Karsten Brensing: "Die Sprache der Tiere"

Wie ähnlich sind sich Mensch und Tier?

Ein Mops in Jeansjacke blickt in die Kamera.
Ein Hund in Jeansjacke oder ein Neufundländer-Mischling mit dem Namen Darwin. Die Beziehung zwischen Mensch und Tier ist eng. © Unsplash / Charles Deluvio
Theresa Präauer und Karsten Brensing im Gespräch mit Joachim Scholl · 05.12.2018
Ein Philosoph, der sich schämt vor seiner Katze nackt zu sein oder ein Hund, der Darwin heißt. Schriftstellerin Teresa Präauer und Biologe Karsten Brensing sprechen anhand ihrer neuen Bücher darüber, wie viel Tier im Mensch steckt und umgekehrt.
Joachim Scholl: Und jetzt freuen wir uns hier in der "Lesart" gleich über zweifachen Besuch. In einem Studio in Erfurt sitzt der Biologe und Verhaltensforscher Karsten Brensing, und wir haben sein jüngstes Buch, "Die Sprache der Tiere", auf dem Tisch. Guten Morgen, Herr Brensing!
Karsten Brensing: Ja, guten Morgen!
Scholl: Für Ihr Lebensthema Tier und Mensch interessiert sich ebenfalls Teresa Präauer, die Schriftstellerin aus Österreich, sie ist uns aus Wien zugeschaltet, im Herbst ist ihr Essay "Tierwerden" als Buch erschienen. Willkommen im "Deutschlandfunk Kultur", Frau Präauer!
Teresa Präauer: Guten Morgen!
Scholl: Wer Ihre literarische Arbeit kennt, Frau Präauer, der weiß, dass Tiere immer wieder vorkommen bei Ihnen – und ziemlich regelmäßig. In diesem Frühjahr wurde in Frankfurt am Main Ihr Theaterstück "Ein Hund namens Dolla" uraufgeführt. Was hat es denn damit auf sich, mit Ihnen und den Tieren?
Präauer: Ja, die Tiere verfolgen mich und bedrohen mich und ich musste ihrer habhaft werden. In "Oh Schimmi", im letzten Roman, hat sich ein junger Mann zum Affen gemacht, im "Herrscher aus Übersee" fliegen die Vögel mit den Kindern, die das Fliegen vom Großvater lernen, und in "Johnny und Jean" sind es die Fische, die gemalt werden. Aber Sie hören schon, wie ich das beschreibe, es sind ganz oft die Tiere als Verkleidung, die Tiere im Blick oder durch den Blick des Menschen gesehen. Und ganz oft auch Tier-Mensch-Mischwesen, die da eine Rolle spielen. Ich möchte noch dazusagen, ich habe, bevor ich diesen Essay geschrieben habe, eine Harpyie aus dem 16. Jahrhundert, so ein Vogel-Mensch-Mischwesen, das Teil der Biologie war und immer wieder in Biologiebüchern abgebildet war. Und ich habe mich wirklich gefragt, wieso hat denn so ein Mischwesen bis ins 17. Jahrhundert oder länger überlebt, innerhalb der Nomenklatur der Biologie, und das war der Ausgangspunkt für den Essay.

"Ich bin überhaupt keine Tierfreundin"

