Kampagnen zur Bundestagswahl

Die Fake News waren weniger schlimm als erwartet

07:54 Minuten
Ein fiktives Plakat gegen Fake News hängt in einer Filmkulisse der MMC Studios in Ossendorf.
Die Beschäftigung mit Fake News führt dazu, dass man sich mit tatsächlichen Problemen weniger bis gar nicht beschäftigt. © picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt
Patrick Stegemann im Gespräch mit Johannes Nichelmann · 25.09.2021
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Die Furcht vor einer unlauteren Beeinflussung der Wähler war vor dieser Bundestagswahl besonders groß. Doch die ganz große Kampagne, der ganz große Daten-Leak blieb aus, wie der Journalist Patrick Stegemann berichtet. Schaden wurde dennoch angerichtet.
"Gefühlt ist es vielleicht nicht ganz so schlimm", sagt Patrick Stegemann, "aber das liegt natürlich auch daran, dass wir eine ganze Menge gewöhnt sind und dass wir so viel erwartet haben, dass wir sozusagen unter den Erwartungen durchgesegelt sind, was Desinformation und Schmutzkampagnen anbelangt. Aber das heißt nicht, dass es gut ist, sondern: das heißt einfach, dass wir uns so sehr an den Gesamttemperaturanstieg, den Lärmpegel in der Öffentlichkeit gewöhnt haben."
Der Journalist ist einer der Macher des erfolgreichen Podcasts "Noise", der sich genau mit diesem Lärm im Netz beschäftigt, also mit Falschinformationen, Irreführungen und Fake News. Während des gesamten Bundestagswahlkampfs war die Furcht groß, dass auch in Deutschland Verhältnisse wie in den USA oder Großbritannien einziehen: Schlammschlachten oder der Einsatz unfairer Algorithmen in den sozialen Netzwerken, Stichwort: Cambridge Analytica.

Ein Mix aus Wahrheit und Lüge

Wenn auch bei Weitem nicht so schlimm wie in anderen Ländern, so gab es auch in Deutschland Versuche der Desinformation und Wahlbeeinflussung – auch von außen, wie Stegemann berichtet. Besonders hervorgetan hätten sich hierbei österreichische Rechtsextreme mit Verbindungen zur FPÖ. Aber auch das soziale Netzwerk TikTok, das vor allem bei jungen Leuten beliebt ist und vor allem über Memes funktioniert, wurde für Desinformation genutzt, wie Stegemann berichtet. Hier gingen Videos viral, die ein Mix aus Wahrheit und Lüge waren.
Auch die AfD habe mit Fake News gearbeitet, was bei dieser Partei "abseits des demokratischen Spektrums", so Stegemann, zum normalen Mittel gehöre. Anders als bei der FDP. Die habe sich nach Recherchen des ZDF-Magazins sogenannter "Dark Ads" bedient, sagt Stegemann. Das heißt: Je nach Klientel wurden unterschiedliche Botschaften verbreitet, also für ein grünes Klientel gab es das Versprechen, man setze sich für Klimaschutz ein, und für ein Autofahrerklientel genau das Gegenteil.
"Das sind eben Mittel, die soziale Medien bereithalten und die letztlich Diskurs potenziell zerstören", so Stegemann. "Die FDP hat sich dieser Mittel bedient – in kleinem Umfang allerdings."

Quatschdebatten, die das gesellschaftliche Gespräch zerstören

Gegen solche Kampagnen könne man sich eigentlich nur wehren, indem man sein Smartphone ausschalte, aber letztlich wisse niemand, ob so ein Microtargeting auch tatsächlich wirke. "Aber", so Stegemann, "dass es überhaupt möglich ist, ist schon Gefahr genug, weil die wichtigen Themen unter all diesem Noise, unter der Lautstärke, verloren gehen".
Ein solches Beispiel sei die Debatte über Annalena Baerbocks Universitätsabschluss gewesen. "Eine Quatschdebatte", so Stegemann, die von "neurechten Bloggern" angestoßen worden sei und die von einer zeitgleich stattfindenden Debatte im Bundestag abgelenkt habe. Bei dieser ging es darum, ob die Ortskräfte aus Afghanistan geholt werden.
"Wir haben uns mit Unsinnsdebatten aufgehalten", sagt Patrick Stegemann, "und haben eine Debatte nicht geführt, die letztlich Menschenleben gekostet hat. Und das ist das, was Desinformation in Wahrheit tut. Der Begriff klingt ja immer so ein bisschen mystisch, und so ein bisschen Agentenprickeln liegt vielleicht auf unserer Haut, aber in Wahrheit zerstört das das gesellschaftliche Gespräch und damit letztlich Politik und überhaupt Orientierung in der Welt."
(ckr)
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