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Champagner-Forschung
Eigenheiten eines "mythischen" Getränks

Silvester naht, da haben viele schon den Champagner kaltgestellt. Der französische Physiker Gerard Liger-Belair macht das das ganze Jahr über - von Berufs wegen. Er interessiert sich für die verschiedensten physikalischen Effekte, die beim Öffnen, Ausgießen und Prickeln im Glas entstehen. Ein blauer Dunst hat es ihm besonders angetan.

Von Lucian Haas | 28.12.2017
    Ein Korken knallt aus einer Champagnerflasche. Kurz danach, das haben Forscher herausgefunden, entsteht blauer Dunst um den Flaschenhals.
    Wenn man bei einer Champagnerflasche den Korken knallen lässt, bildet sich rund um die Flaschenöffnung oft eine feine weiße, vergängliche Nebelwolke. Allerdings nur, wenn der Champagner vorher gut gekühlt wurde. (imago stock&people)
    Zwei Klänge gehören fast unweigerlich zu Silvester und Neujahr dazu. Der eine ist...
    Feuerwerk. Der andere ist...
    ... das Öffnen einer Champagnerflasche. Einer der letzteres schon Tausendfach beobachtet hat – im Dienste der Forschung – ist Gerard Liger-Belair. Der Physiker von der Universität Reims interessiert sich allerdings weniger für die soziale Bedeutung von Champagner, aber umso mehr für dessen physikalische Eigenschaften.
    "Champagner ist ein mythisches Getränk. Es ist immer interessant, neues über einen Mythos zu erfahren. Deshalb erforsche ich all die Phänomene schon seit fast 20 Jahren."
    Mit Highspeed-Kameras und Gas-Chromatographen hat Gerard Liger-Belair beispielsweise untersucht, was passiert, wenn die Kohlensäure des Champagners Gasblasen aus CO2 formt, die dann aufsteigen und an der Oberfläche der Flüssigkeit zerplatzen.
    "Wenn die Blasen bersten, schießen daraus kleine Fontänen empor, die eine feine Champagnergischt verbreiten. Dabei verdampft ein beträchtlicher Teil davon. Das verstärkt den Gehalt an Champagner-Aromen in der Luft."
    Ein bis zwei Millimeter sollten die Bläschen groß werden, bevor sie platzen. Dann sorgen sie für die beste Entfaltung der Champagner-Düfte, hat Gerard Liger-Belair ermittelt. Großen Einfluss auf das aromatische Erlebnis haben allerdings auch die verwendeten Gläser, beziehungsweise deren Form. Von einem schmalen hohen Kelch, der Flöte, rät der Forscher eher ab.
    "Wenn man eine enge Flöte nimmt, wird das CO2 der Kohlensäure über dem Champagner auf kleiner Fläche konzentriert. Das erzeugt dann ein sehr unangenehmes Prickeln in der Nase. Allerdings muss dafür die CO2-Konzentration über 20 Prozent liegen. In der schmalen Öffnung des Flötenglases werden derart hohe Konzentrationen erreicht."
    Ein Mittelding zwischen Flöte und Schale bietet den besten Champagnergenuss
    Die weite Sektschale, der Coupe, in dem Champagner gerne serviert wird, mag Gerard Liger-Belair wiederum auch nicht empfehlen. Bei dieser Glasform würden die Bläschen und Aromen auf einer zu großen Fläche verteilt, um noch konzentriert genug in die Nase steigen zu können. Ein Mittelding zwischen Flöte und Schale mit nicht zu enger Öffnung böte den größten Champagnergenuss, so der Forscher. Nicht alle seine Experimente haben freilich mit dem Geschmackserlebnis von Champagner zu tun – wie seine jüngste Studie zeigt.
    "Das überraschendste Ergebnis ist die Geschichte mit den blauen Schwaden. Das war wirklich eine harte Nuss, und wir haben fast zwei Jahre lang gebraucht, um bis ins Detail klären zu können, was da in sehr kurzer Zeit eigentlich passiert."
    Die Geschichte geht so: Wenn man bei einer Champagnerflasche den Korken knallen lässt, dann bildet sich rund um die Flaschenöffnung oft eine feine weiße, vergängliche Nebelwolke. Das hängt damit zusammen, dass das Kohlendioxid aus der Flasche unter hohem Druck entweicht und sich dabei entspannt. Durch diesen Prozess kühlt das Gas schlagartig ab und lässt Wasser aus der umgebenden Luft kondensieren. So bilden sich die Nebelschwaden. Wird der Champagner allerdings nicht gut gekühlt, sondern mit einer Zimmertemperatur von 20 Grad Celsius serviert, bleibt der weiße Nebel aus. Stattdessen hängt nach dem Ploppen des Korkens nur ein bläulicher Dunst über der Öffnung der Flasche. Es handelt sich um feinste Kristalle aus gefrorenem Kohlendioxid. Das bedeutet allerdings: Der Kühlungseffekt beim Öffnen muss viel stärker sein, damit sogar das CO2 selbst direkt gefriert.
    "Der Gasdruck in der Flasche steigt mit der Temperatur. Wenn man eine 20 Grad warme Champagnerflasche entkorkt, ist der Druckabfall der Gasmischung und damit auch der Abkühlungseffekt viel stärker als bei gut gekühlten Flaschen. Auch wenn es unserer Intuition widerspricht, ist die Temperatur der Gasmischung, die aus der warmen Flasche entweicht, letztendlich viel geringer."
    Geschmacklich habe der blaue CO2-Eisnebel keinen Einfluss auf den Champagner, so der Forscher. Man könne das Phänomen aber nutzen, um allein durch Zuschauen zu erkennen, wenn ein Champagner vor dem Servieren nicht ausreichend gekühlt wurde.
    "Wenn man diese kleinen, blauen Schwaden sieht, muss die entkorkte Flasche mindestens 15 Grad warm gewesen sein. Denn: Dieser Effekt tritt erst ab dieser Temperaturschwelle auf."