Kammermusik von Paul Dessau

Klänge eines Jahrhunderts

Ein Komponistenleben als Spiegel des Jahrhunderts: Paul Dessau (1894-1979)
Ein Komponistenleben als Spiegel des Jahrhunderts: Paul Dessau (1894-1979) © imago / Michel Neumeister
Moderation: Olaf Wilhelmer · 31.10.2020
Das Schlagwort "DDR-Komponist" ist schnell bei der Hand, wenn es um Paul Dessau geht – wenn überhaupt. Das Werk eines vielseitigen und produktiven Musikers ist zu entdecken. Dessaus Kammermusik hält dem 20. Jahrhundert den Spiegel vor.
Als die Deutsche Demokratische Republik gegründet wurde, war Paul Dessau bereits über 50 Jahre alt. Es bedarf keiner Rechenkünste, um herauszufinden, dass der 1894 in Hamburg geborene Komponist den größeren Teil seines Lebens folglich nicht in der DDR verbracht hat. Und trotzdem ist es nicht falsch, Dessau mit der DDR in Verbindung zu bringen, in der er 1979 starb. Schließlich war er einer der führenden Komponisten des jungen Landes – und ja, er schuf auch offizielle Musiken, heizte den Funktionären aber immer wieder mit unerwünschten Klängen ein, wahrte Distanz und verbat sich ein Staatsbegräbnis.
Leider hat die Einordnung in die an sich nichtssagende Rubrik "DDR-Komponist" zur Folge, dass Person und Werk unter Generalverdacht gestellt und im wahrsten Sinne des Wortes links liegen gelassen werden. Während das Schaffen des ebenfalls nicht leicht einzuordnenden "DDR-Komponisten" Hanns Eisler heutzutage eine kleine Renaissance erfährt, ist es um seinen Antipoden Dessau still geworden.

Zwischen Vielfalt und Widerspruch

Was der Musikwelt da entgeht, offenbart allein ein Blick in Dessaus kammermusikalisches Schaffen – ermöglicht wird das nun durch die Initiative des Leipziger Komponisten und Pianisten Steffen Schleiermacher, der mit seinen Mitstreitern vom Ensemble Avantgarde eine facettenreiche Dessau-CD eingespielt hat, eine Koproduktion von Dabringhaus und Grimm und Deutschlandfunk Kultur.
Ob frühes Concertino im herben linearen Kontrapunkt, ob lebhafte Volkslied-Variationen aus dem amerikanischen Exil, ob vergrübeltes Klavierstück der Spätzeit: Schnell wird deutlich, dass sich Dessaus Werk nicht so leicht auf einen Nenner bringen lässt. Manchmal kann man sogar ins Zweifeln darüber kommen, ob diese Stücke wirklich von ein und demselben Komponisten stammen.
Ein älterer Mann unterhält sich mit einem Mädchen mit zwei Zöpfen und großen Schleifen, das
Den Stab an die junge Generation weitergeben: Im hohen Alter kümmerte sich der Komponist Paul Dessau vor allem um die musikalische Allgemeinbildung.© imago / Mary Evans AF Archive
Gemeinsam ist diesen Werken jedenfalls, dass sie ein praktisch versierter Alleskönner schrieb. Wie Kurt Weill in eine jüdische Kantorenfamilie hinein geboren, zeigte Paul Dessau schon früh musikalische Begabung, studierte Geige, Dirigieren und Komposition.
Otto Klemperer und Bruno Walter machten ihn in der Weimarer Republik zum Kapellmeister an großen Opernhäusern, aber Dessau zog es nach einigen Jahren zum Kino, wo er zu den Pionieren der Filmmusik zählte.

Von der Schönberg-Schule zur Schulmusik

Der nationalsozialistische Rassenwahn trieb Dessau ins Exil – seine Mutter, die ihm nicht folgen wollte, wurde in Theresienstadt ermordet. Dieses Schicksal brachte Dessau zu seinen jüdischen Wurzeln zurück, die in seinem Schaffen fortan eine große Rolle spielen sollten. Und sie bestätigten den politischen Charakter vieler seiner Werke.
Über Paris und New York ging er nach Kalifornien, begegnete dort Bertolt Brecht und Arnold Schönberg, knüpfte im Auftrag von Walt Disney an seine Karriere als Film-Komponist an und setzte seine politischen Visionen nach dem Krieg in der DDR auch ganz praktisch um: In seinem Wohnort in Zeuthen bei Berlin wurde Dessau Musiklehrer in einer allgemeinbildenden Schule. Seine musikalische Arbeit mit Kindern machte ihn zu einem Propheten dessen, was heute "Education" heißt.
Paul Dessau
Concertino für Solo-Violine mit Flöte, Klarinette und Horn
"Guernica" für Klavier
Klavierstück über "B-A-C-H"
Intermezzo breve für Klavier
Elf jüdische Tänze für Klavier
Suite für Altsaxofon und Klavier
Jewish Dance für Violine und Klavier
Fantasietta Nr. 2 für Klavier
Variationen über ein amerikanisches Volkslied für Klarinette und Klavier
Fantasietta Nr. 3 für Klavier
"Grasmückenstücke für Mücke Gras" für Flöte solo
Drei Violinstücke mit Klavier

Ralf Mielke, Flöte
Matthias Kreher, Klarinette
Annegret Tully, Saxofon
Jochen Pleß, Horn
Andreas Seidel, Violine
Steffen Schleiermacher, Klavier

Produktion: Dabringhaus und Grimm / Deutschlandfunk Kultur 2020
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