Kampf um Mossul

Angst vor schiitischen Milizen

Irakische Soldaten in Panzern südlich von Mossul
Irakische Soldaten südlich von Mossul © AFP / Ahmad al-Rubaye
Karin Mlodoch im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 20.10.2016
Die Chancen, den IS aus Mossul zu vertreiben, stehen gut. Doch nach einem Sieg der Koalition gegen den IS könnten die Probleme für die Bevölkerung erst richtig anfangen, sagt die Psychologin Karin Mlodoch, die im Irak Traumatisierte betreut.
Die Angst der Menschen irakischen Mossul ist groß: Noch wird die Stadt vom Islamischen Staat (IS) kontrolliert, doch eine Übernahme durch eine Koalition aus irakischen und kurdischen Truppen steht kurz bevor.
Damit würden die Probleme aber möglicherweise erst richtig anfangen, befürchtet Karin Mlodoch, die als Psychologin für den Verein "Haukari" im kurdischen Teil Iraks traumatisierte Menschen betreut.

Wie werden die Kämpfe in Mossul verlaufen?

Einerseits seien die Menschen erleichtert, dass es nun endlich zu einer befreienden Offensive komme, andererseits hätten sie große Sorge, auch angesichts der vielen Flüchtlinge, die vor Kämpfen flüchteten. Karin Mlodoch:
"Aber wie groß die Zahl werden wird, wird entscheidend davon abhängen, wie die Kämpfe verlaufen um Mossul, also, ob das wirklich lang anhaltende Häuser- und Straßenkämpfe werden oder ob … der IS schnell militärisch zu besiegen sein wird und die Menschen dann auch die Möglichkeit haben, sich mit der irakischen Armee zu solidarisieren, und dann wird es weniger Flüchtlinge geben."

Viele verschiedene Akteure

Ein großes Problem sei, dass viele verschiedene Akteure in der Region um Mossul mitmischten – darum auch habe die Offensive erst so spät begonnen. Zudem sei ungewiss, was passieren werde, wenn der IS aus Mossul vertrieben sei – wer dann die Kontrolle dort haben werde.
"Die größte Sorge ist, dass an der Seite der irakischen Armee schiitische Milizen in die Stadt kommen. Wir wissen, dass der Islamische Staat seit Wochen die Bevölkerung sozusagen in Angst und Schrecken versetzt mit eben dieser Meldung, dass schiitische Milizen kommen werden und sunnitische, arabische sunnitische Familien, gegen die Vergeltung verüben werden. Und das hat auch einen realen Hintergrund, weil zum Beispiel im Zentralirak genau das passiert ist, dass halt Gebiete, die vom IS zurückerobert wurden über die irakische Armee, dass dort halt sunnitische Familien von schiitischen Milizen vertrieben und bedrängt wurden."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Seit Anfang der Woche schauen wir alle wieder intensiv auf den Irak, seit dem Beginn der Offensive, mit der Mossul vom IS zurückerobert werden soll. Das ist die Logik des Nachrichtengeschäfts, das plötzliche Scheinwerferlicht auf die Zustände im Irak. – Es gibt Menschen, die sind auch da, wenn die Kameras weg sind, zum Beispiel Karin Mlodoch vom Verein "Haukari", der im kurdischen Teil des Iraks mit Flüchtlingen arbeitet. Frau Mlodoch, herzlich willkommen hier bei uns im Studio!
Karin Mlodoch: Guten Morgen!
Frenzel: Sie sind am Dienstag erst zurückgekommen aus dem Irak, Sie waren dort in einer Stadt etwa 150 Kilometer entfernt von Mossul. Haben Sie dort etwas zu spüren bekommen von diesem beginnenden Angriff, von dieser Offensive?
Mlodoch: Ja, auf jeden Fall. Also, diese Offensive auf Mossul hängt ja jetzt oder hing jetzt schon wie ein Damoklesschwert monatelang über der Region, kommt sie, kommt sie nicht? Aber es war jetzt in der letzten Woche schon spürbar, dass es jetzt wirklich kurz bevorsteht. Also, man hat die intensiven Verhandlungen der kurdischen Regierung mit der irakischen Regierung um die Pläne für die Eroberung von Mossul mitbekommen, man hat mitbekommen, dass Truppen verlegt wurden, kurdische Peschmerga-Verbände, irakische Truppen, und es wurde auch einfach in den lokalen Fernsehstationen ununterbrochen über diese bevorstehende Offensive berichtet, die Leute wurden natürlich auch sozusagen … Es wurde den Leuten Mut gemacht, weil, auf der einen Seite ist es fast so ein bisschen Erleichterung, dass es jetzt endlich passiert, auf der anderen Seite aber natürlich große, große Sorge. Also …
Frenzel: Sorge zum Beispiel auch angesichts der Flüchtlinge, der neuen Flüchtlinge, die entstehen könnten durch diesen Kampf? Die Vereinten Nationen haben eine Zahl genannt, sie rechnen mit bis zu 1,5 Millionen weiteren Flüchtlingen. Ist das realistisch
Mlodoch: Genau. Also, erst mal, weil Sie sagten Sorge: Natürlich haben einfach viele kurdische Familien auch Sorge, weil ihre Söhne bei den kurdischen Verbänden sind, und es hat ja auch schon erste Tote gegeben jetzt in den ersten Tagen, das ist eine Sorge. Dann gibt es die Sorge um die Bevölkerung in Mossul, was mit denen passieren wird, und dann, wie Sie sagen, halt die Sorge vor weiteren Flüchtlingen. Also, ich meine, diese Zahlen, 1,5 Millionen, ich finde das immer schwierig, größte humanitäre Krise …

