, von Dietrich Bonhoeffer oder Friederike Mayröcker, es wäre vielleicht noch ein schöner Abend geworden. Naja, wohl doch nur dann, wenn Franke die Texte gelesen und Lo Zito sie getanzt hätte. Die Körperbeherrschung nämlich, die sie in einem längeren Solo vorführen darf, ist durchaus eindrucksvoll, ihr Schauspieltalent ist es nicht. Um bohrenden Schmerz darzustellen, schreit Lo Zito wie am Spieß. Das wäre angebracht, wenn sie das Unfallopfer mit offenem Bruch in einer Krankenhausserie wäre, aber hier geht es um seelischen Schmerz, um Trauer, oder soll doch zumindest. Ein bisschen subtiler dürft's schon sein.

Der charismatische Peter Franke kann da auch nichts mehr retten, zumal er immer weniger Text hat, je länger der Abend dauert, und er dauert entschieden zu lang, obwohl nach 75 Minuten alles vorbei ist. Das Bühnenbild ist minimalistisch schwarz mit drei schwarzen Klappstühlen, auch das pur aus dem Klischeebuch für Minimalismus. Weil diese Inszenierung jedoch etwas ganz Besonderes sein soll, gibt es noch einen bahnbrechenden Regieeinfall: Vier Musiker! Auf! Der! Bühne! Die Musik – argentinischer Tango – werde hier zum dritten Protagonisten, faselt Marie Bäumer im Programmheft. Und weil der eine Musiker mal kurz Laura Lo Zito herumwirbeln darf, der andere sich von ihr das Instrument wegnehmen lässt, wird bestimmt auf der Premierenparty jemand schwärmen von der Verschränkung von Schauspiel und Musik.

Hoffen wir nur, das Essen war dort besser.

Hamburger Kammerspiele: "Abschied"