Kairo per Rad

Verkehrsmittel für Mutige

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Brotverkäufer transportieren ihren Ware unter teils lebensgefährlichen Bedingungen durch Kairo. © picture alliance/dpa/Matthias Tödt
Von Cornelia Wegerhoff · 14.05.2017
20 Millionen Einwohner, chronisch verstopfte Straßen und Verkehrsregeln, die sehr locker genommen werden: Wer in Kairo Rad fährt gilt vermutlich als lebensmüde. Dennoch bahnt sich über Radsportinitiativen in Ägyptens Hauptstadt gerade eine Velo-Revolution an.
Kairo ohne Blechlawine, morgens um halb acht: Das kann nur ein Freitag sein, der Wochenend-Anfang in Ägypten, wenn das halbe Land noch schläft. Für Menschen wie Mohamed Samy der perfekte Zeitpunkt für eine Radtour.
Mit der Trillerpfeife in der Hand steht der 30-Jährige auf einem Kairoer Parkplatz. "Go Bike" steht auf seinem T-Shirt. Und über 400 Fahrradfahrer folgen seinem Motto: ägyptische Familien samt Kids auf ihren Kinderrädchen, junge Männer in Sportmontur auf Rennrädern, Frauen mit und ohne Kopftuch auf den angebotenen Leihfahrrädern.
Wir fahren bitte zusammen, nicht einzeln, ermahnt Mohamed. Unser Begleitfahrzeug ist ganz hinten. Falls jemand einen Platten hat oder ein anderes Problem, bekommt ihr sofort Hilfe, ok? Also, auf geht's!
Mohamed Samy tritt in die Pedale. 16 Kilometer geht es heute quer durch Ägyptens Hauptstadt. An normalen Tagen ein Himmelfahrtskommando. Doch Freitagsfrüh macht Radfahren selbst in Kairo Spaß.
"Toll, das so was angeboten wird, sehr schöne Idee",
freut sich die 40-Jährige Riham.
"Wenn wir früher als Frauen Fahrrad fahren wollten, wurden wir schief angesehen",
so Freundin Maha.
Der alltägliche Stau in der ägyptischen Metropole Kairo, aufgenommen am 24.01.2012.
Die Straßen in Kairo sind ganz schön voll. Wer hier radeln will, braucht starke Nerven.© picture alliance / dpa / Matthias Tödt
Manar:
"Ich fahre heute zum ersten Mal in meinem Leben mit einem Fahrrad von einem Ort zum anderen",
sagt Manar. Aber nicht nur für ägyptische Frauen kommt die Radtour einer Abenteuerreise gleich.
Khaled:
"Ich habe gedacht, ich probier' das mal in der Gruppe aus, sagt der 17-Jährige Khaled. Ich habe sonst ein bisschen Angst vor dem Verkehr."

Wer in Kairo radelt, braucht gute Nerven

Zu Recht. Wer an normalen Tagen in Kairo Fahrrad fährt, muss gute Nerven haben. So wie Ahmed, ein Brotlieferant.
Tagein, tagaus radelt er durch die Blechlawine: An den Füßen Plastikschlappen, das traditionelle lange Gewand leicht hochgeschoben und auf dem Kopf einhändig ein türgroßes Brett jonglierend. Darauf liegen gut 200 frische Fladenbrote, die Ahmed zu Geschäften bringt. Für den Ägypter harter Arbeitsalltag, für den europäischen Betrachter Akrobatik:
"Naja, das kann nicht jeder, gibt Ahmed verlegen zu und macht dann das Zischgeräusch vor, mit dem er sich auf der Straße Platz verschafft. Ein Auto zu haben, wäre natürlich besser, meint ein Kollege von der Bäckerei."

"Go Bike" will mit Klischees brechen

Das Fahrrad als Inbegriff für Armut, mit diesem Klischee versuchen Initiativen wie "Go Bike" in Ägypten aufzuräumen. Mohamed Samy und seine Mitstreiter machen schon seit sechs Jahren Werbung für das Rad als alternatives Verkehrsmittel. Bei den Freitagstouren sollen die Leute auf den Geschmack kommen.
"Am Anfang haben wir fast nur negative Kommentare zu hören bekommen: Komische Idee, sagten die Leute, und fanden Fahrrad fahren seltsam, wenn man doch ein Auto hat. Aber inzwischen sind jeden Freitag bis zu 600 Leute mit uns auf Tour, so Mohamed. Wir haben die Kultur des Fahrradfahrens populär gemacht. Immer mehr unserer Teilnehmer benutzen das Rad jetzt auch im Alltag. Schon nach der ersten Tour mit unseren Leihfahrrädern fragen viele, wo kann ich mir ein eigenes Fahrrad kaufen, was kostet das?"
Ein normales City-Bike ist in Kairo schon ab umgerechnet 150 Euro zu haben. Doch wer genug Geld hat, kann sich in einem der wenigen, aber sehr gut ausgestatteten Fahrrad-Fachgeschäften auch ein teures Carbon-Rennrad von einem internationalen Markenhersteller kaufen.
Auch der ägyptische Radrennsport profitiert vom allgemeinen Boom. Die Teams der ägyptischen Radsportföderation gehören zu den besten in Afrika und Nahost. Doch Radrennen vor großem Publikum – wie in Europa - sind immer noch die Ausnahme. Aus Sicherheitsgründen wird meist auf Wüstenpisten gefahren. Freizeit-Radrennfahrer sieht man wie Go Bike am ehesten am frühen Freitagmorgen, zum Beispiel auf der gut ausgebauten Schnellstraße von Kairo nach Alexandria.

Auch der Präsident schwingt sich aufs Rad

Prominente Unterstützung für Ägyptens Radsport gibt es vom Staatspräsident persönlich. Schon mehrfach schwang sich Abdel Fattah al-Sisi vor laufenden Kameras aufs Fahrrad und forderte sein Volk auf, es ihm nachzutun. Das sei gesund, spare Benzin und schone die Umwelt. Umgeben von Sicherheitsleuten, auf gesperrten Straßen sei Fahrradfahren in Kairo ja auch kein Problem, so Kritiker.
Damit Fahrradfahren am Nil tatsächlich alltäglich wird, arbeitet "Go Bike" unterdessen an der Einrichtung von Radstationen mit Leihfahrrädern. Die ersten Versuche laufen in verkehrsruhigen Wohngebieten. Binnen eines Jahres sollen ägyptische Universitäten folgen. Und die Freitagsfahrt ist ohnehin längst eine Institution.
Der im April ausgerufene Ausnahmezustand in Ägypten schränkt die Radsportler dabei nicht ein, so Mohamed Samy. Wegen der ständig wachsenden Teilnehmerzahl melde man die Radtouren ohnehin seit Jahren an. Und auch wenn Go Bike eine Revolution plant, gibt es seitens der Behörden ausnahmsweise volle Unterstützung.
Mohamed:
"Wir machen uns für eine Verkehrsrevolution stark, durch Fahrräder auf der Straße, so Mohamed Samy. Das Rad soll zum Hauptverkehrsmittel werden."
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