Scholl: Bei solch einem Gespräch, glaube ich, müssen wir trotzdem noch mal die Verhältnisse klären insofern, ob hier überhaupt Tierhalter reden? Ich habe zwei Wellensittiche, haben Sie auch ein Haustier Frau Präauer?
Präauer: Ich habe kein Haustier, habe mir immer welche gewünscht, habe vielleicht nur welche, die man nicht sehen kann. Ich bin leider überhaupt keine Tierfreundin.
Scholl: Herr Brensing spitzt da wahrscheinlich die Ohren. Sie haben eine Neufundlandmischung, habe ich gelesen. Darwin heißt er, fast schon logisch bei Ihnen.
Brensing: Ja, also mein letzter Hund war tatsächlich ein Neufundländer-Mischling, und der Hund, den wir jetzt haben, das ist auch ein Mischling und der heißt tatsächlich Darwin. Das lag daran, als wir den geholt haben, saßen wir mit vier Biologen im Auto, und irgendwie kam es zu diesem Namen, komisch, oder?
Hans Thomas Tacchografie "Harpye" (1892) zeigt das berühmte Mischwesen aus Vogel und Mensch. 
Hans Thomas Tacchografie "Harpye" (1892) zeigt das berühmte Mischwesen aus Vogel und Mensch. © dpa / picture-alliance / akg-images
Scholl: Sie haben in Ihren beiden Büchern, also es sind wirklich zwei unterschiedliche zwei Paar Stiefel, Ihre Bücher. Ihr aktuelles Buch ist ein Füllhorn, Herr Brensing, verhaltensbiologischer Erkenntnisse und Beispiel für die vielfältige Sprache, die Kommunikation der Tiere. Ihr Essay, Frau Präauer, trägt schon im Titel einen philosophischen Gedanken, die Formulierung "Tierwerden", die haben Sie von Gilles Deleuze entlehnt, dem französischen Poststrukturalisten. Die Harpyie, die haben Sie jetzt schon genannt, diese alte, ja, dieses Mischwesen aus gefiedertem Vogel und einer Frauenfigur. Herr Brensing, Sie gucken sich ja richtige Vögel an, die Harpyie gibt es ja auch als Greifvogel. Was ist das eigentlich für eine Tradition, dass man früher Tiere in dieser Form vermenschlicht hat?
Brensing: Ich glaube, man hat früher in Tieren sehr viel Unterschiedliches gesehen und indem man das miteinander kombiniert hat, hat man Dinge erzeugt, die man sich damals nicht erklären konnte. Und ein Mensch-Tier-Mischwesen war halt etwas, was praktisch beide Reiche zusammengebracht hat und was darüber dann vielleicht auch etwas Mystisches, etwas Übernatürliches hatte, und man sich damit eben Dinge erklärt hat, die man sich sonst nicht erkläre konnte.

"Wenn der Mensch über sich nachdenkt, schreibt er über das Tier"

Scholl: Ich meine, diese Harpyie ist ja eine ganz interessante Vermenschlichung auch von Tieren, das haben Menschen immer gemacht, Frau Präauer, vor allem in der Kunst, in den Märchen, in den Lieder, bis zu unseren Mickey Mouse Comics, immer sind Tiere ersetzt als Mensch.
Präauer: Ja, sie sind unser Gegenüber vielleicht, und oft, wenn der Mensch über sich nachdenkt, schreibt er über das Tier und denkt vielleicht verkleidet, während er über den Affen nachdenkt, über sich selbst, und das sagt immer ganz viel über das Menschenbild der jeweiligen Zeit aus.
Man muss aber auch sagen, dass so die frühesten Handschriften und Inkunabeln und was ich so entdeckt habe während meiner Recherchen für dieses Buch, dass das auch Publikationen sind, die ja in einer Zeit entstanden sind, als noch nicht alle Kontinente erforscht waren und die Biologie eben noch nicht diese Ordnung erfahren hat, wie sie dann Linné gemacht hat, auf die wir uns jetzt weiterhin berufen. Und da wurde auch immer wieder auch nachgedacht über Zwischenglieder, also dass es auch so etwas wie ein Zwischenglied zwischen Mensch und Pflanze gibt. Tierpflanzen wurden dann auch gezeichnet, man sprach auch von wilden Menschen, von Wolfsmenschen, von Erdrandbewohnern, von Monstern, von Bestien – die wurden alle eigentlich auch mitunter eingeordnet in die Biologie.
Masthähnchen in einem der Ställe der Agrarproduktionsgesellschaft Agp Lübesse.
Haben Tiere Persönlichkeitsrechte?© picture alliance / dpa
Scholl: Worin Sie beide, Teresa Präauer und Karsten Brensing, sich auch begegnen, das sind Gedanken, ja, zur Persönlichkeit und den Rechten, die man Tieren zubilligen soll – oder auch nicht. Eine parallele Reflexion machen Sie beide über die Persönlichkeitsrechte von Tieren, da gibt es ja einen langen, strittigen Diskurs zwischen Tierschützern und Tierrechtlern. Sie, Karsten Brensing, sind schon bekannt als entschiedener Verfechter von Persönlichkeitsrechten für Tiere, haben ein ganzes Buch darüber geschrieben, wo Sie von einer nächsten Stufe der moralischen Evolution sprechen. Warum ist das so wichtig für Sie?
Brensing: Ich glaube, dass diese Trennung zwischen Mensch und Tier, die wir so gerne tun, die auch kulturell und historisch gut begründet ist, dass die eigentlich nicht mehr zu halten ist, also zumindest nicht, wenn man sich die aktuelle Forschung ansieht. Wenn man jetzt dieses aktuelle Wissen heranzieht und beispielsweise feststellt, dass Tiere eben Persönlichkeit haben, dass sie über sich selbst nachdenken können, sich teilweise selbst reflektieren, dann muss man sich natürlich fragen, mit welchem Recht nimmt sich der Mensch eigentlich das Recht heraus, mit Tieren so umzugehen, wie er es tut.
Und da der ganze Tierschutz und auch der Naturschutz teilweise in seiner Wirkung sehr limitiert ist und in der Umsetzung sehr limitiert ist, glaube ich, ist es das Beste, wenn man Tieren mehr Rechte geben würde und wenn eben ein Anwalt beispielsweise herangehen kann und kann sagen, hier ich nehme mir das Mandat von diesem Tier, ich trete für dieses Tier ein, so wie ich es vielleicht auch für jemanden machen würde, der geistig behindert ist, und entsprechend dann agiert.

