Karge Landschaften

27.07.2010
"Von der Wiederherstellung des Glücks" erzählt von einer kaum bekannten Episode in der Geschichte zwischen den einstigen "Erbfeinden" Deutschland und Frankreich.
Wenige Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs siedelten sich aus Polen vertriebene deutsche Bauern in Südfrankreich an, dort, wo Wehrmachtssoldaten und SS noch kurz zuvor ein Schreckensregiment geführt hatten. Auch die Familie Anna Tünes tut das, und die Autorin macht keinen Hehl daraus, dass die Geschichte, die sie erzählt, ihre eigene ist.

Mitte der 50er-Jahre ziehen die Neuankömmlinge - Eltern mit ihren drei Kindern - in ein gottverlassenes Dorf am Rande der Alpen, nordöstlich von Avignon, um dort einen kleinen Bauernhof zu bewirtschaften. Sie sollen daran mitwirken, die verödete Gegend voranzubringen. Dabei kennen sie weder die Sprache noch ahnen sie, worauf sie sich eingelassen haben. Nahezu nichts wissen sie über das Land und die Menschen, die ihnen mit offenem Ressentiment, mit Angst und Hass begegnen. "Boches", "deutsche Schweine", gehört dabei noch zu den harmlosesten Schimpfworten. Das Buch begleitet die deutschen Einwanderer von den schwierigen Anfangsjahren bis zu ihrer wehmütigen Abreise aus einer neu gewonnenen Heimat zehn Jahre später.

Im Mittelpunkt der Erzählung steht die autobiografisch gezeichnete Hauptfigur, ein Mädchen von vier Jahren, "die Kleine" genannt. Aus ihrer Perspektive, der Staunen, Furcht und Neugier gleichermaßen eingeschrieben sind, schaut man auf karge Landschaften, auf den Dorfplatz, wo die Fremden geschnitten werden oder in die Sonntagsmesse, in der die Mutter, vom Pfarrer ermutigt, "Oh Haupt voll Blut und Wunden" singt - auf deutsch.

Das Buch ist aber keine Autobiografie und auch kein Roman im klassischen Sinne. Zusammengesetzt aus (literarischen) Geschichten und (sachlichen) Ausflügen in die Geschichte ist es vielmehr ein veritabler Zwitter. In kurzen Kapiteln werden Kindheitsszenen voller Anmut aufgefächert, denen trockene, gleichwohl informative historische Exkurse folgen, über Aussiedlungspolitik, den Widerstand in Frankreich oder die Konflikte zwischen Polen und Deutschen, wobei darin mehr Fragen gestellt als Antworten gegeben werden, was den Lesefluss stört.

Dazwischen entführen längere Abschnitte in die eindringlich geschilderte Familiengeschichte von Mutter und Vater, in Bombennächte und manisch-depressiv versehrte Seelen. Neben etwas schwelgerisch gehaltenen Naturimpressionen ragen besonders die Porträts einzelner Menschen aus dem Erzählfluss heraus. Von Sully etwa. Der einstige Partisan, ein Außenseiter, der gegen den Willen seiner Familie die Frau seiner Wahl heiratete, geht als Erster auf die "Feinde" zu und nimmt das kleine Mädchen an der Hand - "was kann sie schon dafür". Oder der Vater eines von der Gestapo zu Tode gefolterten Widerstandskämpfers, der die fremden Kinder aus seinem "Zaubergarten" vertreibt. Er erinnert an den Abgrund, der nach dem Krieg Deutsche und Franzosen trennen musste. Wie es gelang, dass sie sich dennoch verständigten, daran erinnert Anna Tünes Buch auf eindrucksvolle Weise.


Besprochen von Edelgard Abenstein


Anna Tüne, Von der Wiederherstellung des Glücks. Eine deutsche Kindheit in Frankreich
Galiani Verlag, Berlin 2010
256 Seiten, 16,95 Euro