"Kampf um die klügsten Köpfe"

Ulrich Kirsch im Gespräch mit Ute Welty · 14.08.2010
Sollten die Pläne zur Reform der Bundeswehr umgesetzt werden, trete die Armee in den Wettbewerb mit der Wirtschaft, glaubt Ulrich Kirsch, der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes. Vor allem die "weichen Faktoren" müssten für die Soldaten verbessert werden.
Ute Welty: Deutschland wird in Zukunft weniger Soldaten haben, das ist ausgemacht. Wahrscheinlich wird es auf eine Truppenstärke von um die 170.000 Soldaten hinauslaufen, und wahrscheinlich wird die Wehrpflicht ausgesetzt werden, die im Grundgesetz ohnehin nur als Kann-Vorschrift verankert ist. Eine Verfassungsänderung ist dafür nicht notwendig, die einfache Mehrheit im Bundestag würde also reichen. Nur: Was sagen die Soldaten selbst dazu? Fragen wir also Ulrich Kirsch, den Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes, der mit mehr als 200.000 Mitgliedern die Wehrpflichtigen vertritt sowie die aktiven und die ehemaligen Soldaten. Guten Morgen, Herr Kirsch!

Ulrich Kirsch: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Können Sie mit einer Aussetzung der Wehrpflicht leben, oder müssen Sie sich gegebenenfalls damit abfinden?

Kirsch: Also der Deutsche Bundeswehrverband hat die Messlatte in der Diskussion um die allgemeine Wehrpflicht ganz besonders hoch gelegt, weil wir der Auffassung sind, dass man, wenn man sie aussetzt, einer Abschaffung sehr nahe kommt und man sich auf diese Art und Weise von ihr verabschiedet. Und das wollten wir keinem leicht machen.

Nun haben wir die Situation, dass im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung sechs Monate festgezurrt worden sind, und alles, was wir im Moment so hören aus der Truppe, sagt uns: Diese sechs Monate sind fast nicht zu realisieren. Da was Vernünftiges draus zu machen, kommt der Quadratur des Kreises nahe. Und davor haben wir im Übrigen auch immer gewarnt, also ich habe als erste Reaktion damals, als das hochkam, gesagt: Das wird aller Voraussicht nach der Einstieg in den Ausstieg sein, und ich denke, das haben eigentlich diejenigen, die es so gestaltet haben, auch einigermaßen, damals schon, erahnt.

Jetzt haben wir eben die Situation, dass das, was wir haben – nämlich die sechs Monate, das Wehrpflichtgesetz ist ja geändert –, nicht ausreicht, eigentlich nichts bringt, und jetzt kommen andere Vorschläge wie der vom Minister zu Guttenberg und von dem … natürlich vom Bundesministerium der Verteidigung, einen freiwilligen Wehrdienst einzuführen. Da geht es um eine Zahl von 7500.

Welty: Statt Wehrpflichtiger sollen jetzt also Freiwillige her, das würde die Bundeswehr noch mehr in Konkurrenz bringen zu anderen Arbeitgebern, zu anderen Unternehmen, die Mechaniker brauchen oder Mediziner oder eben auch Manager, die dann halt eine Offiziersuniform tragen. Ist die Bundeswehr fit genug für diese Konkurrenz?

Kirsch: Ja, Frau Welty, da treffen Sie genau den Nagel auf den Kopf: Die Arbeitnehmer in Deutschland werden wahrscheinlich eine gute Zukunft haben, weil es einen hohen Wettbewerb um sie geben wird. Wir stehen dann in Konkurrenz mit Firmen wie der BASF, BMW aber auch wirklich guten, mittelständischen und kleinen Unternehmen, die wir doch in Deutschland haben. Und die sind natürlich wesentlich flexibler, sich auf veränderte Lagen einzustellen, als ein solch großer Apparat wie die Bundeswehr.

Das ist auch der Grund gewesen, warum wir eine Attraktivitätsagenda aufgelegt haben, eine Attraktivitätsagenda 2011, und haben die auch der Bundeskanzlerin und dem Bundesminister der Verteidigung, aber auch dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, den Obleuten überreicht mit dem Hinweis: Wenn das nicht umgesetzt wird, was wir darin festgehalten haben, dann haben wir die große Sorge, dass wir im Wettbewerb mit anderen überhaupt bestehen können, was den Kampf um die klügsten Köpfe und die geschicktesten Hände betrifft.

Welty: Und wie stellen Sie sich das vor, die Attraktivität der Bundeswehr zu steigern?

Kirsch: Also das geht zunächst einmal auch über die Bezahlung, das ist es aber nicht alleine, sondern die vielen sogenannten weichen Faktoren sind ganz entscheidend. Wenn ich mal an die Vereinbarkeit von Familie und Dienst denke – wir haben es also bis heute noch nicht geschafft, in der Bundeswehr die Pendler so mit Möglichkeiten, dann auch ihr müdes Haupt abends irgendwo hinzulegen, wenn sie pendeln, das haben wir nicht geschafft, sie damit zu versehen.

