Designtheoretiker Friedrich von Borries

"Entwerfen ist Befreiung"

Friedrich von Borries, Architekt, Kurator und Designtheoretiker
Friedrich von Borries, Architekt, Kurator und Designtheoretiker © imago / Sven Simon
Friedrich von Borries im Gespräch mit Thorsten Jantschek · 14.01.2017
Architektur und Stadtentwicklung, Produktgestaltung und Raumplanung: Welchen Einfluss haben sie in einer Gesellschaft, die den öffentlichen Raum zurzeit vor allem als Ort der Gefährdung und Überwachung inszeniert? Architekt Friedrich von Borries über die politische Dimension von Gestaltung.
Vom Menetekel öffentlicher Baukultur zum bejubelten Schmuckstück demokratischer Stadtentwicklung – es ist schon eine seltsame Karriere, die das Projekt Hamburger Elbphilharmonie erlebt hat. Wenn man wie Friedrich von Borries der Architektur, ja der Gestaltung überhaupt, eine emanzipatorische und damit eine genuin politische Kraft zuschreibt, fragt man sich, ob genau dieser Bau, der mittlerweile vielfach als demokratische Architektur gefeiert wird, diesen starken Kriterien genügen kann.
Was können Architektur und Stadtentwicklung, Produktgestaltung und Raumplanung überhaupt leisten in einer Gesellschaft, die den öffentlichen Raum derzeit vor allem als Ort der Gefährdung oder der Überwachung inszeniert?
Prof. Friedrich von Borries, geboren 1974 in Berlin, ist Architekt und lehrt seit 2009 Designtheorie sowie kurative Praxis an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg. Zuvor wissenschaftliche Tätigkeit u.a. an der Stiftung Bauhaus Dessau, der ETH Zürich und dem Massachusetts Institute of Technology. Generalkommissar für den Deutschen Beitrag auf der XI. Architekturbiennale (2008) in Venedig. Leitet ein Projektbüro in Berlin, das nach eigener Auskunft "in den Grenzbereichen von Stadtentwicklung, Architektur, Design und Kunst" agiert. Zahlreiche Sachbuch- und Roman-Veröffentlichungen, zuletzt Weltentwerfen - Eine politische Designtheorie (Suhrkamp 2016).

Das Interview im Wortlaut:
Deutschlandradio Kultur: "Jeder Mensch ist ein Künstler" hatte Joseph Beuys 1967 proklamiert. Heute könnte man vielleicht sagen: Jeder Mensch ist ein Designer, jedenfalls dann, wenn man die politische Designtheorie von Friedrich von Borries liest, die er gerade unter dem Titel "Weltentwerfen" veröffentlicht hat.
Friedrich von Borries ist studierter Architekt, lehrt an der Hochschule für Bildende Kunst Hamburg Designtheorie und kuratorische Praxis. Er hat Romane geschrieben, Ausstellungen kuratiert, leitet in Berlin sein eigenes Projektbüro. Und heute ist er unser Gast in Tacheles in Deutschlandradio Kultur. Schönen guten Abend, Herr von Borries.
Friedrich von Borries: Guten Abend.
Deutschlandradio Kultur: Was heißt denn eigentlich Weltentwerfen?
Friedrich von Borries: Im Grunde heißt das nichts anderes als dass wir ja heute im Anthropozän leben und alles, was wir tun, einen wesentlichen Einfluss auf die Form und Gestalt der Erde hat und, anders herum, die Erde ganz wesentlich von uns geprägt ist.
Das heißt, wenn wir etwas gestalten, verändern wir damit auch die Welt. Das muss man im Kopf haben, wenn man gestaltet. Das bringt für Designer, für Architekten eine bestimmte hohe Verantwortung mit sich. Auf die möchte ich mit diesen Überlegungen aufmerksam machen.
Deutschlandradio Kultur: Aber auch für den Einzelnen, oder?
Friedrich von Borries: Ja, denn in gewisser Weise ist ja heute jeder auch der Gestalter seiner eigenen Lebenswelt. Das fängt bei dem an, was wir tragen am Körper, wie wir uns kleiden, wie wir uns aber auch in den sozialen Medien darstellen, wo wir uns ja immer repräsentieren, wenn nicht gar verkaufen müssen. Das führt dann weiter bis hin zu Fragen, wie wir unseren Körper gestalten. Diät ist ja heute der Normalzustand. Auch Implantate sind der Normalzustand. In den Zähnen haben wir sie fast alle, einige auch in weiteren Körperorganen. Und das wird sich in der Zukunft noch weiter fortsetzen, so dass wir auch permanent mit Fragen der Selbstgestaltung konfrontiert sind. Und da sind wir in gewissem Sinne, zwar nicht professionell, aber doch andauernd unser eigener Designer.
Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir doch mal bei der Weltgestaltung, also bei der Welt, die uns umgibt. Ein gutes Stück Welt ist gerade in Hamburg feierlich eröffnet worden, die Elbphilharmonie. 789 Millionen Euro hat sie gekostet, irgendwann standen mal 77 Millionen auf dem Zettel. Das ist aber Schnee von gestern. Heute gilt sie schon als glitzerndes Wahrzeichen der Hansestadt und als Architektur-Ikone von weltweitem Rang. Aus der Perspektive eines politischen Designtheoretikers ein gelungenes Bauwerk?
Friedrich von Borries: Also, mir geht’s eigentlich nicht darum, einzelne Bauwerke jetzt zu bewerten. Aber man kann an der Elbphilharmonie ganz schön aufzeigen, was denn eine politische Designtheorie zu leisten vermag. Denn wenn man jetzt liest, was so alles über die Elbphilharmonie geschrieben wird, dann gibt’s relativ klassische Bewertungskriterien. Das eine haben Sie schon so anklingen lassen, sind die ökonomischen. Die anderen sind die funktionalen – der beste Klang etc. Und natürlich auch ästhetische werden viel diskutiert.

