Kalender gegen die Kommerzialisierung

Von Mechthild Klein · 19.12.2009
Der ökumenische Verein "Andere Zeiten" aus Hamburg ist durch seine Kalenderpublikation "Der Andere Advent" und die Fastenaktion "Sieben Wochen anders leben" bereits einer breiten Leserschaft bekannt geworden. Seit einiger Zeit setzt sich das Team auch für den Sonntag als Ruhetag ein, stiftet Journalistenpreise und Missionspreise.
Am ruhigen Ende von Hamburgs In-Viertel Ottensen, in einem lauschigen Wohngebiet ist der ökumenische Verein "Andere Zeiten" zu Hause. Ein geräumiges Backsteinhaus beherbergt das Redaktionsteam und die Geschäftsführung. An der Außenmauer hängt ein meterlanges rotes Plakat mit der Aufforderung: "Mach mal Sonntag". Das ist die neueste Aktion des kirchennahen Vereins.

Iris Macke: "Ich glaube, das Schützenswerte am Sonntag ist wirklich, dass er ein Tag ist, wo ich entdecken kann, dass ich selbst noch ein freier Mensch bin, an dem ich Sachen machen kann, die nicht zeitlich begrenzt sind, die nicht terminlich begrenzt sind."

Iris Macke, Pressesprecherin des Vereins Andere Zeiten.

"Und irgendwann haben wir dann in der Redaktion zusammengesessen und gesagt, der Sonntag ist einfach ein Ausnahmetag und wir wollen ihn stark machen und wir wollen jetzt richtig was für den Sonntag tun. So ist die Aktion entstanden."

Begleitend zur Aktion "mach mal Sonntag" hat der Verein auch ein Buch herausgegeben. Auf dem leuchtend roten Einband steht nur ein einziges Wort: "Sonntags". 14 Autoren berichten darin mal nachdenklich, mal heiter über ihre Sonntagserlebnisse. Insgesamt 52 Geschichten. Wer aber erwartet, dass hier für den Kirchgang getrommelt wird, der liegt falsch. Das ist nämlich Sache jedes Einzelnen, findet Iris Macke.

"Wir möchten jetzt nicht die Gesellschaft dazu verdonnern, am Sonntag in die Kirche zu gehen. Es geht vielmehr darum, das steht ja auch im Grundgesetz, der Sonntag ist ein Tag der seelischen Erhebung. Und seelische Erhebung muss dem Menschen aber erst möglich gemacht werden."

Schon klar, dass das sonntags an der Kasse oder beim Shopping nicht so gut gelingt. Um jedoch das Bewusstsein für die Freiheit rund um den Sonntag in die Öffentlichkeit zu tragen, verteilt der Verein kostenlose Postkarten, auch in Szenekneipen. Mach mal Sonntag, das heißt nämlich: Ausschlafen, zusammen frühstücken, Zeit für Langeweile haben, mit Familie was unternehmen oder am Abend Tatort gucken.

Vor elf Jahren hatte der Pfarrer und Öffentlichkeitsarbeiter der Nordelbischen Kirche, Hinrich Westphal, den Verein "Andere Zeiten" gegründet.

"Wir haben eigentlich die Diagnose gestellt damals, dass wir zunehmend in einer Rundumgesellschaft leben, die die ganze Zeit das macht, was sie auch die ganze Woche über macht, arbeiten und konsumieren möglichst schon am Sonntag und den Advent schon im Sommer beginnen und dann möglichst laut und kommerzialisiert und oberflächlich und da haben wir gesagt, wir wollen eine andere Zeit dagegen setzen. Das Kirchenjahr gibt uns die Chance, mit seinen Höhepunkten und mit seinen Festen die Zeit ganz anders zu erleben und zu genießen, meditativer, stiller und mehr auf das Eigentliche konzentriert."

Der Verein will aber nicht nur das kirchennahe Volk ansprechen, sondern eben auch Menschen, die mit Kirche nichts mehr am Hut haben, vor allem mit dem Buchangebot und dem jährlichen Kalender. Und so arbeiten im Redaktionshaus in der Fischers Allee in Hamburg mittlerweile zwölf Festangestellte – die Mehrzahl Redakteure.

