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Söldner im Syrien-Krieg
"Die härtesten Kämpfer des IS kommen aus Tschetschenien"

Im Bürgerkrieg in Syrien mischen auch Söldner mit – und zwar sowohl auf Seiten des Assad-Regimes als auch bei der Terrormiliz IS. die Motivation ist dabei unterschiedlich, sagte der Politologe Herfried Münkler im DLF.

Herfried Münkler im Gespräch mit Dirk Müller | 17.08.2016
    Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler zu Gast in der ARD-Talkshow "Anne Will" am 6. Mai 2015
    Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler zu Gast in der ARD-Talkshow "Anne Will" (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Söldner seien ausgebildet und professionell, das unterscheide sie von Freiwilligen, die am Kriegsgeschehen beteiligt sind, aber meist keine Ausbildung mitbrächten. Syriens Machthaber Assad verfüge wohl über hinreichend Geld, um diese Leute anzuwerben.
    Dadurch ergebe sich eine spannende Konstellation: Einerseits dschihadistische Gruppen mit etwa 20.000 Freiwilligen, von denen einige sehr viel Kriegserfahrung hätten und beispielsweise aus Tschetschenien kämen. Diese seien aber nicht nach Syrien gekommen, um für Geld zu kämpfen, sondern weil sie die Ideologie des IS attraktiv fänden.
    Auf der andere Seite stehe das Assad-Regime, das anscheinend über genügend Mittel verfüge, um Söldner anzuwerben. Diese seien weitgehend idelogiefrei.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Syrien – Krieg, Bürgerkrieg, Hunderttausende Tote und Verletzte, Millionen Flüchtlinge. Rebellen kämpfen gegen Regierungstruppen, Rebellen kämpfen gegen russische Soldaten, gegen russische Kampfflugzeuge. Rebellen kämpfen aber auch gegen andere Rebellen, Opposition also gegen Opposition, Moderate gegen Radikale, gegen Extremisten, gegen Islamisten, gegen den IS. Und alles auch irgendwie umgekehrt. Der Westen schaut zu, die rote Linie von Barack Obama hat es immer nur virtuell gegeben. Auf dem Schlachtfeld, im Häuserkampf, im Stellungskrieg zu finden sind aber auch immer mehr Profis, ideologiefreie Kriegsprofis. Tausende Söldner kämpfen in Syrien, kämpfen auch in Aleppo, egal offenbar, gegen wen, weil sie dafür bezahlt werden. Am Telefon begrüße ich nun den Kriegs- und Konfliktforscher Professor Herfried Münkler. Er lehrt politische Ideengeschichte an der Humboldt-Universität in Berlin. Guten Morgen!
    Herfried Münkler: Guten Morgen, Herr Müller!
    Müller: Herr Münkler, sind Söldner die besseren Soldaten?
    Münkler: Sie sind jedenfalls in der Regel ausgebildete, also professionelle Leute. Das unterscheidet sie von reinen Freiwilligen, die häufig in Kriege ziehen, wie wir das ja im Hinblick auf den IS auch in Teilen Europas beobachten können, die aber zumeist keine Ausbildung mitbringen und die erst in den Gebieten ausgebildet werden müssten oder aber nur als Selbstmordattentäter eingesetzt werden können. Söldner bringen Fähigkeiten mit, die man im Prinzip kurzfristig abrufen kann, und das scheint ja das Entscheidende in Syrien zu sein, diesem Krieg. Zunächst einmal, dem Assad-Regime gehen die Kämpfer, die Soldaten aus, und deswegen bedient er sich, wenn man so will, nicht unbedingt der internationalen Märkte für militärische Arbeitskraft, aber der Märkte, die ihm nahestehen. Er hat offenbar mithilfe verschiedener Gruppierungen hinreichend Geld, um diese Leute anzuwerben. Und da beobachten wir in Syrien eine spannende Konstellation, nämlich auf der einen Seite die islamistisch-dschihadistischen Gruppen, denen ja auch Leute, in Anführungsstrichen, aus aller Welt zulaufen – man schätzt, dass aufseiten des IS ungefähr 20.000 solche Freiwillige sind, von denen einige sehr viel Kriegserfahrung haben, etwa die härtesten Kämpfer des IS, das sind Leute, die kommen aus Tschetschenien.
    Müller: Also auch Söldner.
    Münkler: Ja, im weiteren Sinne. Die haben sich allerdings wohl nicht nur entschlossen, nach Syrien zu gehen, weil sie dort Geld verdienen, sondern weil das Programm der Errichtung eines Kalifatsstaats für sie eine hohe ideologische Attraktivität hat.
    "Beim IS kann man nicht viel Geld verdienen"
    Müller: Jetzt hatte ich ja eben, Herr Münkler, behauptet in meiner Anmoderation, das ist ja auch so zum Teil in der Literatur zu finden, dass es im Grunde egal ist, gegen wen sie kämpfen, weil sie sind ideologiefrei. Stimmt das gar nicht so richtig?
    Münkler: Ich würde sagen, diejenigen, die auf der Seite von Assad kämpfen, die sind weitgehend ideologiefrei. Das sind Leute, die man hereingeholt hat gegen Geld. Auf der Seite des IS hingegen haben Sie Leute – ich meine, beim IS kann man nicht viel Geld verdienen, – haben Sie Leute, die in hohem Maße aus ideologisch-religiösen Überzeugungen heraus in diesen Krieg gezogen sind. Die kriegen zwar auch Geld, aber kriegen es nicht – das Geld ist nicht die Hauptmotivation ihres Kriegseinsatzes.
