Karlspreis

Papst fordert neuen Humanismus

Papst Franziskus während seiner Rede zur Verleihung des Karlspreises am 6.5.2016.
Papst Franziskus während seiner Rede zur Verleihung des Karlspreises. © picture alliance / dpa / Oliver Berg
Von Jan-Christoph Kitzler  · 06.05.2016
Europas grundlegende Werte seien verschütt gegangen, mahnt der Karlspreisträger 2016 Papst Franziskus. Doch für einen neuen Humanismus wäre echte Begeisterung der Europäer nötig, findet Jan-Christoph Kitzler. Die aber gebe es nicht.
Es steht wirklich schlimm um Europa – wenn ausgerechnet der Papst Europa daran erinnern muss, was seine Grundlagen sind. Franziskus ist bislang noch nicht als begeisterter Europäer aufgefallen, im Gegenteil: der Papst "vom anderen Ende der Welt" meidet Besuche in den großen Hauptstädten des Kontinents. Und wenn er bisher über Europa sprach, dann meist in Form heftiger Kritik. Das Wort von der "Schande" Europas in der Flüchtlingskrise hat die Runde gemacht.
Europa, das ist zur Zeit ein Trauerspiel – das zeigte sich auch bei dieser Karlspreisverleihung im Vatikan, die eigenartig masochistische Züge trug, die die Beschwörung eines europäischen Geistes war, der längst abhanden gekommen zu sein scheint.

Ein Europa, wo Migrantsein kein Verbrechen ist

Da saß die Spitze Europas im Vatikan, die Präsidenten des Europaparlaments, von EU-Kommission und Europarat, Staatsoberhäupter und Regierungschefs, und mussten sich vom Papst aus Argentinien daran erinnern lassen, dass Europa mal eine Tradition der Humanität, der Menschlichkeit, der Fähigkeit zum Dialog und zum Miteinander hatte, die ziemlich tief verschüttet ist. Er wünsche sich ein Europa, in dem Migrantsein kein Verbrechen ist, sagte der Papst. Ich meine: Es ist eine Schande, dass so ein Satz offenbar keine Selbstverständlichkeit ist und überhaupt gesagt werden muss.
Es ist ziemlich leicht, auf Europa einzudreschen, auf diesen Kontinent, den in diesen Zeiten immer weniger zusammenhält. Die Krise Europas hängt auch mit dem schwindenden Vertrauen in Politik und Medien zusammen. Mit dem Ohnmachtsgefühl, das viele Bürger beschleicht. Je weniger Menschen am eigenen Leib Krieg, Hunger, Vertreibung erlebt haben, desto weniger finden es offenbar auch alles andere als selbstverständlich, dass Europa schon seit über 70 Jahren eine Geschichte des Friedens und des wachsenden Miteinander ist, dass es ein Segen ist, in einem geeinten Europa zu leben. In immer mehr EU-Staaten sind Politiker an der Regierung, die mit Anti-Europa-Parolen Erfolg haben. Brücken zu bauen, Mauern einzureißen, wie der Papst es fordert, hat gerade keine Konjunktur, im Gegenteil.

Echtes Miteinander der Europäer fehlt

Daran haben natürlich die Wähler Schuld, aber die europäische Führungsmannschaft muss sich auch vorwerfen lassen, das Europa für viele Bürger ziemlich weit weg ist, und dass die jetzt so labile Einheit Europas vor allem von den Interessen der Wirtschaft getrieben war und nicht von einem echten Miteinander der Europäer. Das fehlt als Grundidee, das fehlt zur Zeit auch, wenn es darum geht, Probleme dauerhaft und nachhaltig zu lösen, ganz konkret.
Papst Franziskus hat heute nichts weniger als einen neuen europäischen Humanismus gefordert. Für den bräuchte es echte Begeisterung, echte Leidenschaft. Aber, wenn man ehrlich ist, gibt es zur Zeit ziemlich wenig, das einen von Europa schwärmen lässt. Und daran ändert auch der Karlspreis für Papst Franziskus ziemlich wenig.
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