Kampf gegen den Energiehunger

Wie man klimaneutral leben kann

08:57 Minuten
Klima-Demonstration im australischen Melbourne am 20. September 2019. Zu sehen ist ein Schild, das in die Höhe gehalten wird: Eine Figur umarmt die Erdkugel, darüber steht "Keep on caring".
Weltweit engagieren sich Menschen für mehr Klimaschutz. Klimaneutral zu leben, ist möglich, sagt Luzia Jochner-Freitag. © James Ross/imago-images.de
Luzia Jochner-Freitag im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 20.09.2019
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Auf Flüge und Autos verzichten, weniger Fleisch essen - genügt das schon, um klimaneutral zu leben? Luzia Jochner-Freitag findet: Da geht mehr - und hat dafür mit anderen die Initiative "100 x klimaneutral" ins Leben gerufen.
Stephan Karkowsky: Heute ist ein wichtiger Tag für die Klimabewegung. Bundesweit soll es Proteste geben, zusammen mit "Fridays for Future". Außerdem kommt heute das sogenannte Klimakabinett endlich mit seinen Vorschlägen um die Ecke, wie wir in Zukunft das Klima wirksamer schützen sollen, ohne dabei draufzuzahlen, denn das ist ja noch der große Knackpunkt. Ich behaupte ja, 100 Prozent klimaneutral zu leben, das geht nicht, es lässt sich privat nicht mehr richtig leben, hat schon Adorno gesagt. Familie Jochner aus dem Chiemgau ist die Antithese dazu. Sie versucht nämlich zu 100 Prozent genau das und andere dafür zu begeistern. Wie sie das macht, soll mir Lucia Jochner-Freitag selbst erklären.
Ich kenne viele, die kein Auto haben, keinen Fernseher, nehmen nie das Flugzeug, ernähren sich vegan. Reicht das schon, um klimaneutral zu leben?
Jochner-Freitag: Es ist auf einem guten Weg dahin, weil sie schon mehrere der großen Sektoren angesprochen haben, die wesentlich zum Energie- und zum CO2-Ausstoß von uns Bundesbürgern, Bundesbürgerinnen beitragen. Es reicht noch nicht ganz.

Jeder Bundesbürger stößt 10,6 Tonnen CO2 pro Jahr aus

Karkowsky: Sondern, was muss noch passieren?
Jochner-Freitag: Unsere Initiative lädt dazu ein, in einem ersten Schritt eben, wie Sie sagen, den CO2-Ausstoß zu senken mit allen möglichen Schritten, die je nach persönlicher Lebenssituation einfach gangbar sind, und den verbleibenden Rest, der derzeit noch nicht vermeidbar ist, dann zu kompensieren.
Flugzeug mit Kondensstreifen streift den Mond am Himmel. 
Wie viel Flugreisen können wir uns in Zukunft noch leisten, wenn wir das Klima schützen wollen?© imago / Christian Ohde
Karkowsky: Durch?
Jochner-Freitag: Das sieht bei uns zum Beispiel so aus: Der Bundesbürger, die Bundesbürgerin im Durchschnitt hat einen CO2-Ausstoß pro Jahr von 10,6 Tonnen CO2-Äquivalenten. Jetzt haben wir oder habe ich in verschiedenen Schritten meinen CO2-Ausstoß so gesenkt, dass ich derzeit noch bei 4,5 Tonnen bin. Von daher gebe ich Ihnen recht, dass ich durch diesen Schritt alleine nicht klimaneutral leben kann, aber ich kann doch den Ausstoß deutlich, deutlich unter die Hälfte des Durchschnitts senken.
Karkowsky: Bevor wir darüber reden, wie Sie das machen, das Kompensieren interessiert mich, da ist ja noch einiges übrig. Wie machen Sie das, was heißt das genau, kompensieren?
Jochner-Freitag: Kompensieren heißt für uns, dass wir diesen verbleibenden Rest dadurch ausgleichen, dass Maßnahmen und Projekte unterstützt werden, die CO2 an anderen Orten der Erde binden und womöglich an solchen Orten, wo die Bevölkerung, wo die Menschen schon besonders praktisch durch den Klimawandel leiden.
Karkowsky: Sie haben vor etwa einem Jahr diese Initiative gegründet, "100 x klimaneutral". Ich glaube, Sie sind mittlerweile 22 Leute, die mitmachen – richtig?
Jochner-Freitag: Können wir schon weiter nach oben schrauben, seit gestern sind wir 24 Leute.

