Kamel Daoud: "Meine Nacht im Picasso-Museum"

Orient und Okzident kollidieren in Paris

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Das Buchcover "Meine Nacht im Picasso-Museum" von Kamel Daoud vor einem grafischen Hintergrund
In "Meine Nacht im Picasso-Museum" setzt sich Kamel Daoud nicht nur mit eigenen Empfindungen auseinander. © Kiepenheuer & Witsch / Deutschlandradio
Von Eva Hepper · 19.08.2020
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Der algerische Schriftsteller Kamel Daoud verbringt eine Nacht im Pariser Picasso-Museum. Seine Reflexionen angesichts der Aktbilder des spanischen Malers haben es in sich. Sie zeigen: Erotik und Nacktheit des Westens können verstörend wirken.
Einmal ganz alleine im Museum sein! Was für Kunstliebhaber wie ein Traum klingt, wurde für Kamel Daoud Wirklichkeit. Auf Einladung eines französischen Verlages verbrachte der im algerischen Mostaganem geborene und heute im Westen Algeriens, in Oran, lebende Schriftsteller eine Nacht im Pariser Picasso-Museum.

Aktgemälde werden zum Ausgangspunkt

Vor allem die Aktgemälde, die der spanische Künstler in seinem hochkreativen Schaffensjahr 1932 gemalt hatte, wurden Daoud dabei zum Ausgangspunkt tiefer Reflexionen über Erotik, Nacktheit und Tabus in den Gesellschaften der westlichen, und wie der Autor formuliert, in der "arabisch genannten" Welt. Nun erscheinen sie als Essay.
Mit harscher Kritik an den repressiven Moralvorstellungen islamischer Communities und deren Körperfeindlichkeit sorgte der 1970 geborene Daoud immer wieder für Aufsehen. Angesichts der freizügigen Darstellungen Picassos, der seine damalige Geliebte Marie-Thérèse Walter immer neu in Szene setzte, spinnt der preisgekrönte Autor diesen Erzählfaden weiter.
Der Algerier setzt sich dabei nicht nur mit seinen eigenen Empfindungen auseinander, sondern auch mit denen eines imaginierten Begleiters. Für diesen, den tiefreligiösen, islamistischen Abdellah wird die Museumsnacht zur reinen Verstörung.

Reine Verstörung

Es ist brillant, wie Daoud versucht, dessen Gefühls- und Gedankenwelt parallel zu seiner eigenen und der des Westens aufzuschließen. Seine Ideen mäandern kreuz und quer durch die Historie und stellen dem Bilderverbot, der Verschleierung und fundamental-religiösen Tabus des Orients die westliche Emanzipation mit ihrer überbordenden Nacktheit und Freizügigkeit gegenüber.
In einer starken Passage schildert der Autor, wie er, der im Alter von 25 Jahren erstmals eine nackte Frau sah, bei seinem ersten Parisaufenthalt aus dem Gleichgewicht geriet und nicht wusste, wohin den Blick wenden.

Kluge Ideen zum Kunstverständnis

So brisant Kamel Daouds anschließende Thesen zum ungezwungene Sexualität unterdrückenden und aufs Jenseits verschiebenden Islamismus sind, so aufschlussreich sind seine Ideen zum Kunstverständnis sowie der Museums- und Kirchenkultur in Ost und West.
Eine Besucherin betrachtet Gemälde im Musée Picasso in Paris.
Das Pablo Picasso Museum in Paris.© Getty Images / Thierry Chesnot
Während das Abendland sich seiner selbst im Sammeln bewusst werde und sein Erbe bewahre, sei dem Fundamentalisten ein Museum "unnütz" und stelle das "Absolute infrage". So erklärt Daoud auch den "kulturellen Genozid" etwa von Palmyra.
Dieser Essay ist voller Wucht und offenbart Daouds tiefes Bedauern angesichts der Abkehr des - nicht nur fundamentalistischen - Orients von Sinnlichkeit und Erotik.

Ambivalente Männerfantasien

Eine ihrer besonderen Spielarten findet der Autor schließlich bei Picasso und dessen Darstellung von Sexualität, die er als geniale künstlerische Revolution interpretiert. Diese Einlassungen allerdings lesen sich sehr ambivalent, auch wenn sie dem Erotomanen Picasso nahekommen mögen.
So beschreibt Daoud – quasi als Wesensverwandter des Künstlers – Erotik seitenweise als "Jägerritual" und fabuliert von der "ewigen Frau", die zur "Beute" und "Rettung" des Mannes wird. Eine Männerfantasie, die nicht erst in Zeiten von MeToo, ziemlich speziell wirkt.

Kamel Daoud: "Meine Nacht im Picasso-Museum. Über Erotik und Tabus in der Kunst, in der Religion und in der Wirklichkeit"
Aus dem Französischen übersetzt von Barbara Heber-Schärer
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020
176 Seiten, 20 Euro

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