Kaffeebauern in Guatemala

Dem Klimawandel schutzlos ausgeliefert

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Ein Mann steht unter einem Baum in Guatemala.
Kaffee aus Guatemala ist ein begehrtes Gut, sogar für Spekulanten - doch die, die ihn machen, haben am wenigsten davon. © Getty Images / The Washington Post / Sarah L. Voisin
Von Andreas Boueke · 19.04.2020
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Steigende Temperaturen infolge des Klimawandels beeinträchtigen das Wachstum der Kaffeebohnen in Guatemala. Leidtragende sind die vielen Tagelöhner und Kleinbauern, die über keinerlei soziale Absicherung verfügen. Auch die Kirchen spüren die Krise.
Ein Supermarkt in Norddeutschland: "Wir stehen hier vor einer Kaffeewand. Hier gibt es eine große Auswahl an verschiedensten Kaffees, alle möglichen Marken und Hersteller."
Kaffee ist der Deutschen liebstes Getränk, noch vor Bier. Pro Kopf werden im Schnitt 162 Liter Kaffee im Jahr konsumiert, Tendenz steigend.
"Mit Kaffeetrinken verbinde ich immer so ein bisschen dieses Zusammensitzen, Kaffeetrinken, Kuchen essen. Das ist so das, woran ich an Kaffee denke. Und Supermarkt."

Jesus würde protestieren

Neuntausend Kilometer entfernt in Guatemala. Inmitten von Kaffeefeldern steht ein hölzernes Kirchengebäude. Daneben ein paar Häuser mit Wänden aus Lehmblöcken und Dächern aus rostigen Wellblechplatten. Einer der Laienprediger in dem kleinen Dorf El Escobar in der guatemaltekischen Provinz Santa Rosa heißt Tereso Ramos, ein resoluter Kleinbauer mit sonorer Stimme.
"Wenn Jesus hier wäre, würde er genauso reagieren wie damals zu biblischen Zeiten", sagt er. "Ich bin mir sicher, er würde protestieren. Er sah das Unrecht und kämpfte. Auch heute würde er erkennen, dass die Armen ausgebeutet werden, dass man uns ausnutzt. Er würde das bestimmt nicht gutheißen."
Tereso Ramos besitzt ein kleines Kaffeefeld. Er ahnt nicht, dass Kaffee längst zu einem Spekulationsobjekt geworden ist. Der Weltmarktpreis hat nichts mehr mit den Produktionskosten zu tun. In Zeiten niedriger Zinsen investieren immer mehr Anleger in Rohstoffe wie Kaffee. Sie spekulieren auf steigende oder fallende Preise. Wenn viel geerntet wird, sinkt der Preis. Manchmal sind die Profite einiger weniger Börsenhändler höher als der gesamte Verdienst aller Kaffeebauern der Welt. Ein Tagelöhner in Guatemala verdient selten mehr als fünf Euro am Tag:
"Es ist sehr frustrierend, dass wir nicht mehr bekommen. Der Preis für den Sack Kaffee reicht nicht zum Überleben. Deshalb legen wir in extremer Armut. Auch die Kirchengemeinde leidet unter der Krise. Die Spenden der Gemeindemitglieder sind deutlich zurückgegangen."

Arbeiter ohne Sozialversicherung

Weder Kleinbauern wie Tereso Ramos noch die Tagelöhner sind sozial abgesichert. Wer krank wird oder sich verletzt, bekommt keine Hilfe. Das kann lebensgefährlich werden, erzählt Doña Angela, die im Schatten von zweieinhalb Meter hohen Kaffeesträuchern steht und rote Kaffeekirschen erntet:
"Im letzten Jahr habe ich mich mit einer Machete geschnitten, ziemlich heftig. Die Wunde hat sich entzündet, aber wir haben kein Geld für ein Krankenhaus. Wir hatten uns verschuldet, um ein Stück Land pachten zu können, auf dem wir Mais und Bohnen anbauen, um etwas zu essen zu haben. Ich habe die Wunde mit Hausmitteln behandelt. So wurde es langsam besser, aber es hat zwei Monate gedauert. Ich hatte schlimmes Fieber, habe aber immer weiter gearbeitet. Ich dachte, ich würde sterben."
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"Die sozialen Veränderungen durch die Kaffeekrise sind enorm", sagt Rechtsanwalt Quelvin Jiménez.© Andreas Bouke
Den Alten macht die Kaffeekrise das Überleben schwer, den Jüngeren verbaut sie die Zukunft. Frühere Generationen hatten es leichter, meint der Rechtsanwalt Quelvin Jiménez. Seine Eltern konnten ihm eine Universitätsausbildung ermöglichen, dank der Kaffeeproduktion auf ihren zehn Hektar Land.
"Die sozialen Veränderungen durch die Kaffeekrise sind enorm. Früher konnten die Kinder zur Schule gehen. Viele haben sogar private Sekundarschulen besucht, die eine etwas bessere Bildung bieten als die lausig schlechten öffentlichen Schulen. Heute aber schaffen es viele Familien nicht einmal mehr, ihre Kinder durch die sechs Jahre Grundschule zu bringen."

