Kampf dem Konsum!

Von Natascha Freundel · 11.11.2007
Vivienne Westwood betätigt sich nicht nur als Modedesignerin, sondern auch als Kulturkämpferin. Im Berliner Renaissance Theater präsentierte sie ihr neues Projekt: Active Resistance to Propaganda.
Die Siebziger sind lange her. Da eröffnete die Arbeitertochter Westwood aus Nordengland zusammen mit dem späteren Manager der Sex Pistols, Malcolm McLaren, einen Laden auf der King's Road in London mit damals noch Rock 'n 'Roll-Klamotten und -Platten. Den Laden gibt es immer noch, er wurde mehrfach umbenannt: Von "Let it Rock" in "Too Fast to Live, Too Young To Die", dann in "Sex" und schließlich in "World's End". Sicher war das mal ironisch gemeint. Heute darf es ernst genommen werden: Grenzenloser Konsum führt ans Weltenende. Aber Vivienne Westwood hat den Schlüssel zur Ausgangstür. Folgt mir nach, suchen wir nach wahrer Kunst, ruft die ehemalige Grundschullehrerin in ihrem Manifesto den Kindern Alice und Pinocchio zu:

"Wenn die Kunst lebt, wird sich die Welt verändern. Ohne Kunst, kein Fortschritt."

Im Renaissance Theater wurde Westwoods Manifest als launiges Lehrstück mit verteilten Rollen aufgeführt. Allen voran: Lady Vivienne Westwood herself, "Queen of Punk" und "Dame Commander of the British Empire".

Modedesignerin und Kulturkämpferin. Kindfrau mit leuchtend sanddornsaftfarbenem Haar, atemberaubenden High-Heels und bunten Ansteckern, auf denen Rembrandt herausfordernd grinst. Tags zuvor hatte sie zur Pressekonferenz in die Berliner Gemäldegalerie geladen:

"Aldous Huxley sagte, dass die Welt unter drei Übeln leide, er sagte das in den 30ern: nationalistische Götzenanbetung, organisierte Lüge und unablässige Zerstreuung. Ich würde die Reihenfolge umkehren: nationalistische Götzenanbetung, unablässige Zerstreuung, organisierte Lüge. Aus diesen drei Dingen, behaupte ich, besteht Propaganda, und Propaganda ist das größte Problem, das wir haben."

"Ein Kunstwerk kann uns unser Ich zeigen – wer wir sind, und wo unser Platz in der Welt ist. Es ist ein Spiegel, der das Leben nachahmt."

Zum Beispiel: Botticellis "Heiliger Sebastian" oder seine "Venus", zwischen denen Westwood in der Gemäldegalerie gesessen hatte. Des Teufels dagegen ist jener Pirat mit Goldzähnen und Steinschlosspistolen im Gürtel, der am Anfang ihres Manifests auftaucht und mit dem Westwood ihre eigene erste Kollektion "Pirate" von 1981 aufs Korn nimmt.

Der Pirat Fortschritt habe die Fantasie gekapert, (heißt es im Manifest). Alice findet Rat in Aristoteles' Dramentheorie:

"Dichter. - Den Dichter zeichnet aus, dass er ein Nachahmer ist – genau wie ein Maler. - Nachahmung ist ein Werk der Fantasie. Die Rolle des Dichters ist, von Dingen zu erzählen, die geschehen könnten, von Dingen, die möglich sind."

Vivienne Westwood nimmt Aristoteles beim Wort. Wenn Kunst Nachahmung ist, dann ist abstrakte Kunst oder Konzeptkunst keine Kunst. Jedenfalls kann die für ihren ironischen Umgang mit Kleidertraditionen berühmte Designerin nichts etwa mit den Farbflächen von Mark Rothko oder den blauen Body-Paintings von Yves Klein anfangen. Sie liebt dagegen Edouard Manet oder Bach. Aber sie betont auch, ein Künstler sei allein der Kunst verpflichtet und nicht seinem Ego und keinem Publikum. Was wahre Kunst im Innersten zusammenhält? Die "repräsentative menschliche Natur". Und ihre interne Kontrollinstanz, die "ethische Vorstellung":

"Die ethische Vorstellung ist eine Kontrollmacht, eine innere Bremse, die Dinge lieber so sieht, wie sie sind. Ihre Fragen lauten: Ist das wahrscheinlich? Ist es lebensecht? Könnte es auch anders sein?"

Wollte Vivienne Westwood eine gestrenge, dogmatische Lehrerin für Alice, Pinocchio und all die anderen haltsuchenden Menschenkinder sein, sollte sie Bach besser verschweigen. Denn Musik hebelt ihre Definition von Kunst als Repräsentation ganz einfach aus. Die Bach'schen Fugen ahmen nichts nach – und sprechen uns doch an. Darum geht es Westwood. Sie möchte der intuitiven Kraft der Kunst auf die Schliche kommen, und greift dabei auf Theorien zurück, die alles andere als neu und unumstößlich sind. Letzten Endes kommt es ihr auf die Handlung selbst an: also auf den ständigen Versuch, Kunst zu erkennen und zu verstehen und durch die Kunst, sich selber und die Welt des Menschen.

"Wir bestimmen Kultur als die Erforschung und Kultivierung der Menschheit durch die Kunst."

Am Ende dürfen Alice und Pinocchio Vivienne Westwoods Widerstandsbewegung beitreten. Und obwohl in der Vergangenheit Humanismus und Kunsterziehung schrecklich wenig gegen Propaganda bis hin zum Massenmord ausgerichtet haben, wäre es einen neuen Versuch wert, es ihnen nachzutun. Jedenfalls wurden die schönen Künste schon lange nicht mehr so rigoros und zugleich charmant humorvoll verteidigt.

"Jedes Mal, wenn ich ein Buch an Stelle einer Zeitschrift lese, wenn ich ins Museum gehe, anstatt fernzusehen, wenn ich ins Theater und nicht ins Kino gehe, kämpfe ich für den aktiven Widerstand - gegen Propaganda."