Und wir haben noch viele, viele Dinge, die auf dem Lastenheft stehen, die hier abgearbeitet werden müssen, und das liegt nicht daran, dass wir nicht wissen, was wir tun müssen, sondern es liegt schlicht und ergreifend daran, dass die finanzielle Ausstattung dafür nicht zur Verfügung steht, und das liegt zum Teil auch daran, dass bei diesen Dingen immer viele Ressorts, viele Administrationen gefragt sind.

Ich nenne mal ein Beispiel: Wenn es darum geht, eine Wahlfreiheit zu schaffen, ob man umzieht oder ob man pendelt, dann hat das Bundesministerium des Inneren Zuständigkeit, nicht das Bundesministerium der Verteidigung. Und deswegen ist es auch nicht zu machen, dass der Minister zu Guttenberg das alleine regelt. Hier ist auch die Regierungschefin ganz klar gefragt. Sie wird hier auch mit Hand anlegen müssen, um diese Dinge zu koordinieren, das Bundeskanzleramt ist gefragt. Und das macht so ein bisschen deutlich, wie komplex diese Situation ist, diese Dinge auch umzusetzen.

Und das haben wir alles mal aufgeschrieben, alles mal so aufgeschrieben, dass also auch jetzt eine breite Akzeptanz da ist, wo alle sagen: Jawohl, das sind die Maßnahmen, die erfolgen müssen. Und das ist unsere Messlatte, die wir anlegen werden, wo wir gucken werden: Wie wird denn diese Reform, die jetzt beabsichtigt ist, zum Erfolg geführt? Und ich bin ganz sicher, wenn diese Dinge nicht umgesetzt werden, dann wird diese Reform scheitern.

Welty: Auch wenn es vielleicht darauf hinausläuft, mit dem beschriebenen Modell ist die Abschaffung der Wehrpflicht ja erst mal explizit vom Tisch. Könnte es sein, dass dieses Thema überhaupt nur als Worst-Case-Szenario aufgekommen ist, um mehr Verhandlungsmasse zu schaffen für den Verteidigungsminister von der CSU? Schließlich halten ja auch in Bayern verschiedene Bundeswehrstandorte ganze Gegenden am Laufen.

Kirsch: Ja, ja, das ist auch vollkommen richtig, natürlich ist da auch ein Stück weit Verhandlungsmasse, denn gucken wir mal hin, was im Moment passiert: Die CSU macht das Thema oder hat das Thema auf dem Parteitag Ende Oktober, die CDU will dieses Thema Mitte November auf dem Parteitag noch mal verhandeln, denn die konservativen Parteien tun sich außerordentlich schwer, die Wehrpflicht so ohne Weiteres auszusetzen, weil sie wissen, dass es einer Abschaffung annähernd gleichkommt.

Eine Abschaffung steht außer Frage, weil dazu bräuchte man eine Zwei-Drittel-Mehrheit, das ist im Moment nicht drin. Also diese Debatte, die wird noch mal hochkommen. Nur muss ich natürlich kritisch fragen, wenn ich jetzt mal gerade in die Richtung der CSU schaue, und gerade mal auf den Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden Seehofer: Der war ja dabei, als der Koalitionsvertrag geschlossen ist. Und jetzt ist er der Lordsiegelbewahrer der allgemeinen Wehrpflicht. Das ist widersprüchlich, denn die sechs Monate, das haben alle gewusst, die werden nicht zum Erfolg führen, sondern alle haben gewusst: Wenn die sechs Monate kommen, dann werden diese Streitkräfte in eine solche Schwierigkeit hineinschlittern, dass genau am Ende das rauskommt, was wir jetzt haben. Das war absehbar.

Und insofern wird es noch mal spannend werden, und ich bin, muss ich sagen, auch sehr froh darüber, dass diese Debatte noch mal hochkocht, denn wir sind ja diejenigen, ich sagte es ganz zu Beginn, die die Messlatte sehr hoch legen. Und ich habe noch ein Buch herausgegeben vor ein paar Wochen, das heißt: "Darum Wehrpflicht", und habe alle Begründungen auch noch mal aufgelistet, die ja bekannt sind.

Eigentlich sind diese Dinge alle ausgetauscht, es ist alles gesagt, es ist noch nicht von jedem gesagt. Wir haben es trotzdem noch mal zusammengefasst, um noch mal auch ein deutliches Zeichen zu setzen, wie wir dazu stehen. Die Debatte wird spannend, ich werde bei beiden Parteitagen definitiv anwesend sein.

Welty: Wir haben nicht zum letzten Mal über die Zukunft der Bundeswehr gesprochen. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes hier im Interview der Orstzeit, Ulrich Kirsch, ich danke für das Gespräch.

Kirsch: Gerne, Frau Welty.
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