Kaffeehausliterat, Jude, Kommunistenfresser

Von Günter Kaindlstorfer · 16.09.2008
Er war der letzte Vertreter der jüdischen Wiener Kaffeehauskultur der dreißiger Jahre. In seinen beiden "Tante Jolesch" Büchern hat er dieser Kultur ein mehr als würdiges Denkmal gesetzt. Die Rede ist von Friedrich Torberg, dem 1979 verstorbenen österreichischen Schriftsteller. Anlässlich seines 100. Geburtstages ehrt das Jüdische Museum Wien den legendären Kaffeehausliteraten mit einer Ausstellung.
Kettenraucher und Kaffee-Junkie, Romancier, Feuilletonist und Wasserball-Champion, Frauenfreund und Kommunistenfresser - Friedrich Torberg hatte viele Gesichter. Und alle, alle sind sie zu sehen in der imposanten Schau, die das Jüdische Museum Wien zum 100. Geburtstag dieses vielleicht letzten Vertreters der kakanischen Kulturtradition zusammengestellt hat.

Marcus G. Patka und Marcel Atze, die beiden Kuratoren, haben Unmengen an Material zusammengetragen, Briefe, Fotos, seltene Autographen und Originalmanuskripte Torbergs. Dazu kommt einer von Torbergs Originalschreibtischen, mit giftgrünem Plastik-Bleistiftspitzer, Schnupftabaksdose und der unvermeidlichen Thermoskanne für den von Torberg literweise konsumierten Kaffee.

Für Kurator Marcus G. Patka ist es konsequent, dass sich ausgerechnet das Jüdische Museum die Torberg-Ausstellung sichern konnte.

"Torberg war sich keiner seiner Identitäten so sicher wie der seines Judentums. Er war zeit seines Lebens ein stolzer, selbstbewusster Jude. Das hat sicher auch damit zu tun, dass er in seiner Jugend jüdischer Sportler, zionistischer Sportler gewesen ist. Er hat ja sinngemäß auch einmal geschrieben: 'Wir haben genauso viele Tore geschossen wie die anderen, wir sind genauso schnell geschwommen und gelaufen.' Also er hatte da keinerlei Minderwertigkeitsgefühle. Und das hat sich durch sein Leben hindurchgezogen."

Friedrich Torberg: "Ich fühle mich als europäischer Schriftsteller, der Sprache nach als deutscher, nach Tradition und literarischer Zugehörigkeit als österreichischer und aufgrund der sittlichen Fundamente, denen ich mich verpflichtet fühle, als jüdischer."

So hat Friedrich Torberg seinen Standort selbst einmal definiert. Pünktlich zu seinem 100. Geburtstag hat David Axmann, Torbergs Nachlaßverwalter, im Verlag Langen Müller nun auch eine kompakte, akkurat recherchierte Biographie des Schriftstellers vorgelegt. Axmann schreibt aus einer grundsätzlich sympathisierenden Perspektive - was ihn nicht hindert, Torbergs literarische Bedeutung durchaus kritisch zu bewerten:

"Er war zweitklassig als Romanautor, und wahrscheinlich ist er auch als Lyriker nicht in die erste Reihe zu stellen, obwohl ihm einige sehr berührende und tiefsinnige Gedichte gelungen sind, vor allem in der Emigration. Aber, auf Gebieten, die ich ebenfalls für literarisch wichtig und höchst wertvoll halte - also zum Beispiel die Parodie, die Polemik, die essayistische Auseinandersetzung über literarische und kulturpolitische Dinge - da gehört er zweifellos zu den Besten, die wir in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Österreich hatten."

Das ist wohl untertrieben: Neben den vielzitierten "Tante Jolesch"-Büchern, die zum unverrückbaren Kanon der österreichischen Nachkriegsliteratur gehören, sind zumindest zwei Torberg-Titel zu nennen, die man auch heute noch als bedeutende literarische Leistungen würdigen kann: der Gymnasialroman "Der Schüler Gerber" aus dem Jahr 1930 und die KZ-Novelle "Mein ist die Rache", von dtv verdienstvollerweise soeben wieder aufgelegt.

Friedrich Torberg ist ein Autor, der auch 29 Jahre nach seinem Tod noch polarisiert. Das musste auch Marcus G. Patka, Kurator des Jüdischen Museums Wien, feststellen: Die einen verehren den Autor der "Tante Jolesch" als pointierten Geschichtenerzähler und charmanten Anekdotensammler, die anderen lehnen Torberg als fanatischen Linkenfresser und als Initiator des sogenannten Brecht-Boykotts an den namhaften Wiener Bühnen der 50er Jahre ab.

Marcus G. Patka: "Es gibt wohl wenige Autoren der Nachkriegszeit, die so sehr polarisieren, die von den einen unendlich geliebt und von den anderen abgrundtief gehasst werden."

Dabei war Friedrich Torberg seinem Selbstverständnis nach alles andere als ein Konservativer oder gar ein Rechter.

Patka: "Einerseits hat Torberg in Österreich die SPÖ unter Bruno Kreisky unterstützt. Er hat auch einmal gesagt, er lasse sich ungern als Konservativer bezeichnen, denn er wolle nicht reaktionär sein."

In manchem war es Torberg dann aber doch: in seiner Ablehnung des deutschen Regietheaters etwa oder in seiner Aversion gegen dezidiert linke Autoren wie Erich Fried oder Peter Weiß. Auch die ruhmreiche österreichische Avantgarde der 60er Jahre fand in ihm einen erbitterten Gegner: mit den Texten Friederike Mayröckers, Ernst Jandls und H.C.Artmanns konnte ein im besten Sinne altmodischer Autor wie Torberg nie viel anfangen. Dass sich diese Autoren auch gegen Torbergs Widerstand durchgesetzt haben, sagt viel aus über die letztlich doch begrenzte Macht sogenannter Literaturpäpste, deren einer Torberg zu Lebzeiten in Österreich sicherlich war.

David Axmann: "Unter den vielseitigen Schriftstellern seiner Zeit war er vielleicht einer der begabtesten, sicherlich aber unter allen begabten der vielseitigste."

So bringt Biograph David Axmann die Bedeutung Torbergs auf den Punkt. Dabei steht eines fest: Manche Bücher des Vielseitigen sind es durchaus wert, wieder mehr gelesen zu werden.

Service:
Torbergs meisterhafte KZ-Novelle "Mein ist die Rache" ist bei dtv neu aufgelegt worden. Daneben empfiehlt sich auch David Axmanns akkurat recherchierte Torberg-Biographie, sie ist bei Langen-Müller erschienen. Und die Friedrich-Torberg-Ausstellung im Jüdischen Museum Wien ist bis 1. Februar zu sehen.
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