Kampf um gesellschaftliche Anerkennung

Die große Sehnsucht nach dem "Gleichheitsgefühl"

07:25 Minuten
Beine und Füße einer Geschäftsfrau zwischen Beinen und Füßen von Geschäftsmännern.
Solange wir Ungleichheit haben, müssen wir versuchen, etwas dagegen zu tun, sagt der Philosoph Stefan Gosepath. © imago stock&people
Stefan Gosepath im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 13.08.2019
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Gleichheit sei in einer Gesellschaft erst dann erreicht, wenn wir "blind" werden für die Unterschiede, sagt der Philosoph Stefan Gosepath. Aktuell gebe es in Deutschland einen "Kampf" darum, wer in der Gesellschaft etwas zu sagen habe.
"Wir haben die kulturellen Auswirkungen des Eingemauertseins unterschätzt", sagt der Philosoph Stefan Gosepath über die nach wie vor als ungleich erlebten Verhältnisse zwischen Ost- und Westdeutschland.
Hinzu kommen weiterhin existierende ökonomische Unterschiede: So haben die Menschen in Ostdeutschland weniger Vermögen, weniger Rente, aber mehr Armut. Diesbezüglich sei ihre Lage mit der von Migranten vergleichbar, stellt dazu die Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan fest.

"Identitäre Logik" greift nicht

Allein aus dem "Deutschsein" ist bei vielen Ostdeutschen kein Gleichheitsgefühl entstanden, sagt Gosepath. Die "identitäre Logik" greife daher nicht. Gosepath erklärt das mit den "zwei Dimensionen von Gleichheit". Zum einen sei da das Ideal der ökonomischen Gleichheit, nämlich sein Leben durch eigene Arbeit finanzieren zu können. Hinzu komme die "andere Gleichheit" - nämlich die als gleichberechtigter Bürger oder als gleichberechtigte Bürgerin in dieser Gesellschaft anerkannt zu werden.
Beide Dimensionen könnten sich überlappen, etwa wenn ein reicher Migrant wegen seiner Hautfarbe trotzdem ausgeschlossen werde.

Bewusstsein für Unterschiede geschärft

"Wir sind keine Gesellschaft, in der alle gleiche Teilhabe am öffentlichen Leben haben", sagt Gosepath. Das sei allerdings auch vor der "Migrationswelle" im Jahr 2015 schon so gewesen. Das Jahr 2015 habe das Bewusstsein für die unterschiedlichen Hintergründe der Menschen in Deutschland lediglich geschärft. Aktuell gebe es einen "Kampf" darum, wer die Vorherrschaft habe und wer etwas in der Gesellschaft zu sagen habe.
Gleichheit sei grundsätzlich erst dann erreicht, wenn wir in gewisser Weise blind für die Unterschiede würden. Diesbezüglich hätten etwa Lesben und Schwule eine sehr erfolgreiche Identitätspolitik betrieben.
"Erst wenn wir diese Gleichheit haben, können wir wirklich diese Neutralität, diese Blindheit, anlegen", meint Gosepath. "Solange wir Ungleichheit haben, müssen wir uns dafür interessieren, dass bestimmte Leute benachteiligt werden und versuchen, etwas dagegen zu tun."
(huc)
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