Karikaturist Luz über "Charlie Hebdo"

Die Bewältigung eines Traumas in Comic-Form

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Szene aus "Wir waren Charlie" von Luz. Zu sehen sind mehrere Figuren an einem langen Tisch, die Zeichnungen berarbeiten.
Szene aus "Wir waren Charlie" von Luz. © Reprodukt Verlag
Von Martina Zimmermann · 23.06.2019
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Weil er zu spät zur Arbeit kam, ist Renald Luzier am Leben: Als Zeichner Luz arbeitete er 25 Jahre für die Zeitschrift "Charlie Hebdo", deren Redaktion einem Anschlag zum Opfer fiel. In dem Buch "Indélébiles" erzählt er von der Zeit vor dem Attentat.
"Ich kann keine Reportage mehr vor Ort machen, aus Sicherheitsgründen. Aber dieses Buch ist wie eine Reportage. Ich habe die Bilder in meinem Kopf gesucht, habe wie ein Dokumentar nach Fotos gesucht. Ich hatte diese Vergangenheit verdrängt wegen des Dramas, das uns passiert ist", sagt Luz.

Ein Traum wird zum Comicband

Auf dem Tisch liegt die französische Ausgabe "Indélébiles", auf Deutsch bedeutet das "unauslöschlich": Luz erzählt auf über 300 Seiten seine 25 Jahre mit Charlie Hebdo, die Zeit vor dem Attentat. Auslöser für den Band war ein immer wiederkehrender Traum:
"Ich komme in die Redaktion und alles ist normal. Nur dass ich außerhalb des Raumes bin. Mit der Zeit habe ich begriffen, dass dieser Traum, in dem alles normal ist, ein Ruf meines Hirns ist, zurück zu blicken. Auch wenn es schwer ist und du nichts ändern kannst, musst du zeichnen und dein Ich von heute zurückbringen zu diesem genialen kollektiven Abenteuer."
Januar 2015: Nach dem Anschlag auf die Redaktion hält der Zeichner Luz die neueste Ausgabe von "Charlie Hebdo" in die Höhe.
Januar 2015: Nach dem Anschlag auf die Redaktion hält der Zeichner Luz die neueste Ausgabe von "Charlie Hebdo" in die Höhe.© Sébastien Muylaert/ Wostok Press/ Maxppp Paris France / dpa
Luz kommt als 20-jähriger Jüngling aus der Provinzstadt Tours nach Paris. Seine Zeichnung bringt den berühmten Cartoonisten Cabu zum Lachen, Cabu nimmt Luz mit in die Redaktion von Charlie Hebdo:
"Wir waren Zeichner mit einer breiten Bandbreite. Darunter waren Karikaturen, aber es waren auch Pressezeichnungen zur Aktualität, Comics und vor allem machten wir Reportagen. Cabu war mein Mentor und der bekannte Zeichner. Ihm lagen gezeichnete Reportagen am Herzen. Für ihn durfte man die Welt nicht nur kommentieren, man musste sich auch mit ihr konfrontieren."

Löcher und Leere der Zeitschrift

Die treue Leserschaft schätzt in den 1990er Jahren die politischen Karikaturen, aber auch den investigativen Journalismus der Zeitschrift. Luz macht Reportagen über Polizeigewalt – auf einer Demonstration wird er selbst einmal niedergeknüppelt. Der Karikaturist begibt sich in die als gefährlich gebrandmarkten Vororte und wird zum Kumpel der Typen dort, die über seine Zeichnungen lachen.
Als er Sänger Renaud auf eine Tournee nach Bosnien begleitet, wird Luz von Milizen verhaftet. Der Kommandant lässt ihn laufen, weil er über sein Porträt lachen kann.

"Am schwierigsten waren die Porträts der Menschen, die ich liebe. Die Zeichnung von Charb zum Beispiel zu machen, das war sehr hart. Aber ich musste mich damit konfrontieren. Ich kenne Leute, die alte Charlie-Hefte nicht lesen können, weil ihnen das weh tut. Dieses Buch habe ich auch gemacht, damit die Leute auf früher zurückschauen können und wieder über Zeichnungen lachen können", so Luz.

Luz hat den Mohammed-Titel für die erste Ausgabe nach dem Attentat gezeichnet. Er verließ die Redaktion im Mai 2015 "aus persönlichen Gründen":
"Hätte ich weiter gemacht in einer unveränderten Charlie-Zeitschrift, hätte ich nur Löcher gesehen, die Leere, die die hinterlassen, die nicht mehr da sind. Ich hatte vorgeschlagen, wir machen sechs Monate Pause und sehen dann weiter."

Das Ende der Satirezeitschrift

Die Direktion wollte weitermachen wie bisher. Im März 2015 kündigten mehrere Redakteure. Vor ein paar Tagen kündigte Chefredakteur und Mehrheitsaktionär Riss nun an, einen Teil seiner Aktien an neue Redaktionsmitglieder zu verkaufen und somit seine Nachfolge vorzubereiten.

"Schade, das hätte er 2015 machen können. Das war es, was ein Teil der Redaktion wollte. Er hat Zeit und Autoren verloren. Aber vielleicht war es ein Glück für mich. Hätte ich es geschafft, mich durchzusetzen und wir hätten uns Zeit gelassen, um Charlie zu ändern, wäre ich dann nicht immer noch von den Phantomen besessen? Ich hätte Charlie aus dem Symbol herausbringen wollen, zu dem wir geworden sind", meint Luz.

Mit dem für Luz typischen humorvollen Strich zeichnet er seine Erinnerungen in Schwarz auf Weiß. Nur nächtliche, gewalttätige und Angst erregende Szenen sind im Negativ dargestellt, Weiß auf Schwarz. Die heutige Wirklichkeit, seine nächtlichen Träume, sind in Farben gemalt, in Schwarz und Blau. Das Comicbuch ist in gewisser Weise tröstlich, es ruft eine Zeit in Erinnerung, in der Karikaturen fröhlich Gott und die Welt aufs Korn nehmen konnten.
Das Foto zeigt das Cover des Comicbands "Wir waren Charlie" des Zeichners Luz. Zu sehen sind neben dem Titel mehrere Comicfiguren bei einer Redaktionskonferenz.
Cover "Wir waren Charlie" von Luz© Reprodukt Verlag

Charlie Hebdo – mehr als nur ein Attentat

"Früher dachte man, das ist doch nur eine Zeichnung, weil es keine sozialen Netzwerke gab, die sie aus dem Kontext gerissen verbreiten. Ab 2006 waren wir bei Charlie entweder die schwarzen oder die weißen Reiter. Aber wenn du zu viel überlegst und zu viele Symbole in einer Zeichnung verwendest, wird sie beschissen."

Für viele ist "Charlie" heute nur noch der tragische Augenblick des Attentats. Luz nimmt seine Leserinnen und Leser mit zu den 25 Jahren vor dem Drama, die für ihn wichtiger sind.

Luz: Wir waren Charlie
Reprodukt Berlin 2019
320 Seiten, farbig, EUR 29

Hinweis: Die deutsche Ausgabe erscheint im September 2019 bei Reprodukt. Das französische Original ist unter dem Titel "Indélébiles" bei Futuropolis erschienen.

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