Kalkalgen als Bioindikator für die Meeresversauerung

Die Ozeane schlucken derzeit rund 30 Prozent des CO2 in der Atmosphäre.
Die Ozeane schlucken derzeit rund 30 Prozent des CO2 in der Atmosphäre. © picture-alliance/ dpa
Von Johannes Kaiser · 04.03.2012
Seit Jahren schon versucht der Kieler Biogeochemiker Ulf Riebesell herauszufinden, wie die Meere auf die zunehmende Versauerung des Wassers reagieren. Für seine Untersuchungen ist der Wissenschaftler nun mit dem Leibniz-Preis 2012 geehrt worden.
Im Raune-Fjord vor der norwegischen Stadt Bergen war das Wasser im Frühjahr letzten Jahres noch bitter kalt, als man in ihm neun orangefarbene Gerüste, Mesokosmen genannt, versenkte. Die bestehen aus sechs langen Röhren aus Kohlefaser, die miteinander durch Metallschienen verbunden sind. Zwischen ihnen hängt ein großer Plastikschlauch, zwei Meter im Durchmesser und 14 Meter tief. Er ist wie ein überdimensioniertes Reagenzglas und wichtigster Teil des Experiments. Der 64-jährige Phytoplanktologe Klaus von Bröckel vom IFM-Geomar hat das System mitentwickelt:

"Man kann sich das so vorstellen, dass man einen Ring ins Wasser hineinsenkt und eine Wassersäule sozusagen aussticht und diese ausgestochene Wassersäule dann beobachten kann. Unter einem Mesokosmos verstehen wir in der Marinebiologie eigentlich den Einschluss eines Ökosystems, das heißt eines Systems, das natürliche Nährstoffe hat, natürliche Lichtverhältnisse und Bakterien, Phytoplankton, Zooplankton, also keine Fische, die sind zu groß. Ein Mesokosmos beinhaltet volumenmäßig 65.000 Liter."

In jeden dieser Mesokosmen ist eine unterschiedliche Menge CO2 hineingepumpt worden. So will das Forscherteam um den Kieler Biogeochemiker Ulf Riebesell vom IFM-Geomar herausfinden, wie die Meereswelt auf Wasserversauerung reagiert. Die Wissenschaftler aus mehreren europäischen Forschungsinstituten sind insbesondere an der Reaktion von Kalkalgen auf hohe CO2-Konzentrationen interessiert. Ulf Riebsell:

"Wir wissen, dass die einen ganz wichtigen Beitrag zur Produktivität der Ozeane, aber auch zum Klimageschehen leisten. Zum einen ist der Kalk, den diese Kalkalgen bilden, ganz wichtig für den Transport von Materie in den tiefen Ozean, Kalk ist sehr schwer verglichen zu organischem Material, das gebildet wird und die Kalkalgen liefern sozusagen den Ballast für die organische Materie, um tief in den Ozean transportiert zu werden und das ist ganz wichtig, wenn wir uns überlegen, wie viel Kohlenstoff der Ozean aufnimmt, wie viel CO2 er speichert, da spielt dieser Ballast eine ganz wichtige Rolle."

Das Mesokosmen-Experiment startete zeitgleich mit der Kalkalgenblüte, die dort jedes Frühjahr stattfindet. Fünf Wochen lang fuhren die Wissenschaftler zu den Mesokosmen raus und zogen jeden Tag Proben aus den verschiedenen eingeschlossenen Meereswelten
"Was wir jetzt in Bergen gesehen haben - und das war für uns völlig überraschend, kein Laborexperiment hat uns in irgendeiner Weise darauf vorbereitet -, ist, dass sie unter den Hoch-CO2-Bedingungen praktisch gar nicht mehr vertreten waren. In den mittleren CO2-Konzentrationen noch vorhanden, aber auch nicht die gleichen Zellzahlen, die gleiche Blütenkonzentration erreicht haben, wie das in Niedrig-CO2-Konzentrationen der Fall war. Wenn dieses Signal, was wir da gesehen haben, sich übertragen lässt auf die Bereiche des Ozeans, wo die Kalkalgen vorkommen, dann hieße das, es geht uns der Ballast verloren, der ganz wichtig ist, um diesen Tiefenexport von Kohlenstoff im Ozean zu gewährleisten. Wir würden also weniger Kohlenstoff im tiefen Ozean ablagern, das hieße als Rückwirkung aufs Klima, es bliebe mehr CO2 in der Atmosphäre."

Damit würde sich die Atmosphäre noch schneller erwärmen als bisher. Die Kalkalgen haben aber noch eine weitere wichtige Klimafunktion. Sie produzieren Dimethylsulfat. Dieses Gas bildet in der Atmosphäre winzige Partikel, an denen sich Wasser absetzt. Tröpfchen entstehen und damit Wolken. Wolken aber reflektieren das Sonnenlicht, kühlen also. Verschwinden die Kalkalgen, die das Dimethylsulfat bilden, bei hohen CO2-Konzentrationen, wie im Fjord vor Bergen geschehen, hat das schwerwiegende Konsequenzen, so Teamchef Ulf Riebesell:

"Wenn davon weniger produziert wird im zukünftigen Ozean, weil sie einfach gar nicht mehr vertreten sind, diese Algenart, andere Algenarten bilden dieses Kühlgas nicht in gleichen Mengen, dann hieße das, weniger Kühlgas, weniger Wolkenbildung, das heißt wir hätten eine ungünstige Rückkopplung aus dem Klimasystem. Mehr der eintreffenden Sonnenenergie würde wirklich die Erdoberfläche treffen und die Erwärmung dann möglicherweise beschleunigen gegenüber dem, was wir schon an vermehrten Treibhauseffekt haben."

Die Experimente in Bergen brachten noch eine weitere Überraschung. In den Mesokosmen fanden sich unerwartet viele Larven der Terapoden, der Flügelschnecken. Die Experimente im Raune-Fjord waren also eine ideale Gelegenheit, um zu schauen, wie sich die Flügelschnecken unter CO2-Einfluss verhalten.

"Da war die erstaunliche Erkenntnis, dass die Larven nur in den Niedrig-CO2-Ansätzen wirklich zur vollen Entwicklung kamen. In den Hoch-CO2-Ansätzen waren von den Larven am Schluss insgesamt weniger als zehn Prozent noch vertreten und auch wieder hier eine Erkenntnis, die wir so aus den Laborexperimenten nie hätten vorhersagen können, denn dort kriegt man die Flügelschnecken höchstens mal für zwei Wochen oder so getestet. Da gibt es massive Auswirkungen in einem CO2-Bereich wiederum, den wir schon in den nächsten 40, 50 Jahren erwarten können, wenn's weiter so geht wie bisher."

Die Tiere, die bis zu drei Zentimeter groß werden können, sind ein wichtiges Bindeglied in der Nahrungskette des Meeres. Sie fressen kleine Algen und werden wiederum von Fischen und Seevögeln, sogar Walen gefressen. Sterben sie infolge des Klimawandels ab, würde sich das gesamte maritime Nahrungsgefüge dramatisch verändern. Leibniz-Preisträger Ulf Riebesell und seine Kollegen haben beunruhigende Forschungsergebnisse aus Norwegen mitgebracht.