Kaum eine größere humanitäre Krise denkbar

Ich glaube, es gibt kaum noch eine größere humanitäre Krise, als wir überhaupt schon die ganze Zeit erleben, auch in Aleppo. Aber ja, es gibt über eine Million Menschen, die noch in Mossul leben, und ich denke, die Zahl … Und die kurdische Region bereitet sich auf einen weiteren Zustrom von Geflüchteten aus Mossul vor. Aber wie groß die Zahl werden wird, wird halt entscheidend davon abhängen, wie die Kämpfe verlaufen um Mossul, also, ob das wirklich lang anhaltende Häuser- und Straßenkämpfe werden oder ob es halt relativ schnell … ob der IS schnell militärisch zu besiegen sein wird und die Menschen dann auch die Möglichkeit haben, sich mit der irakischen Armee zu solidarisieren, und dann wird es weniger Flüchtlinge geben.
Frenzel: Unberechenbar, wie es weitergeht. Bei diesem Stichwort denke ich an eine Meldung, die uns gerade erreicht hat, eine Meldung, dass die türkische Luftwaffe wohl 200 kurdische Kämpfer getötet haben soll in der Nähe von Aleppo mit Bombenangriffen. Wenn Sie diese Nachrichten hören, wenn Sie den Sturm auf Mossul sehen, Sie kennen die Situation der Flüchtlinge … Wie dramatisch würden Sie die einschätzen?
Mlodoch: Also, erst mal, diese Meldung habe ich auf dem Weg hierher natürlich auch gehört und bin darüber sehr erschüttert. Grundsätzlich ist es so, dass … Warum die Offensive auf Mossul überhaupt so spät begonnen hat, hat ja damit zu tun, dass so viele Akteure dort mitmischen und Ansprüche anmelden erst mal auf die Beteiligung an der Offensive, aber dann später natürlich auch auf die Kontrolle über Mossul. Und das ist eben überhaupt das große Fragezeichen, also, was wird passieren, wenn der IS militärisch sozusagen aus Mossul verdrängt ist, wer wird dort die Kontrolle haben?
Frenzel: Was ist denn Ihre Vermutung oder …
Mlodoch: Also, die irakische Armee hat jetzt eine sehr starke Führungsrolle in dieser Offensive. Es gibt halt … Es Verhandlungen gegeben mit den kurdischen Peschmerga, die jetzt … Und die kurdische Regierung sagt jetzt auch, dass sie keine Ansprüche auf Mossul oder auf die Kontrolle dort erhebt, dass sie sich auf eine bestimmte Linie geeinigt haben, bis wohin die kurdischen Verbände vordringen können. Die größte Sorge ist, dass an der Seite der irakischen Armee schiitische Milizen in die Stadt kommen.

Angst und Schrecken

Wir wissen, dass der Islamische Staat seit Wochen die Bevölkerung sozusagen in Angst und Schrecken versetzt mit eben dieser Meldung, dass schiitische Milizen kommen werden und sunnitische, arabische sunnitische Familien, gegen die Vergeltung verüben werden. Und das hat auch einen realen Hintergrund, weil zum Beispiel im Zentralirak genau das passiert ist, dass halt Gebiete, die vom IS zurückerobert wurden über die irakische Armee, dass dort halt sunnitische Familien von schiitischen Milizen vertrieben und bedrängt wurden. Also, das ist so das Szenario. Und dann fängt jetzt eben an, die türkische Regierung hat jetzt eben Ansprüche angemeldet, beteiligt zu werden, hat sunnitische Milizen vor Ort ausgebildet, die auch sozusagen auf dem Weg nach Mossul sind, und es ist genau diese Gemengelage, von der es entscheidend abhängen wird, also, ob es da eine klare Lösung geben wird, ob es der irakischen Armee gelingt, Mossul zu kontrollieren und diese unterschiedlichen Ansprüche sozusagen in der Balance zu halten. Davon wird auch die Zahl der Flüchtlinge abhängen, ja.
Frenzel: Es bleibt eine schwierige Gemengelage. Karin Mlodoch vom Verein "Haukari" bei uns zu Gast im Deutschlandradio Kultur. Vielen Dank für Ihren Besuch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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