Greta Thunberg als großes Vorbild

Karkowsky: Zunächst mal die Frage nach dem Warum: Warum haben Sie das gemacht?
Jochner-Freitag: Ich bin Landschaftsökologin, und aus meiner fachlichen Sicht ist es einfach so, dass der Klimawandel sich als eines der drängendsten Themen unserer Zeit darstellt und aus meiner Sicht auch einer der größten Herausforderungen für die Menschheitsfamilie.
Karkowsky: Jetzt sage ich aber, wenn ich das alleine mache oder Sie mit Ihren 24 Leuten, ist ja nichts geändert, das müssten ja eigentlich so die großen Verschmutzer, China oder so. Was kann ich da als kleiner Einzelner schon tun?
Jochner-Freitag: Wir sind überzeugt, dass jeder und jede Einzelne sehr viel tun kann, und zwar hier und jetzt, aber das ist natürlich nur ein Baustein von einem großen Maßnahmenpaket, was heute erforderlich ist. Sie haben jetzt zum Beispiel China angesprochen: Es ist ganz klar, dass es weiterhin erforderlich ist, auf internationaler Ebene nach Lösungen zu suchen. Es ist auch klar, dass es weiterhin absolut erforderlich ist, auf nationaler Ebene nach Lösungen zu suchen. Die Politik muss wirklich mutige Schritte gehen, die Wirtschaft muss sich ziemlich massiv verändern. Und ich denke, es ist ja heute der große Tag, die Jugendlichen machen uns vor, Greta Thunberg als großes Vorbild …
Karkowsky: Aber Sie machen es ja auch vor, Sie sind ja durchaus auch Vorbilder, es wurde ja auch schon viel berichtet über Sie. Wie muss ich mir das vorstellen? Haben Sie sich für Ihre Gruppe Regeln aufgestellt, läuft das wie im Kloster, du darfst dies nicht, du darfst das nicht, du darfst jenes nicht?
Jochner-Freitag: Nein, das ist uns ein ganz wichtiger Punkt. Wir haben diese zwei Schritte der Selbstverpflichtung: CO2-Ausstoß vermindern, Rest kompensieren. Aber darüber hinaus haben wir keine festen inhaltlichen Vorgaben, weil jeder Mensch einfach in einer unterschiedlichen individuellen Situation ist.

