Kanzlerinnengeburtstag

Klug, gelassen - aber nicht mutig genug

Franz Müntefering und Angela Merkel bei einer Kabinettssitzung im Jahr 2007
Franz Müntefering und Angela Merkel bei einer Kabinettssitzung im Jahr 2007 © dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm
17.07.2014
Angela Merkel sei "ein Kumpeltyp, mit dem man schon mal ein Bier trinken gehen könnte", findet der frühere Vizekanzler Franz Müntefering (SPD). Allerdings neige sie auch oft dazu, "die Dinge laufen zu lassen", so dass notwendige Entscheidungen auf die lange Bank geschoben würden.
Nana Brink: Schönen guten Morgen, Herr Müntefering.
Franz Müntefering: Guten Morgen, ich grüße Sie.
Brink: Zu Beginn der großen Koalition hatte man den Eindruck, Kanzlerin und Vizekanzler verstehen sich gut. War das so?
Müntefering: "Wir kannten uns ja schon ein bisschen aus der Zeit vorher. Als Fraktionsvorsitzende hatten wir miteinander zu sprechen, insofern war der Kontakt da, es war uns nicht ganz neu. Aber das Ganze lief dann letztlich auch gut an, nachdem es zunächst am Wahlabend geholpert hatte und alles Mögliche versucht wurde, aber dann war es klar. Und als wir uns entschieden hatten für die große Koalition, dann waren wir auch wohl beide interessiert, was Gutes daraus zu machen.
Brink: Was hat Sie damals beeindruckt an ihr?
"Sie spielt nicht die Chefin aus"
Müntefering: Sie ist sehr klug, versteht sehr schnell, ist eine Netzwerkerin, wie man heute sagt. Sie weiß und verbindet alle Dinge miteinander. Physikerin, hat darin gelernt, kennt die Naturgesetze, und unprätentiös. Sie ist gelassen und ruhig dabei und spielt nicht die Chefin aus.
Brink: Also das sind Eigenschaften, die Ihnen sehr nahe kommen, mit der man auf politischen Ebenen gut verhandeln kann, auch wenn man anderer Meinung ist?
Müntefering: Denke ich, dass das so ist. Das war bei ihr immer ganz klar, da gibt es keine übertriebene Empfindlichkeit, und da gibt es auch nicht so eine Hierarchiemanie, die man manchmal bei Politikern ja auch findet. Sie geht auf Augenhöhe, aber natürlich weiß sie schon, dass sie die Verantwortung hat und auch, dass sie letztlich die Kanzlerin ist, die die Dinge zu verantworten hat.
Brink: Sie hat also nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie den Hut auf hat, also dass sie die Chefin ist?
Müntefering: Nein, aber nicht so, dass sie mit dem Hut da rumgelaufen ist. Man wusste es, aber sie hat dann auch die nötige Sensibilität, um auf die anderen einzugehen und das nicht vor sich herzutragen.
Brink: "Hat sie sich denn verändert in dieser Zeit, in der Sie mit ihr zusammengearbeitet haben?"
Müntefering: Na ja, das Sein bestimmt das Bewusstsein, da hat der Marx sicherlich recht gehabt. Und das gilt für uns alle: Irgendwo verändert man sich natürlich, man weiß nicht, was da stattfindet. Ich erinnere mich sehr gut, als ich sie das erste Mal ins Willy-Brandt-Haus eingeladen hatte zur zweiten Koalitionsrunde – zur ersten waren wir im CDU-Haus –, da hat sie sehr nachdenklich vor der großen Büste von Willy Brandt gestanden, und ich hatte fast den Eindruck: beeindruckt davor gestanden. Das sind dann immer so Augenblicke, wo man so ein bisschen in einen reingucken kann.
"Durchaus witzig und pfiffig"
Brink: Was haben Sie denn gesehen? Normalerweise erleben wir ja Politiker immer nur im Fernsehen, in Statements, und wissen ja gar nicht, dass man sich wahrscheinlich auch persönlich näher kommt.
Müntefering: "Na ja, wir sind schon auf der nötigen Distanz geblieben, aber das liegt auch sicher an mir und an der Art und Weise, wie ich mit anderen Menschen umgehe. Das ist aber auch nicht entscheidend. Das muss nicht kumpelhaft werden, das würde sie sicher nicht wollen, und das hat auch niemand von uns versucht. Aber so in einer kleinen Runde ist sie durchaus ja auch witzig und pfiffig und ein Kumpeltyp, mit dem man schon mal ein Bier trinken gehen könnte, kann ich mir vorstellen."
