Kambodschas Seele in Angkor Wat

Von Bettina von Clausewitz · 05.07.2008
Die Tempelanlagen von Angkor in Kambodscha bestehen aus etwa 100 Tempeln und Ruinen, verteilt auf rund 400 Quadratkilometer. Sie alle sind im Zeitraum von etwa 400 Jahren entstanden, vom 9. bis zum 13. Jahrhundert. Nach dem Ende eines Jahrzehnte langen Bürgerkrieges hat die UNESCO Angkor Wat 1992 zum Weltkulturerbe erklärt. Seitdem strömen die Touristen dorthin. Und internationale Organisationen sind daran beteiligt, die steinernen Zeugnisse religiösen Lebens vor dem Zerfall zu bewahren.
"Wir sind jetzt auf dem höchsten Level des Angkor Wat im Central Tower, dem zentralen Heiligtum der ganzen Tempelanlage. Hier oben ist gerade eigentlich für den Publikumsverkehr geschlossen, weil Arbeiten durchgeführt werden und im Moment der Turm relativ gefährlich ist. Es ist gerade ein großes Stück abgestürzt."

... zum Glück nachts, als niemand von dem Steinquader erschlagen werden konnte, der jetzt unter den Augen einer Buddhafigur friedlich in der Ecke liegt. Der Blick reicht von hier oben unter flirrender Hitze bis zum Horizont, weit über kunstvoll gearbeitete Mauern und Türme, die sich wie Lotusknospen in den Himmel strecken. Die Parkanlage tief unten mit breiten Brücken und Wasserläufen grenzt teilweise an dichten Dschungel, das Gezirpe der Zikaden dringt von dort bis zum Turm hinauf.
Früher durften nur Priester und Könige das Innere der Tempelanlage von Angkor Wat betreten, heute sind es neben Touristen aus aller Welt vor allem Fachleute wie Restaurator Thomas Bernecker. Sein erster Eindruck:

"Erschlagen, also wirklich. Es hat mich an den Kölner Dom erinnert, also von den Ausmaßen. Was der Kölner Dom von innen an Höhe hat, das hat hier Angkor Wat an Größe, an Weite, an Masse, und das war so ungefähr das ähnliche Gefühl, als ich zum ersten Mal hier drin stand."

"Das Projekt, in dem ich hier arbeite, ist das German Apsara Conservation Project, kurz GACP, das von Prof. Hans Leisen und einem Kollegen in den 90er Jahren hier ins Leben gerufen wurde. Nach einem Besuch der Tempel, bei dem er den Zustand der Apsaras, der göttlichen Tänzerinnen, die hier in den Steinen als Relief gehauen sind, feststellte, und bemerkte, dass es vom steintechnischen her sehr schlecht um sie bestellt ist, und dass dringend Handlungsbedarf besteht, um diese Reliefs zu erhalten."

Die traumschönen Tänzerinnen aus dem zwölften Jahrhundert sind noch heute die viel gepriesenen Stars von Angkor Wat. Fast 2000 Figuren, in Stein gehauen, mit einem Lächeln so geheimnisvoll wie das der Mona Lisa - und jede ein wenig anders. Unter dem Terror-Regime der Roten Khmer in den 70er Jahren kamen viele der damaligen echten Tänzerinnen, Lehrerinnen und Musiker um, heute wird der traditionsreiche Tanz am königlichen Ballett in der Hauptstadt Phnom Penh wieder gelehrt - und die Musik gespielt.

Die Apsaras als "Botinnen der Götter und Ahnen" haben dem Projekt des "Instituts für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft" an der Fachhochschule Köln ihren Namen gegeben. Dort studiert der 37-jährige gelernte Steinmetz Thomas Bernecker, inklusive Praxissemester in Angkor.
Hier kümmern sich die Experten aus Deutschland um wertvolle Steinreliefs, die auch religiöse Mythen und weltliche Kriegsgeschichte erzählen, bedroht von tropischer Hitze und Monsunregen. Außerdem werden einheimische Restauratoren ausgebildet, denn noch immer fehlen viele Fachkräfte in Kambodscha. Eine Spätfolge des Roten Khmer-Regimes, das Kunst, Kultur und Religion ausradieren wollte. Angkor jedoch ließen sie unangetastet:

"Es ist einmal eine Ehrfurcht, vor dem Hintergrund, der diese Tempel entstehen ließ, das ist das Wichtigste, diese Ehrfurcht: Was hat die Leute dazu bewogen, so eine Arbeit zu vollbringen, um ihre Götter zu ehren. Und das macht nachdenklich."

Live-Musik und Zikaden konkurrieren miteinander auf dem schattigen Waldweg zu einem anderen Tempel, dem Ta Prohm, der mitten im Dschungel von riesigen Baumwurzeln wie von Tentakeln umklammert wird. Eine faszinierendes Naturschauspiel, hier jedoch ohne dass Restaurateure eingreifen. In der Tempelstadt Angkor, die im Verlauf von vier Jahrhunderten entstanden ist, sei die Seele des Khmer-Volkes lebendig und unzerstörbar, so heißt es. Zuerst dem Hinduismus geweiht, später dem Buddhismus, der heute Staatsreligion ist.
Der Tourismus in Angkor ist auch für kleine Leute zum Lebensunterhalt geworden: für die Mohori-Musiker am Wegrand etwa, Landminen-Opfer mit Beinprothese oder erblindet. Oder für die Jungs an den Stroh gedeckten Imbissbuden, die kleine Buddhas und Elefanten verkaufen.

… drei Elefanten für fünf Dollar, während nebenan große Eisblöcke zersägt und in riesigen Boxen verstaut werden. Sie kühlen die Getränke für all die schwitzenden Touristen, die aus Bussen und dreirädrigen Tuktuks strömen. Bis 2010, so hofft das Tourismusministerium, sollen es jährlich eine Million sein. Dann werden wohl nur noch Frühaufsteher zum Sonnenaufgang die Spiritualität dieser heiligen Stätten erleben können. Für Thomas Bernecker ist klar, dass die Steine in Angkor nicht nur restauriert, sondern in Zukunft auch besser geschützt sein werden.

"Es werden sicher sehr viel mehr Geländer da sein, es wird wahrscheinlich - ich denke eine durchgängige Route geben, durch die man durchlaufen muss. Oder man muss mit Führer durchlaufen. Es ist jetzt schon ganz anders als vor zehn Jahren, und ich denke, es wird noch viel stärker reglementiert werden."

Zurück auf dem Central Tower von Angkor Wat, mit einem feinen Windhauch hoch über den Zikaden. Ob zumindest dieser Tempel irgendwann einmal fertig sein wird?

"Nein, ich denke, das ist ähnlich wie beim Kölner Dom, wenn man einmal rum ist, fängt man wieder von vorne an!"