Karnevalskünstler im Lockdown

Buletten braten statt Büttenreden halten

09:15 Minuten
Achnes Kasulke bei der Prinzenproklamation im Januar 2020.
Achnes Kasulke kurz vor den Beschränkungen im Januar 2020. © IMAGO / Beautiful Sports / Wunderl
Von Vivien Leue · 11.02.2021
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Nichts verdient und nichts zu lachen - das ist die diesjährige Bilanz vieler Karnevalskünstler. Wenn die Ersparnisse weg sind, hilft nur noch ein Aushilfsjob. Die Bühnenprofis im Rheinland warten auf bessere Zeiten und auf Geld aus einer Spendenaktion.
Köln, 2020, vor einem Jahr. Tausende Menschen sind auf den Straßen. Verkleidet. Fröhlich. Sie feiern den Beginn des Straßenkarnevals. Eine knappe Woche lang steht die Stadt nicht mehr still.
Köln, 2021. Es ist ruhig auf den Straßen. Die gesamte Karnevalsession – sie ist quasi abgesagt. Die Kneipen sind zu, Festsäle leer. Wo seit dem 11. 11. für gewöhnlich Comedians oder Tanzgruppen ein- und ausgehen würden, herrscht jetzt - Stille.

Kneipen zu, Festsäle leer - "das zehrt an et Jefühl"

"Das kann man selber noch kaum fassen. Dass Januar und Februar jetzt so ruhig zu Ende gehen, " sagt Martin Zylka.
Und Ursula Strunk: "Wir hatten locker 40, 50 Auftritte gehabt."
"Das zehrt schon so ein bisschen an et Jefühl," so auch Bodo Krohn.
Für Menschen wie sie, die den Karneval alljährlich mit Leben füllen – für Musiker, Comedians, Organisatoren – für sie fällt in dieser Session nicht nur das Feiern aus. Es sind vor allem die Engagements, die fehlen.
"Ah ja, jede Menge, also das ist schon schmerzhaft", sagt Annette Eßer aus Nettetal am Niederrhein. Bundesweit bekannt ist sie unter ihrem Künstlernamen: Achnes Kasulke. Als rheinische Putzfrau mit buntem Kittel, Kopftuch und losem Mundwerk ist sie im Kölner Karneval groß geworden und seit rund 15 Jahren von den Bühnen nicht mehr wegzudenken.

Spaß ist eigentlich ihr Geschäft

"Anfang Januar, da hatte ich noch in die Planungen geguckt, wo ich gerade wäre… Aber damit habe ich ganz schnell aufgehört. Also, es macht keinen Spaß", sagt sie.
Spaß ist eigentlich ihr Geschäft. Kaum ein Auge bleibt trocken, wenn Achnes Kasulke auf der Bühne aus ihrem Leben erzählt, etwa wie hier letztes Jahr in Düsseldorf:
"Männer haben ja keinen Kleiderschrank, ne? Männer haben nur einen Stuhl neben dem Bett."
Der Saal ist voll, die Menschen schunkeln, trinken, lachen.
"Und wenn der Stuhl umkippt, musst du waschen, ne?"
Und die Stimmung kocht.
"Das heißt aber nicht, dass wir Frauen besser sind. Ungelogen, in meinem Kleiderschrank waren Klamotten für fünf Frauen in sieben Größen für vier Jahreszeiten. Ja, nur für mich war nichts dabei."

Statt Auftritt: Warten auf Novemberhilfen

Statt auf der Bühne vor großem Publikum sitzt Annette Eßer jetzt in ihrer Küche – statt lila Schürze, beiger Pullover. Per Videoschalte spricht sie über die vergangenen Monate.
"Es fehlen einem die Leute, die gegenübersitzen, lachen. Lachende Menschen."
Annette Eßer liebt aber nicht nur ihren Beruf, sie lebt auch von ihm. Zumindest bis Corona kam. Seitdem sind die Einnahmen ausgeblieben, und auch staatliche Unterstützung gab es "bisher noch null". "Ich warte jetzt auf die Novemberhilfen", sagt sie.
Das enttäuscht die 50-Jährige: "Einfach jeder kriegt irgendwo eine Hilfe oder Kurzarbeitergeld." Nur Solo-Selbständige wie sie würden alleingelassen.
"Ich habe bis dato meine komplette Altersvorsorge aufgelebt und ich arbeite jetzt bei Freunden, um mich über Wasser zu halten. Ich habe ein Haus, ich habe zwei Töchter, ich bin alleinerziehend, und es muss ja irgendwo herkommen."

Wirtschaftskraft des Karnevals: 600 Millionen Euro

So seien die Karnevalskünstler aktuell doppelt belastet – finanziell wie emotional, erklärt ihr Agent, der Künstlervermittler Bodo Krohn:
"Ich glaube, es sind 14 Jahre jetzt, wo wir es noch nie samstagsabends auf die Couch geschafft haben, zuhause, oder an einem Sonntag im Januar oder Februar."
Auch ihn trifft die Pandemie, denn wenn Künstler nicht vermittelt werden können, fallen auch in seiner Agentur die Honorare aus. "Ich könnte da jetzt Stunden erzählen, was alles weggebrochen ist," sagt Krohn.
Ähnlich sagt es Martin Zylka, Inhaber der Go GmbH, einer der größten Agenturen im Karnevalsgeschäft: "Im Kern trifft es uns natürlich genauso wie alle anderen in der Wertschöpfungskette."