Von Wildpflanzen kann man sich klimaneutral ernähren

Karkowsky: Aber machen Sie es mal konkret: Also Auto abschaffen kann ich mir vorstellen, nur noch die Bahn nehmen, nicht das Flugzeug, ja, kein Fleisch, weiß ich. Was geht darüber hinaus?
Jochner-Freitag: Für uns ist es einfach die Frage, die ich mir stellen muss: Wir haben heute einen enormen Energiehunger, der vollkommen vom sogenannten guten Leben entkoppelt ist. Wenn Sie zum Beispiel die Ernährung nehmen: Wenn man Produkte aus industrieller Landwirtschaft kauft, dann ist ein riesiger Energieverbrauch, ein riesiger, enormer CO2-Ausstoß damit verbunden – durch die Produktion von Düngemitteln, durch die Produktion düngeintensiver Futtermittel in der Dritten Welt, den Transport hierher, die Verarbeitung von Lebensmitteln, Transport der Produkte, Tiefkühlung, die Liste lässt sich unendlich fortsetzen. Eigentlich, als Landschaftsökologin, sehe ich natürlich immer die Kreisläufe in der Natur, und es ist eigentlich wunderbar eingerichtet, weil, wie wir alle wissen, Pflanzen, grüne Pflanzen Photosynthese betreiben und eben CO2 in Sauerstoff und Biomasse umwandeln. Das heißt, würden wir uns ausschließlich von Wildpflanzen ernähren, dann würden wir komplett klimaneutral uns ernähren.
Karkowsky: Und das probieren Sie.
Jochner-Freitag: Das geht natürlich nicht vollkommen im Alltag, das ist unmöglich …
Karkowsky: Aber da sind wir ja wieder bei diesen Listen, was ich darf, was ich nicht darf.
Jochner-Freitag: Es heißt halt für mich einfach abzuwägen. Wir ernähren uns so, dass wir einen Teil aus Wildpflanzen für unseren Speisezettel gewinnen, einen Teil bauen wir im Garten an, und den Rest kaufen wir biologisch, vorwiegend saisonal und regional im Bioladen, und wir ernähren uns vegetarisch.
Karkowsky: Haben Sie den Eindruck, dass dieser Versuch, 100 Prozent klimaneutral zu leben, dass das möglich wäre, den zu wagen in Großstädten, in Berlin, in München, in Hamburg, oder geht das nur, wenn man wirklich wie Sie auf einem Dorf wohnt und da natürlich auch eigenes Gemüse anbauen kann?
Jochner-Freitag: In manchen Sektoren ist es sicher – also ich meine jetzt Lebenssektoren – ist es sicher schwieriger in der Stadt, aber in anderen ist es viel einfacher. Wenn Sie beispielsweise Mobilität nehmen, dann ist das für uns immer noch ein großes Thema. Sie haben vorhin gesagt, man kann ja gut aufs Auto verzichten – das ist für uns als Familie tatsächlich leider im Moment nicht möglich, weil da fehlen einfach die klimafreundlichen Strukturen. Der öffentliche Personennahverkehr müsste massiv ausgebaut werden, dass wir unseren Alltag und die beruflichen Anforderungen auch ohne Auto erfüllen können. Natürlich überlege ich immer, komme ich zu Fuß hin, kann ich mit dem Fahrrad fahren, kann ich mit dem Bus fahren, und dann manchmal bleibt nur das Auto. Deswegen haben wir ein E-Auto mit drei Fahrern, aber das wäre schön und notwendig, dass sich das weiterentwickelt.

CO2-Kompensation muss man sich leisten können

Karkowsky: Sie sagen, 100 Prozent klimaneutral geht tatsächlich nicht, aber wie viel Prozent können Sie realistisch schaffen, wenn Sie auf die nächsten zwölf Monate schauen?
Jochner-Freitag: Letztes Jahr, als ich das ausgerechnet habe, war ich bei 4,5 Tonnen. Da gibt es viele CO2-Rechner, wir haben jetzt mal den vom Umweltbundesamt herangezogen. Ja, und wir hoffen weiter, Schritt für Schritt das weiter zu senken, allerdings glaube ich, dass es unter vier Tonnen tatsächlich schwierig ist, ohne Kompensation den CO2-Ausstoß weiter zu senken, weil da einfach die infrastrukturellen Maßnahmen noch nicht so weit fortgeschritten sind.
Karkowsky: Und diese Kompensation muss man sich leisten können.
Jochner-Freitag: Das sehen wir etwas anders. Untersuchungen zeigen ganz deutlich, dass der CO2-Ausstoß mit zunehmendem Einkommen, mit zunehmendem Vermögen in den allermeisten Fällen steigt. Man sieht das ganz deutlich bei ärmeren Ländern, die haben einen wesentlich geringeren CO2-Ausstoß als die Industrienationen. Das heißt, es ist eigentlich gar nicht so sehr die Frage, ob man es sich leisten kann. Wenn ich es jetzt für mich anschaue, sind es weniger als zehn Euro im Monat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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