Projekt "Musica Non Grata"

Musikalische Reise in die Prager Geschichte

Das Bildnis von Vítězslava Kaprálová ist auf eine große Leinwand hinter dem Orchester sichtbar.
Das Bildnis von Vítězslava Kaprálová hinter dem Orchester der Staatsoper Prag am 30.08.2020 im Eröffnungskonzert zu Musica Non Grata. © Musica Non Grata / Presse
Moderation: Volker Michael · 06.10.2020
Es ist ein groß angelegtes, über vier Jahre dauerndes Vorhaben: Die reiche Musikkultur Prags aus dem 20. Jahrhundert soll in Erinnerung gerufen werden. Vorgenommen hat es sich das tschechisch-deutsche Projekt Musica Non Grata.
Das Eröffnungskonzert von Musica Non Grata Ende August im Prager Staatstheater war ein in mehrfacher Hinsicht großes Ereignis. Zugleich war es die Eröffnung der neuen Saison an diesem Opernhaus, das nach mehrjähriger Renovierung in neuem Glanz erstrahlt. Inmitten der Pandemiebeschränkungen kam ihm der Rang eines seltenen Momentes zu, denn selten hat man in Prag vorher und hinterher so viele Sängerinnen und Sänger sowie Musikerinnen und Musiker auf einer Bühne erlebt.
Karl-Heinz Steffens mit dem Chor und dem Orchester des Staatstheaters Prag am 30.08.2020 beim Eröffnungskonzert von Musica Non Grata.
Karl-Heinz Steffens mit dem Chor und dem Orchester des Staatstheaters Prag am 30.08.2020 beim Eröffnungskonzert von Musica Non Grata.© Musica Non Grata / Presse
Das Konzert begann mit einem besonderen Werk: einer Examensarbeit. 1935 stellte die damals 20 Jahre alte Vítĕzslava Kaprálová ihr Klavierkonzert in Brünn vor. Sie selbst dirigierte den ersten Satz des Werkes, das Furore machte.
Alle Welt war begeistert von dem jugendlichen Enthusiasmus, der Brillanz und dem Ideenreichtum der Musik. Ein Jahr später dirigierte die Komponistin die Uraufführung des kompletten Werks mit dem Brünner Radioorchester.

Enorm begabt, selbstbewusst und schön

In den folgenden Jahren verbreitete sich europaweit der Ruhm der jungen Künstlerin, die auch noch reihenweise männliche Kollegen nicht nur musikalisch begeisterte. Zu weiteren Studien ging sie nach Prag und später nach Paris, dort lernte sie auch Bohuslav Martinů kennen.
1938 wurde ihre Militär-Sinfonietta aus London weltweit live übertragen. Da horchte man auch in Nordamerika auf. Doch der Krieg hatte quasi schon begonnen. Kaprálová sollte ihre tschechische Heimat nie wiedersehen. 1940 starb sie auf der Flucht in Südfrankreich an Miliartuberkulose.
Alice Rajnohová mit dem Orchester des Staatstheaters Prag am 30.08.2020 beim Eröffnungskonzert von Musica Non Grata.
Alice Rajnohová mit dem Orchester des Staatstheaters Prag am 30.08.2020 beim Eröffnungskonzert von Musica Non Grata.© Musica Non Grata / Presse
Noch enger war die Beziehung Alexander Zemlinskys zu Prag. 16 Jahre lang, von der Zeit des Habsburger Reiches bis zur Tschechoslowakischen Republik, war er Generalmusikdirektor am Neuen Deutschen Theater der tschechischen Hauptstadt. 1927 beendete er seine glückliche Zeit in Prag und ging nach Berlin.
Als Mensch mit zum Teil jüdischen familiären Wurzeln musste er Deutschland und bald darauf Österreich verlassen. 1940 starb er entfremdet, frustriert und krank im US-amerikanischen Exil. Dreimal hat Zemlinsky, der vor allem Opernkomponist war, biblische Psalmen auf Deutsch vertont, jeweils zu sehr unterschiedlichen biografischen Gelegenheiten.

Psalmen zum Jubeln und Klagen

Der Psalm 23 ("Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln") stammt aus einer guten Zeit, als Zemlinsky als Dirigent und Komponist in Wien Anerkennung und Zuspruch bekam. Widmungsträger dieses Psalms ist Franz Schreker, der damals Leiter des Wiener Philharmonischen Chores war.
Ganz anders waren die Umstände, unter denen Zemlinsky später den anklagenden Psalm 13 ("Herr, wie lange willst Du mein vergessen?") vertonte. Dass er 1935 in Prag für den erkrankten Kollegen Václav Talich einsprang, erregte bei vielen tschechischen Musikfreunden Widerwillen, aus rein nationalistischen Gründen. Zemlinsky, der Prag als eine zweite Heimat betrachten konnte, war tief deprimiert und ahnte Schlimmstes.
Das Bildnis von Alexander Zemlinsky hinter dem Chor und dem Orchester der Staatsoper Prag am 30.08.2020 im Eröffnungskonzert zu Musica Non Grata
Das Bildnis von Alexander Zemlinsky hinter dem Chor und dem Orchester der Staatsoper Prag am 30.08.2020 im Eröffnungskonzert zu Musica Non Grata© Musica Non Grata / Presse
Seine Tschechische Rhapsodie komponierte Bohuslav Martinů in den letzten Monaten des Ersten Weltkrieges. Es ist ein zutiefst patriotisches, man könnte auch sagen, nationalistisches Werk, recht untypisch für diesen Komponisten, der 1923 nach Paris ging und fortan nie mehr längere Zeit in Tschechien leben sollte.
Gewaltige Choräle ("St. Václav, setz' Dich ein bei Gott für Dein tschechisches Volk!"), Folklore und Kirchengesänge treffen hierin auf effektvolle musikalische Klangexperimente. Insgesamt ein ziemlich konventionelles Werk, wenn man das Gesamtschaffen dieses überaus kreativen kosmopolitischen Komponisten.
Der Generalmusikdirektor des Prager Staatstheaters, der Dirigent und Klarinettist Karl-Heinz Steffens, gibt in dieser Sendung Auskunft zum Projekt Musica Non Grata und den Werken des glanzvollen Eröffnungskonzerts vom 30. August 2020.
Staatsoper Prag
Aufzeichnung vom 30. August 2020
Vítĕzslava Kaprálová
Konzert für Klavier und Orchester d-Moll op. 7
Alexander Zemlinsky
Psalm 23 für gemischten Chor und Orchester
Psalm 13 für gemischten Chor und Orchester
Bohuslav Martinů
Tschechische Rhapsodie für Bariton, gemischten Chor, Orchester und Orgel

Alice Rajnohová, Klavier
Svatopluk Sem, Bariton
Jan Klafus, Orgel
Chor und Orchester der Staatsoper Prag
Leitung: Karl-Heinz Steffens

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