Kampf gegen den "No Hair Day"

12.03.2012
Es geht um Brustkrebs - und um die Erkrankung einer erotischen, umtriebigen jungen Frau. Das ist ihre eigene Geschichte, die Geschichte der Marisa Marchetto. Für ihren Graphic Novel ist die New Yorkerin mehrfach ausgezeichnet worden. Jetzt erscheint "Cancer Woman" auf Deutsch.
Eine glückliche Frau läuft aufgeregt durch ihr New Yorker Appartement. Sie hat einen Heiratsantrag bekommen, von einem der begehrtesten Junggesellen der Stadt. Was muss sie nicht alles regeln, Freunde und Familie anrufen, ein rauschendes Hochzeitsfest vorbereiten. Es klingelt, sie läuft zur Tür. "Wer ist da", fragt sie. "Krebs", ruft es von draußen. "Krebs - wer?" Sie schielt durch den Türspion, will öffnen, doch da kracht ihr die Tür auch schon entgegen und ein furchterregender Schattenkopf ohne Gesicht brüllt sie an: "DEIN HOCHZEITSKREBS! DEIN KARRIEREKREBS! DEIN LEBENSKREBS!"

Starke Bilder findet Marisa Acocella Marchetto in ihrem Buch "Cancer Woman", das nach seinem großen Erfolg in den USA nun auch auf Deutsch erschienen ist. In der Comic-Erzählung lässt die Autorin die Geschichte ihrer eigenen Brustkrebserkrankung Revue passieren - komisch, ironisch, wuchtig und frei von jeglicher Larmoyanz.

Als sie die Diagnose erhielt, ist Marisa Acocella Marchetto 43 Jahre alt und verdingt sich als aufstrebende Cartoonistin in der Kreativ-Hochburg New York. Ihre Gedanken kreisen um Erfolg, Schönheit und Bettgeschichten. Umso massiver bricht die Krankheit in ihr Leben ein - und als gute Cartoonistin schlägt die Autorin aus dem krassen Gegensatz zwischen hippem Partyleben und drohendem Zerfall jede Menge komisches Kapital.

Beeindruckend ist der Galgenhumor, mit dem Marisa Acocella Marchetto zu Werke geht. Da dudelt es "Staying alive" in der Telefon-Warteschleife ihres Onkologen. Oder beim mühsamen Versuch des Smalltalks im Café taucht ein Tapetenmuster an den Wänden auf: "Cancer, Cancer, Cancer", flüstern die bunten Blasen. An anderer Stelle mutiert die weibliche Sorge um den "bad hair day" zum Grauen vor dem "no hair day."

Erwacht für die ernsten Seiten des Lebens, nimmt die Autorin auch soziale Realitäten in den Blick. Als sie den Knoten in ihrer Brust ertastet, ist sie ohne Krankenversicherung - gedankenlos und überarbeitet hat sie sich nicht darum gekümmert. Mit zu Herzen gehender Verzweiflung sieht man sie Ärzte und Krankenhäuser abtelefonieren, um die lebensrettende Behandlung zu ergattern.

Auch die Ursachen von Brustkrebs nimmt die Autorin ins Visier. Überall in den USA gibt es so genannte "Brustkrebs-Cluster" - lokale Häufungen der Krankheit. Warum? Sind es die Starkstromleitungen neben der Grundschule? Die unsanierten Giftmülldeponien unter schmucken Vorstadtsiedlungen? Bitter fragt die Autorin: Was tun wir uns an?

In einfachen, farbigen Bildern erzählt Marisa Acocella Marchetto den größten Teil ihrer Odyssee, in starkem Kontrast dazu die dosiert platzierten metaphorischen Abbildungen. Wenn ein riesiger, seitenfüllender Staubsauger Zeichnerin samt Radiergummi und Stift verschlingt oder wenn sie, an den Rand eines leeren Weltalls geschleudert, mit Gott hadert und ihm wütend zubrüllt: "Ich glaube, wir sollten uns eine Zeit lang trennen!" - dann weiß man: Auch ein Comic kann ein großes Buch sein.

Besprochen von Susanne Billig

Marisa Acocella Marchetto: "Cancer Woman: Eine wahre Geschichte"
Atrium-Verlag, Hamburg 2012
224 Seiten, 22,95 Euro

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