6.500 Arbeitsplätze mit Karneval verbunden

Allein in Köln wird die Wirtschaftskraft des Karnevals mit rund 600 Millionen Euro beziffert – das entspricht der jährlichen Wirtschaftsleistung einer 15.000-Einwohner-Stadt. Etwa 6.500 Arbeitsplätze sind mit dem Karneval verbunden. Hunderte Sitzungen und Bälle finden zwischen November und Februar statt.
"An einem Samstag in der Session gut und gerne schon mal 25 Veranstaltungen parallel", sagt Agenturchef Zylka. "Und plötzlich sehe ich mich selber sonntags auf der Couch. Das ist so surreal."
Dabei habe es an Arbeit auch in dieser Saison nicht gemangelt:
"Natürlich bestand die Arbeit dann leider nur noch in um-terminieren, rückabwickeln, stornieren und einem vielfach höheren Volumen an Kundenkontakten, um den Kunden die größten Ängste zu nehmen, mit denen zu überlegen, wie es weitergeht."

Lebensgefühl und Existenzsicherung

Vor allem letzteres – die Frage, wie und wann es weitergeht - sei belastend:
"Es ist wirklich ein Hobby, Berufung, Lebensgefühl, aber eben auch für viele ein großer Teil der Existenz. Es gibt wirklich viele, die zeitweise in einem sehr tiefen Tal waren oder noch sind."
Alternative Engagements gibt es für die Karnevalisten kaum, denn die Corona-Pandemie trifft ja nicht nur den Karneval. Die gesamte Veranstaltungsbranche liegt brach. Keine Schützen- oder Vereinsfeste, keine runden Geburtstage, keine Festivals, auf denen Bands oder Comedians auftreten können. Zwar gab es vereinzelt Karnevalsveranstaltungen im Autokino, aber bei Minusgraden und beschlagenen Scheiben ein eher zweifelhaftes Vergnügen.
Ein paar Künstler sind ins Netz abgewandert, streamen ihre eigenen kleinen Shows, wie Urgestein Bernd Stelter.
Auch ganze Veranstaltungsreihen gibt es im Internet, bei einer lassen sich etliche Künstler und Künstlerinnen für individuelle Shows kombinieren. Die Bands und Comedians, wie Achnes Kasulke, haben extra für das Showkonzept Videos aufgenommen.
Auch Sängerin Ursula Strunk aus Düsseldorf ist mit ihrer Band Kokolores dabei.
"Man kann uns jetzt tatsächlich in eine digitale Sitzung einbuchen", sagt sie. Der Auftritt für diese digitale Show – er ist nach einer Saison, in der Kokolores ursprünglich so gut gebucht waren wie noch nie – ist weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Fern der Gewinnzone und irgendwie schräg

"Na also, sind wir mal ehrlich, das ist schön", sagt sie. "In die Gewinnzone kommt man da aber nicht. Für uns ist es wirklich nur, um zu zeigen: Wir sind noch da."
Wenn finanziell nichts hängen bleibt, dann vielleicht wenigstens emotional?
"Ein Publikum, das man nicht sieht, das vorm Fernseher sitzt, anzufeuern? - Also, das hat sich ganz schräg angefühlt."
Ein jubelndes Publikum, lachende Karnevalsjecken, unbändige Fröhlichkeit – klar, fehlt ihr das, sagt Ursula Strunk. Noch schlimmer sei aber der finanzielle Verlust:
"Ganz viele Berichte, gerade über Künstler, die enden irgendwie immer so in diesem Gefühl: Ja, ach, die armen Künstler. Die vermissen ihre Bühne so sehr. Ja, tu ich auch. Aber darum geht es mir nicht. Ich lebe davon."

Weil die Ersparnisse futsch sind: Frikadellen braten

Sie hat zuerst noch von ihren Gagen aus der letzten Saison gelebt, dann ist sie an die Ersparnisse ran, aber auch der Topf war irgendwann leer. Ein Aushilfsjob rettet sie aktuell vor dem Nichts, erzählt Strunk:
"Vier Tage die Woche bin ich jeden Morgen um sechs bei meinem Metzger und brate meine Frikadellen. Gottseidank. Sonst wäre ja ganz zappenduster."
Vielen Karnevals-Akteuren geht es so: Ihnen fehlt der Karneval nicht nur emotional, sondern vor allem: finanziell.
Das Festkomitee Kölner Karneval, die GO GmbH von Martin Zylka und ein paar andere Akteure haben deshalb eine Spendenaktion ins Leben gerufen:
"Mer looße üch nit allein" – heißt sie und schon in den ersten Tagen kamen zehntausende Euro zusammen. Aktuell liegt der Spendenstand bei über 430.000 Euro.
Martin Zylka sagt: "Wir werden ganz gezielt für die Künstler, die jetzt nicht auftreten können, für die Techniker, die jetzt ihrem Job hier nicht nachgehen können, alle, die jetzt wirklich hier betroffen sind, die sollen aus diesem Fonds Geld bekommen."
Annette Eßer alias Achnes Kasulke machen solche Projekte Mut. Karneval sei eben doch mehr als nur Geldverdienen: eine Gemeinschaft, im Feiern, wie in der Pandemie.
"Wir stehen parat", sagt sie und lacht, "und wir warten aufs Go, und dass sich dieser furchtbare Virus verzieht und dann alles wieder annähernd so werden kann, wie vorher."
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