Temperaturanstieg begünstigt Pilzkrankheiten

Die Geschichte des Kaffee-Exports aus der Provinz Santa Rosa begann vor 120 Jahren mit einer Landnahme der Familie Lehnhoff. Die deutschen Einwanderer gründeten die erste große Kaffeefinca in dem Gebiet des indigenen Volkes der Xinca. Seitdem hat der Export der braunen Bohnen mehreren Generationen ein gutes Auskommen gesichert. Auch der junge Rechtsanwalt Quelvin Jiménez hat einige Hektar Land geerbt. Vor allem aber widmet er sich seiner Arbeit für die Umweltkommission der Diözese Santa Rosa. Die Kaffeekrise ist eng verbunden mit dem globalen Klimawandel. In den letzten Jahren sind die Temperaturen in Santa Rosa deutlich gestiegen.
"In den Höhenlagen gab es früher nie solche Hitze. Heute wird es auf 1200 Metern genauso heiß wie auf 100 Metern über dem Meeresspiegel. Das führt zu Ausbreitung von Pilzkrankheiten wie dem Kaffeerost. Darauf waren die Bauern nicht vorbereitet."
Der Bischof der Diözese Santa Rosa, Bernabé Sagastume, bezeichnet den Temperaturanstieg als ein Menschenrechtsthema, weil die Überlebensgrundlage von Menschen wie Doña Angela zerstört wird:
"Arme Länder wie Guatemala leiden mehr als andere unter den Konsequenzen des Klimawandels. Die Armut ist schlimmer geworden, die Ausweglosigkeit, der Hunger. Jetzt gibt es eine Ernährungskrise. Damit hatte niemand gerechnet, die Regierung schon gar nicht. Zwar wurde im Jahr 2013 ein Gesetz erlassen, das die Auswirkungen des Klimawandels begrenzen soll, aber das Papier ist in den Schubladen verschwunden. Die Kleinbauern bekommen keine wirkliche Unterstützung. Viele mussten ihren Grundbesitz verkaufen, um Schulden zu zahlen."

Die meisten Anbauflächen sind vom Pilz befallen

Als Bischof Bernabé im Jahr 2007 nach Santa Rosa kam, war die Provinz noch die wichtigste Kaffeeregion Guatemalas, mit zwanzig Prozent der landesweiten Produktion.
"In der Umwelt-Enzyklika 'Laudato si' analysiert Papst Franziskus, dass die entwickelten Länder kein wirkliches Interesse daran haben, die armen Länder in ihrem Kampf zum Schutz der Natur solidarisch zu unterstützen. Guatemala ist besonders betroffen, wegen seiner geografischen Lage zwischen zwei Ozeanen. Wir sind den Folgen des Klimawandels schutzlos ausgeliefert."
Die allermeisten der 270.000 Hektar Land, auf denen in Guatemala Kaffee angebaut wird, sind vom Kaffeerost befallen. Dieser Pilz überdauert Trockenperioden und kann sich während kurzer Regenschauer schnell auf weitere Pflanzen ausbreiten. Ein großer Teil der Kaffeekirschen auf den Feldern von Santa Rosa ist heute klein und schrumpelig.
"Mit einem Sieb trennen wir die Kirschen voneinander. Die in schlechtem Zustand werden aussortiert. Wenn sie keine gute Form haben, wenn sie zu groß sind, zu klein oder vertrocknet."

Exporteinnahmen sind überlebenswichtig

Auch Bohnen, die nicht der Norm entsprechen, finden Käufer auf dem nationalen Markt. Aber ihr Preis liegt nicht einmal bei einem Zehntel dessen, was die schönen roten Kirschen kosten, die den Anforderungen des internationalen Marktes für Qualitätskaffee entsprechen. Für mittelgroße Betriebe wie die des Kaffeeproduzenten Alex Reynoso sind die Exporteinnahmen überlebensnotwendig. Er besitzt knapp 20 Hektar Land.
"Wir verlassen gerade einen Bereich meiner Felder, in dem die Pflanzen noch einigermaßen gesund sind. Dort drüben stirbt der Kaffee. Während des letzten Winters habe ich sehr viel Geld eingesetzt, um diese Pflanzen zu retten. Es hat nicht geklappt. Jetzt werde ich mit der Ernte nicht einmal so viel verdienen, wie ich investiert habe. Agrartechniker haben mir gesagt, der Klimawandel sei schuld."
Während der kräftige Farmer einen traurigen Blick über sein krankes Feld wirft, nähert sich eine junge Frau, die einen geflochtenen Bastkorb voller roter Kaffeekirschen vor ihre schmalen Hüften gebunden hat.
"Guten Tag, Don Alex. Schauen Sie mal, diese Sträucher. Um die brauche ich mich nicht zu kümmern, oder?"
"Richtig. Was da oben hängt, ist alles vertrocknet. Die Pflanze ist krank, völlig gelb. Von der brauchst du nichts zu ernten."

Der Bischof sieht die Industrieländer in der Pflicht

Bischof Bernabé Sagastume wäre froh, wenn die mächtigen Politiker und Wirtschaftsführer der Welt ihre Entscheidungen an der Botschaft des Neuen Testaments ausrichten würden.
"Jesus war immer gütig und mitfühlend gegenüber den Armen. Wir Gläubigen sehen das soziale Unrecht. Doch die industrialisierten Länder übernehmen keine Verantwortung, obwohl sie die ursprünglichen Verursacher des Klimawandels sind. Sie müssten solidarisch sein gegenüber den armen Ländern, die unter den Folgen leiden. Allein werden wir das Problem nicht in den Griff bekommen."
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