Das Selfie eines Affen und Heuschrecken vor Gericht

Scholl: Das ist ja auch passiert, Frau Präauer, Sie zitieren diese Urheberrechtsklage zum Selfie von Naruto, dem Makaken-Äffchen, das ging ja um die Welt. Viele Menschen haben da den Kopf geschüttelt und sagen, geht’s noch, Sie nicht, oder?
Präauer: Ich erlaube mir da nicht unbedingt ein moralische Urteil, sondern es interessiert mich vielleicht auch mit dem Blick der Künstlerin, was ist denn das für ein Bild, das der Affe von sich selbst geschossen hat und wie wird darüber diskutiert? Und wenn wir in die Geschichte schauen, so ging es mir dann, dass ich tatsächlich auch gefunden habe, im Mittelalter gab es schon so etwas wie Tierprozesse, Heuschrecken wurden beispielsweise in ihrer Abwesenheit vom Richter vor Gericht verurteilt, eine ganze Ernte vernichtet zu haben. Und, ich glaube, was da manchmal schon vergessen wird im Nachdenken über Tiere ist, dass der Mensch selbst ein Tier ist.
Und wir finden das aber auch immer wieder, dieses Nachdenken über Tiere und den Menschen, zum Beispiel bei Brehm, ich habe ja gelesen, Herr Brensing, Sie haben, glaube ich, ein Vorwort geschrieben auch zu einer Aussagen von Brehms "Tierleben". Das ist ja ein Buch, das man nicht mehr unbedingt im Unterricht verwendet, weil eigentlich quasi abgelehnt wird, dass so anthropomorphisierend über Tiere gesprochen wird. Ich würde aber noch immer sagen, das ist ein Buch, das auch literarisch, oder das sind Bände, die literarisch unglaublich spannend sind. Und dieses Hineindenken in die Haut der Tiere oder ins Fell der Tiere führt durchaus auch zu Ergebnissen.
Selfie des Makaken Naruto. 
Hat ein Tier das Recht an seinem Bild? Peta hat den jahrelangen Rechtsstreit um das berühmte Selfie des indonesischen Makaken Naruto verloren.© imago stock&people
Scholl: Darf ich da grade mal einen Satz zitieren, weil Herr Brensing hat nämlich den Brehm schon als Gewährsmann, nicht wahr, Herr Brensing?
Brensing: Ein bisschen schon, ja.
Scholl: Ich habe mir mehrere Sachen rausgeschrieben, weil sie so schön formuliert sind. Zum Beispiel Alfred Brehm, gleich am Anfang: "Das Säugetier besitzt Gedächtnis, Verstand, Gemüt und hat daher oft einen sehr entschiedenen, bestimmten Charakter." Herr Brensing, das, was gerade Frau Präauer gesagt hat, also mit dieser Vermenschlichung der Tiere auch in der Historie, diese Gerichtsprozesse zum Beispiel, die uns ja völlig absurd vorkommen, die gab es tatsächlich, Sie erwähnen die auch. Also Schweine wurden vor Gericht gestellt, Mäuse wurden verurteilt und mit Verbannung bestraft. Ich meine, da wird doch aber auch deutlich, dass es doch absurd ist, Tiere für etwas verantwortlich machen zu wollen. Ist das da nicht eigentlich damit verbunden, wenn man Ihnen Persönlichkeitsrechte gibt?
Brensing: Da kann man sich Gedanken drüber machen, man kann nur für etwas verantwortlich sein, wenn man das auch bewusst getan hat. Da muss man sich jetzt überlegen, was ist bewusst, dann muss man sich als nächstes überlegen, in dem Kontext, in dem man diese Tat vollbringt, ist sie gegen die eigenen Regeln, gegen die Regeln der Gemeinschaft? Wir können jetzt niemanden dafür bestrafen, dass er gegen die Regeln unserer Gemeinschaft verstößt, also ein Heuschreckenschwarm macht nichts weiter als seinen biologischen Job, indem er isst. Den dafür zu bestrafen, ist natürlich naiv. So kann man das nicht machen.
Aber natürlich kann man Tieren Rechte geben, die dafür sorgen, dass Dinge, die wir Menschen ihnen antun, nicht einfach passieren können. Und da geht es gar nicht darum, dass man hier eine Diskussion aufmacht, wer Rechte hat, der muss auch Pflichten haben, sondern es geht eher darum, dass man den Tieren insofern Rechte gibt, wenn wir sie einschränken. Dass sie gegen die Einschränkung ihrer eigenen innewohnenden Rechte vorgehen können.