Brink: Haben Sie das gemacht?
Müntefering: Nee, nee, haben wir nicht gemacht. Immer nur Tee getrunken, wenn wir uns gesehen haben.
Brink: Sie haben immer nur Tee getrunken?
Müntefering: Ja, ja, klar.
Brink: Sie haben Angela Merkel mal mit einem Piloten verglichen, zu dem man sich beruhigt ins Flugzeug setzen kann: Man wird sicher ankommen, man weiß nur nicht, wo.
"Sie neigt dazu, die Dinge nicht nach vorne zu treiben"
Müntefering: "Ja, das ist die Schwäche, die ich bei ihr immer gesehen habe, vielleicht auch der unzureichende Mut oder auch vielleicht die Vorsicht, man kann das so oder so sehen. Sie kennt wie gesagt die Naturgesetze, sie kann Kurzschlüsse verhindern und auch Explosionen. Aber vermisst habe ich manchmal die Bereitschaft, das Land gestalten zu wollen und dazu auch mutig Dinge zu tun. Das ist leicht gesagt, das weiß ich wohl, und die Grenze dabei ist knapp zwischen Leichtsinn und zu großer Vorsicht. Aber sie neigt im Zweifelsfalle dazu, Explosionen zu verhindern und die Dinge nicht nach vorne zu treiben."
Brink: Aber der Erfolg hat ihr doch eigentlich recht gegeben.
Müntefering: Ja, das weiß man ja nicht, was sonst gewesen wäre, wenn man was anderes gemacht hätte – das ist immer schlecht mit den Beweisen –, aber vor allen Dingen ist wichtig, nach vorne zu gucken und zu sagen: Machen wir eigentlich im Augenblick alles das, was wir tun müssten in unserem Land? Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass sie dann manchmal dazu neigt, die Dinge laufen zu lassen und zu hoffen, dass es irgendwie schon gut geht. Da hätte man sich ein bisschen mehr Mut gewünscht. Das hatten wir vorher bei Schröder gehabt und gesehen. Und manche haben vielleicht auch gesagt: 'Das war jetzt genug.' Aber wir brauchen den Mut bitter, denn im Moment bleibt vieles liegen in Deutschland, gar keine Frage. Das ist aber nicht jetzt etwas, was ich sehr personell auf sie ziehen will, sondern ich glaube, das ist die Atmosphäre, die insgesamt da ist. Allerdings macht sie dann auch mit dabei.
Brink: Also dann ist es das, was Sie meinen mit, ihre Politik ist kurzatmig? Was fehlt ihrer Politik? Oder was fehlt der Politik dann vielleicht überhaupt, wenn ...
Müntefering: Das Entscheidende in der Politik ist die Frage der Nachhaltigkeit: Was müssen wir tun, damit die Welt in zehn, in 20, in 30 Jahren noch im Lot ist? Das gilt eben nicht nur für die Ökologie, sondern auch für die ökonomischen und für die sozialen Dinge. Und da wissen wir, dass wir bei uns im Lande Entwicklungen haben, was Altersstrukturen angeht, die Entscheidungen fordern, die bis jetzt ausgeblieben sind. Und da würde ich mir wünschen, dass sie mehr Mut hat. Im Koalitionsvertrag steht jetzt oft genug drin, dass die demografische Entwicklung ganz wichtig ist, aber ich kann nicht erkennen, dass das irgendwo jetzt auch zu konkretem Handeln führen könnte. Und da bin ich mir bei ihr nicht sicher, ob sie so etwas dann auf jeden Fall auch durchsetzt oder ob sie es laufen lässt, bis, ja, bis es zu spät ist.
Schröders Wein - getrunken aus "neuen Schläuchen"
Brink: Jetzt haben Sie uns ja schon verraten, dass Sie beide zusammen immerhin Tee getrunken haben. Was ist denn das lustigste Erlebnis, an das Sie sich mit ihr erinnern können?
Müntefering: Ich kann das gar nicht sagen, ob sie auch immer Tee getrunken hat. Aber wenn wir uns gesehen haben, war eigentlich immer klar, der Tee war vorbereitet. Ich konnte mich wieder hinsetzen, dann gab es Tee. Wir haben natürlich auch mal einen Wein getrunken des Abends miteinander, und sie hat schnell gelernt, dass der Wein von Gerhard Schröder besser war als der, den sie kannte. Und dann haben wir immer den alten Wein getrunken – aus 'neuen Schläuchen', sozusagen.
Brink: Sagt Franz Müntefering, schönen Dank für das Gespräch!
Müntefering: Ja, bitte schön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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