Kampf gegen die Glatze

Hoffnung einpflanzen – Haar für Haar

Ein Besucher mit Halbglatze steht vor dem Bild "Hair Partition" des Künstlers Domenico Gnoli in der Ludwiggalerie im Schloss Oberhausen.
Der Traum vom vollen Haupthaar: Ein Ausstellungsbesucher mit Halbglatze steht vor dem Bild "Hair Partition". © dpa / picture alliance / Roland Weihrauch
Von Heiner Kiesel · 08.08.2015
Genetisch bedingter Haarausfall betrifft fast die Hälfte der deutschen Männer. Manche entschließen sich zur Haartransplantation, weil sie die Schmach vor dem Spiegel nicht mehr ertragen. Der Kampf gegen die Glatze – eine schmerzhafte und kostspielige Angelegenheit.
"Wir haben also einen Sprayflasche, und damit schaffen Sie, dass sie das Haar voller erscheinen lassen und Sie sich wohler fühlen."
Das war vor einem Jahr. Olaf Stach steht mit seiner Frau Monika im Bad. Sie kümmern sich um seine Frisur. Er, ein erfolgreicher Firmenchef Anfang 50, hat sonst eigentlich alles im Griff. Nur auf dem Kopf machen sich die Haare peu à peu davon. Er peppt sie mit Haarverdichter auf. Schluckt Hormone. Trauert der Mähnenpracht seiner Jugend hinterher:
"Jeden Morgen, wenn ich an den Spiegel herantrete, sehe ich meine Haare und denke mir, eigentlich könnte man dies doch ein bisschen besser haben, oder ich könnte mich doch noch ein bisschen wohler fühlen, wenn die Haarpracht von damals erhalten geblieben wäre."
Seit er 20 ist, hat er diese Panik vor der Glatze. Papa, Opa, der Bruder – alle kahl. Nichts für ihn.
Monika Stach legt letzte Hand an. Sie ist die einzige, die er an seine dünn stehenden Haare lässt. Praktisch: Seine Frau ist gelernte Friseurin. Sie unterstützt ihn. Auch bei dem Plan, sich einer Haartransplantation zu unterziehen. Die steht unmittelbar bevor.
Der Kopf sieht aus wie ein blutiges Sieb
Die OP findet in einem Berliner Transplantationszentrum zu. Stach liegt bäuchlings auf einer Liege. Der Arzt Reza Azar greift sich vom Instrumententischchen ein Gerät, das aussieht wie ein silberner Kuli mit abgesägter Spitze:
"Wie gesagt, eine Hohlnadel, gleiten die Hohlnadel über das Haar hinein und stanzen den Haarfollikel frei. Der nächste Schritt ist, mit einer feinen Pinzette das Transplantat raus."
Wo er piekt, entsteht ein kreisrundes Löchlein in Stachs Hinterkopf. Der sichere Bereich, sagt Azar. Der Spenderbereich. Dort sind die Haare so beschaffen, dass sie vom genetischen Haarausfall verschont bleiben. Dort macht der Arzt die Haarwurzel-Ernte. Aber vorsichtig.
Haartransplantation
Da braucht man eine ruhige Hand: Die Haartransplantation© Deutschlandradio Kultur / Heiner Kiesel
Azar zupft. Reicht das Transplantat weiter. Jana, die Assistentin, taucht es in ein Schälchen mit gekühlter Kochsalzlösung. Legt den Haarfollikel ab. Auf ihrem Tablett werden es immer mehr. Stachs Kopf sieht bald aus wie ein blutiges Sieb.
Reza Azar: "Haben wir 100."
Jana: "93!"
Er hat genug beisammen. Jetzt muss es rasch gehen.
Reza Azar: "Gleich drehen Sie sich dann auf den Rücken und dann fangen wir an mit Desinfektion und Betäubung im Empfangsbereich an."
Betäubungsspritze hinter der Stirn. Im "Empfangsbereich".
Olaf Stach: "Aaargh!"
Jetzt hat Azar eine sehr feine Klinge in der Hand. Er schneidet Minischlitze für seine Setzlinge und pfropft die Haarfollikel ein. Der Mülleimer hinter dem Arzt füllt sich mit blutigem Mull. Zwei Tage lang. Nach der ärztlichen Gebührenordnung gibt es pro Transplantat 4,60 Euro.
Reza Azar: "Wir haben es geschafft. Also wir haben nicht die ursprünglichen 2000, sondern ... Wie viel sind es?"
Jana: "1412."
Reza Azar: "1412, also ich brauche ihre Bankverbindung!" (Gelächter)
Stach lacht mit, erleichtert. 1412 Mal hat Azar Hoffnung eingepflanzt. In einem Jahr weiß er, ob sie berechtigt war. Solange brauchen die Haarfollikel, um sich zu erholen. Monika Stach ist dazugekommen. Sie schmiegt sich an ihren Mann:
"Ich glaube, es verändert sich ganz viel für ihn, ja. Also nicht nur für ihn, sondern auch für mich. Ich profitiere natürlich auch davon."
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Haartransplantation - die Operation ist eine Strapaze. © Heiner Kiesel
Ein Jahr später, im Badezimmer...
Olaf Stach: "Angenehm, nur angenehm."
Ein Jahr ist vergangen seit der Strapaze bei Doktor Azar. Und Stachs Leben hat sich verändert. Ziemlich. Der Unternehmer steht vor dem Spiegel im Waschraum seiner Firma. Selbstbewusst. Stolz. Jugendlich. Er beugt sich vor. Der genaue Blick zeigt: Die Haare sind viel dichter als früher:
"Wenn ich mich heute kämme, oder meine Haare betrachte, dann ist das das, was ich als altersgerecht mir gewünscht habe. Also ich kann sie durchkämmen, ich trage die Haare kürzer wie damals."
Stach fühlt sich jetzt so, wie er sein sollte. Die Ängste nur noch Erinnerung. Seine langjährige Ehefrau und Haarvertraute Monika Stach findet zwar, er könnte mehr aus seiner Frisur machen. Aber sie kommt eigentlich nicht mehr vor in der neuen Normalität. Stach hat jetzt eine Neue, viel jünger.
Hat das was mit den Haaren zu tun? Oder mit seinem gewachsenen Selbstbewusstsein? Ist er jetzt glücklicher als vor einem Jahr?
Eigentlich ist ihm das alles zu privat. Er hebt unschlüssig die Schultern. Was ist schon Glück? Er war ja nie unglücklich, sagt er heute und wirft im Gehen einen stolzen Blick auf sein Spiegelbild:
"Es ist leider Gottes wie eine kosmetische Operation. Ich will nicht sagen jetzt zeitgemäß, aber der Mensch trennt sich heutzutage früher."
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