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Wettmanipulationen im Tennis
Kommissar Statistik

Journalisten wollen einen Manipulationsskandal im Tennis aufgedeckt haben - unter anderem mithilfe von statistischer Datenauswertung. Doch kann man mit Sportstatistiken Falschspieler überführen? Nein, glauben Statistiker - aber die Daten können dennoch helfen, Betrügern auf die Schliche zu kommen.

Von Piotr Heller | 01.02.2016
    Ein Tennisspieler schlägt vor dem Netz mit der Aufschrift "ATP World Tour" in Madrid auf.
    Statistik allein kann keinen Spieler überführen (dpa-Bildfunk / EPA / Juan Carlos Hidalgo)
    "If what we expect to happen, always happened, then it wouldn't really be a sport, would it?"
    Nein, es hätte tatsächlich wenig mit Sport zu tun, wenn das erwartete Ergebnis immer eintreten würde. Die Geschichte des Sports ist voller Überraschungen: Letztes Jahr erst bezwang der Deutsche Dustin Brown - damals auf Platz 102 der Weltrangliste - Rafael Nadal in Wimbledon. Und wer gerne weiter in die Sportgeschichte zurückschaut, kennt vielleicht den Sieg des US-Eishockey-Teams gegen die Sowjets bei den Olympischen Spielen 1980. David Lucy, ein Statistiker aus Großbritannien, hat viele solcher Beispiele in einem Aufsatz zusammengetragen. Darin beschreibt er, warum es so schwierig ist, manipulierte Spiele allein anhand der Ergebnisse zu erkennen. Er erklärt das an einem bekannten Problem aus der Statistik:
    "Mit dem ‚Krankenschwestern-Problem' beschäftigen sich Statistiker seit Jahren. Es geht darum, dass eine Krankenschwester oder ein Pfleger oder Arzt beschuldigt wird, Patienten bewusst Schaden zuzufügen."
    Böse Absicht lässt sich mit Statistik nicht beweisen
    Man weiß in diesem Beispiel, wer die Patienten betreut hat und wie es den Patienten geht - ob sich etwa ihr Zustand verschlechtert. Aus diesen Daten will man herauslesen, ob die Krankenschwester wirklich Böses im Schilde führt. Was sagen einem die Daten also?
    "Ziemlich wenig. Wir haben nämlich folgendes: viele alte Daten zu Patienten und deren Zustand. Daraus können wir berechnen, wie oft sich der Zustand von Patienten - erwartungsgemäß - verschlechtern wird. Und jetzt glauben viele Leute: Wenn sehr unwahrscheinliche Dinge passieren, dann ist das ein Beweis dafür, dass die Krankenschwester den Patienten Schaden zufügt. Aber das kann man so nicht sagen! Denn unsere historischen Daten, die ganze Statistik: Das alles basiert auf der Annahme, dass niemand den Patienten bewusst Schaden zufügt."
    Genau hier liegt das Problem: Um einer Krankenschwester eine böse Absicht zu beweisen, bräuchte man historische Patienten-Daten, bei denen man weiß, dass jemand tatsächlich den Patienten schadet. Die würde man dann mit dem verdächtigen Fall vergleichen. Doch solche Daten gibt es praktisch nicht.
    "Im Sport ist es im Grunde das gleiche Problem: Wenn ein Spieler unerwartet geschlagen wird, dann ist das aus denselben Gründen noch kein Beweis dafür, dass er mit Absicht verloren hat."
    Was man aber tun kann: Man kann eine Serie unwahrscheinlicher Ergebnisse als Hinweis auf eine mögliche Manipulation benutzen. Das Gleiche gilt für auffällige Wetteinsätze:
    "Man schaut dann, ob zum Beispiel besonders viel Geld auf einen schwachen Spieler gesetzt wurde. Das wäre verdächtig, kann vor Gericht nicht als Beweis verwenden werden. Ermittler nutzen die Wetten aber als Hinweis, wer wen bestechen könnte. Und dann würden sie Geldflüsse verfolgen und untersuchen, wer mit wem in Kontakt steht. So bekommt man die echten Beweise."
    Und so kann man mit der Statistik alleine keinen Spieler überführen, ihm jedoch zumindest auf die Schliche kommen. Auch beim aktuellen angeblichen Wettskandal im Tennis müssen nun klassische Ermittlungsmethoden klären, wie stichhaltig die Vorwürfe sind. Die wichtigsten Tennis-Organisationen der Welt haben damit nun einen renommierten britischen Juristen beauftragt.