Warum sich ein Philosoph schämt, vor seiner Katze nackt zu sein

Scholl: Auf ein Bild möchte ich noch eingehen, das Sie gezeichnet haben, Frau Präauer, im Verhältnis von Tier und Mensch, da beschreiben Sie in Ihrem Buch nämlich einen Reflex von Jaques Derrida, der einmal geschrieben hatte, wie er sich schämte, als er nackt durch das Zimmer schritt und seine Katze ihn anschaute. Ich kann das seither nicht vergessen, wenn ich an unsere Vogelkäfig vorbeischnüre auf dem Weg ins Bad. Was ist das für ein Gedanke, dass man sich vor einem Tier schämen kann? Das hat Sie fasziniert, warum?
Präauer: Ich glaube, dass das immer die Frage danach ist, gibt es nicht nur unser Blicken auf die Tiere, sondern gibt es auch ein Zurückblicken? Was wir uns vorstellen, was die Katze sich vielleicht denkt, wenn sie uns nackt aus der Dusche steigen sieht, ist noch immer eine Interpretation, aber ist trotzdem eine Erweiterung, zumindest vielleicht die Möglichkeit des Blickens zu erweitern. Ich glaube, es geht da auch vielleicht bei dieser Rechtsdiskussion auch darum, zu erweitern, was ist auch unser Begriff von Menschsein und von Menschenrechten.
Scholl: Sie, Herr Brensing, brechen da ja fröhlich ein Tabu, das Sie selber formulieren: Ein Biologe darf nie eigentlich von Vermenschlichung reden. Sie sagen: Nein, wir müssen sie vermenschlichen. Ist dieses Schamgefühl nicht auch schon ein Ausdruck davon?
Eine Frau kuschelt mit ihrer Katze.
Der Philosoph Derrrida schämte sich vor seiner Katze.© Unsplash / Yerlin Matu
Brensing: Das weiß ich nicht genau. Scham hat viel mit Kultur zu tun und das funktioniert halt nur innerhalb von einer Art. Tiere haben auch Kultur, aber ob man Scham übertragen kann, da bin ich mir nicht so sicher. Aber wir können viele geistige Dinge übertragen, also viele Aspekte des Denkens, logisches Denken, abstraktes Denken, strategisches Denken, dafür hat die Verhaltensbiologie alles Tests entwickelt, die stelle ich meinen Büchern vor. Oder wenn man sich Gefühle ansieht, da weiß man, Gefühle sollen Verhalten steuern. Und wenn bei uns Menschen, als auch bei Tieren, das gleiche Verhalten gesteuert wird, dann weiß man, dass es übertragbar ist, das sagt die vergleichende Verhaltensbiologie.
Und wenn man sich all diese vielen Beispiele ansieht und dann eben feststellt, Ratten können über sich selber nachdenken oder solche Sachen, dann steht man einfach nur fasziniert davor und muss tatsächlich in diesem Moment vermenschlichen, weil in dem Moment, wenn ich es kann, muss ich es auch tun.
Es gibt kein unterschiedliches logisches Denken. Es wäre unlogisch zu sagen, dass Tiere so und wir so logisch denken, das ist übertragbar und da dürfen wir vermenschlichen.
Scholl: Tiere schauen uns an, wir schauen zurück. Terese Präauer, vielen Dank für Ihren Besuch!
Präauer: Danke!
Scholl: Alles Gute! Dank auch Ihnen, Karsten Brensing, "Die Sprache der Tiere", das jüngste Buch von Karsten Brensing ist im Aufbau-Verlag erschienen und der Essay "Tierwerden" von Teresa Präauer im Wallstein Verlag. Ihnen allen beiden eine schöne Zeit!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

"Die Sprache der Tiere" von Karsten Brensing, Aufbau-Verlag, 267 Seiten mit 53 Abbildungen, 22 Euro
"Tierwerden" von Teresa Präauer, Wallstein Verlag, 100 Seiten, 18 Euro

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