Im Spätsommer tüftelten sie schon an den Entwürfen für den Kalender "der andere Advent". Mehr als 300.000 Exemplare hat der Verein allein im letzten Jahr verkauft. Für jeden Tag im Advent gibt es eine Geschichte zum Nachdenken oder Schmunzeln mit Texten etwa von Erich Fried, Dorothee Sölle oder Robert Gernhardt. Ein Dauerbrenner aber ist der kleine segnende Bronzeengel, von dem bald eine Million Stück verkauft sind. Fast könnte man meinen, "Andere Zeiten" sei ein religiöser Verlag.

Hinrich Westphal: "Ja, das hören wir nicht so gerne, denn wir sind ein gemeinnütziger Verein und legen großen Wert darauf, das ist ja eine wachsende Zahl jedes Mal, auch so zu schätzen, dass wir weder ein Kirchenamt sind, ein anonymes, noch ein wirtschaftlich orientierter Verlag, sondern wir sind ein Team von Engagierten und werden als solche von Leserinnen und Lesern auch angeschrieben.

Wir wollen also auch gar nicht über die Buchhandlungen gehen, sondern wir wollen den persönlichen Kontakt zu unseren Teilnehmenden. Und die schreiben uns dann auch, etwa nach einem Adventskalender über 1000 Briefe und E-Mails, wo sie erzählen von ihrem Schicksal, von ihrer Familie, von Trauerfällen, von Krankheitsfällen und sie wissen, sie kriegen von uns auch eine persönliche Antwort und sei es eine seelsorgerliche."

Tatsächlich versucht der Verein auch eine Art Briefseelsorge. Wenn es aber eine längere Begleitung erfordert, sagt Chefredakteur Westphal, dann verweist das Team auf evangelische und katholische Gemeinden vor Ort oder Seelsorgeeinrichtungen. Die Aktion zur Fastenzeit "Sieben Wochen anders leben", die im Frühjahr beginnt, besteht beispielsweise aus sieben Briefen, die an mittlerweile 20.000 Interessierte verschickt wird.

Es gibt einen dotierten Journalistenpreis und neuerdings auch einen Missionspreis, der neue ökumenische Gemeindeprojekte mit insgesamt 50.000 Euro unterstützt. Davon profitierten beispielsweise die Tourismusseelsorge in St. Peter-Ording und eine Initiative von Künstlern aus Köln-Ehrenfeld. Eine Sache aber betont Hinrich Westphal ganz besonders:

"Unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen legen großen Wert darauf, nicht nur Fachleute in Sachen Fasten oder Advent zu sein, sondern sich auch selber unter das Wort Gottes zu stellen, sich zum Beispiel einmal in der Woche zu treffen zur Andacht, zu Frühstück und Andacht, dass sie auch selber singen und beten oder auch ein paar Mal im Jahr einen Gottesdienst veranstalten in einer Kirche in Hamburg-Bahrenfeld.

Und das zeigt auch, dass wir eben nicht Wert darauf legen, wirtschaftlich zu arbeiten oder Gewinn zu machen, was wir als gemeinnütziger Verein auch nicht dürfen, sondern dass es uns von Anfang an immer darum gegangen ist, die Sache mit Gott weiter zu sagen. Dass es dann auch, weil die Leute eine große Sehnsucht in sich tragen, ein großer Erfolg geworden ist, das sehen wir natürlich gerne, aber das war nie unser erstes Motiv."

Zumindest geht der Verein bei seinen Publikationen sehr professionell vor: frisches Layout, das auf dem neusten Stand ist. Eine Sprache, die geschliffen, aber leicht und lebendig ist. Eine Themenmischung, die informativ und ehrlich daherkommt, anstatt belehrend. Für die Aktion "Mach mal Sonntag" verschickt der Verein auch kostenlose Plakate, im Internet gibt es einen Sonntagsblog und Raum für Mitmachaktionen. Die Initiative läuft noch mindestens bis Ende des Jahres - weil es unter der Leserschaft ein so großes Echo gab.

Hinweis:
Das Buch "sonntags" hat 144 Seiten und kostet 12 Euro. Es ist nur bei dem Verein Andere Zeiten zu bestellen und nicht im Buchhandel erhältlich.