    Müller: Ist dieser Radikalismus, auch dieser ideologische Radikalismus, also in den Krieg zu ziehen als einfacher Mann, vielleicht ja sogar als einfache Frau, ist das in dieser Dimension, in dieser Konstellation – ist das neu, oder ist das immer gegeben?
    Münkler: Nein, das hat es eigentlich immer gegeben. Aus ideologischen Gründen oder aus einer politischen Überzeugung könnte man sagen, wir haben das im 20. Jahrhundert im spanischen Bürgerkrieg beobachtet, wo auf der einen Seite die Interbrigadisten gestanden haben, also sozusagen mehr oder weniger oder auch gar nicht ausgebildete Leute aus Europa, die die Republik verteidigt haben, oder aber für die Verteidigung einer sozialistischen Idee nach Spanien gegangen sind. Auf der anderen Seite dann die in Anführungszeichen Freiwilligen, die von Hitler und Mussolini dorthin geschickt worden sind. Und zweifellos hat Francisco Franco auch auf Söldner, die er in Marokko, wo er ja zuvor stationiert war, zurückgreifen können. Man kann sagen, die Geschichte des Söldnerwesens reicht natürlich sehr viel weiter zurück.
    Müller: Bleiben wir noch mal bei diesem Söldnerwesen. Das ist jetzt vielleicht gar nicht so einfach zu beantworten, ich möchte das trotzdem noch einmal fragen: Wenn Sie jetzt Kriegspartei wären und müssten Ihre Armee, Ihre Kämpfer, Truppen qualitativ gut verstärken, haben Sie eben gesagt, gute Investition, ausgebildete Söldner zu finden, zu rekrutieren – wo beginnen Sie dort, wie bekommen Sie Söldner?
    Münkler: Leute, die so etwas machen, kennen diese Märkte für Arbeitskräfte. Sie brauchen gewissermaßen Agenten, die irgendwo ihre Werbeplätze haben und dann über entsprechende Kanäle – im 17. Jahrhundert hat man dann einen Trommler und einen Zahlmeister hingestellt und einen, der aufgeschrieben hat, wer sich für was verpflichtet hat. Heute geht das vermutlich über Internet-Kommunikation. Der sammelt sie ein und führt sie dann also auf entsprechenden Wegen und Kanälen dorthin, wo sie formiert werden, ausgerüstet werden und zum Einsatz kommen. Also was sich verändert hat, ist die Kommunikation, die Hinweise, die Information. Aber die Struktur des Söldnerwesens ist dieselbe gewesen. Und wenn wir in die Geschichte des Krieges hineinschauen, kann man sagen, viele Kriege der Vergangenheit sind mit solchen Söldnern geführt worden. Dann ist entlang der Idee der Verteidigung des Vaterlandes oder, wie das bei den Preußen oft heißt, der Bereitschaft zum Tod für das Vaterland die geldvermittelte Form der Kriegführung durch eine der Freiwilligkeit beziehungsweise der Wehrpflicht für das Vaterland, also das Land, mit dem man sich zu identifizieren hat, abgelöst worden und zunehmend in den späten 1990er-Jahren beobachten wir ein Aufkommen wieder dieser geldvermittelten Form von Kriegführung. Man könnte sagen, so, wie andere Tätigkeiten auch auf internationalen Märkten nach entsprechenden kompetenten Leuten suchen, so ist auch das Militärwesen, das Soldatsein freilich mit der Besonderheit des Risikos des Todes, zu einem Geschäft geworden.
    Fremdenlegion war "geniale Erfindung"
    Müller: Und das gilt auch für demokratische Staaten? Viele von uns denken ja bei Söldnern, bei den europäischen Söldnern oder europäischen Mächten ja vor allen Dingen auch an Frankreich, die Fremdenlegion, die berüchtigt und legendär zugleich ist. Gehen auch demokratische Staaten hin, wir müssen dort, wenn wir uns die Hände nicht schmutzig machen wollen, Söldner einsetzen. Ist das Usus?
    Münkler: Das, was demokratische Staaten auszeichnet, ist, dass sie sich schon die Hände schmutzig machen, weil sie in der Regel die politische Verantwortung übernehmen, aber das Problem haben, dass im Prinzip ihre Wahlbevölkerung kein Interesse daran hat, die eigenen Söhne dorthin zu schicken. Also greift man im Prinzip auf Gruppierungen zurück, von denen man sagen kann, die haben politisch keine Stimme. Das ist die geniale Erfindung der Fremdenlegion in Frankreich, von der man inzwischen allerdings sagt, 50 Prozent der Legionäre sind inzwischen selbst Franzosen. Also sozusagen, es gibt nicht mehr in Europa hinreichend ausgebildete Leute, die in ihren eigenen keine Betätigung finden, wie das noch 1945 mit teilweise deutschen Soldaten der Fall gewesen ist, die in hohem Maße in der Fremdenlegion waren. Oder nach dem Ende der Sowjetunion respektive des Ostblocks relativ viele Soldaten von dort. Aber natürlich gehört dazu auch das, was man Private Military Companies nennt, Blackwater war eine Zeit lang die Bekannteste. Ja, man kann sagen, die Amerikaner führen im Prinzip auch ihre Kriege oder haben sie im globalen Maßstab mit Rückgriff auf solche Kriegsunternehmer oder Kriegs-AGs geführt.
    Müller: Herr Münkler, die Musik erklingt im Hintergrund, Sie haben schon gleich aufgehört. Vielen Dank dafür, die Nachrichten hier im Deutschlandfunk warten. Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk-Interview der Kriegs- und Konfliktforscher und Politikwissenschaftler, Professor Herfried Münkler. Danke für das Gespräch, auf Wiederhören nach Berlin.
    Münkler: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.