"Eine Form von gesellschaftlicher Selbstvergewisserung"

Aber es wird relativ wenig über die politische Dimension gesprochen. Denn die Frage stellt sich ja: Was ist denn überhaupt die Elbphilharmonie? Das ist ja zu allererst eine Form von gesellschaftlicher Selbstvergewisserung. Hamburg, die Stadt, die darunter leidet, dass sie kulturell einen nicht so guten Ruf hat wie andere deutsche Großstädte, investiert als Form der gesellschaftlichen Selbstvergewisserung in Kultur, um sich ein anderes Bild von sich selbst zu geben – nach innen und nach außen.
Insofern ist die Elbphilharmonie erstmal ein politischer Akt, interessanterweise nicht von der Politik initiiert, sondern vom Hamburger Bürgertum, was schon mal eigentlich ganz interessant ist. Und es ist eigentlich…
Deutschlandradio Kultur: Und mit drei Millionen abgefunden worden, die Initiatoren…
Friedrich von Borries: …und es ist eigentlich auch ganz schön, dass es ein kulturelles Bauwerk ist.
Jetzt könnte man, und das fände ich ganz interessant, wenn wir die Zeit dazu haben, das vergleichen mit dem anderen großen gesellschaftlichen Selbstvergewisserungsprojekt Deutschlands, nämlich dem Schloss-Neubau oder -Wiederaufbau oder Humboldtforum in Berlin.
In Berlin wurde ein existierendes, aber zerstörtes Bauwerk aus einer nichtdemokratischen Zeit rekonstruiert. In Hamburg wurde etwas Neues gebaut, sozusagen auf dem Fundament von Bestehendem. Das ist schon eine tolle Haltung und ein sehr schöner Gestus. In Berlin hat das neu aufgebaute Schloss auch eine Fassade, die zeitgenössische – in Anführungszeichen "zeitgenössische" – Architektur hat. Die hat aber eine sehr strenge Ordnung, währenddessen in Hamburg die Skyline ja eine tanzende Bewegung ist, etwas Spielerisches, also eigentlich auch etwas, was sehr gut zu einer offenen Gesellschaft passt.
Aber – und das finde ich eigentlich ganz interessant – wenn man sich jetzt die Programmstruktur des Hauses anguckt architektonisch, dann sehen wir da drin auch Luxuswohnungen. Wir sehen darin auch ein Vier- oder Fünf-Sterne-Hotel. Und da ist man doch relativ schnell in hierarchisch geordneten Repräsentationsformen von Gesellschaft, wo das vielleicht doch nicht so offen ist, wie es sein sollte. Und da ist das Humboldtforum viel spannender und geht auch viel selbstkritischer mit seiner eigenen inhaltlichen Struktur um.
Man sieht auch jetzt in den ersten Veranstaltungen, dass das – glaube ich – den Hamburgern oder dem Intendanten Lieben-Seutter, der ja sehr interessant ist und gute Arbeit macht, auch bewusst ist, weil sie ihre eigene klassische Programmatik wieder zu sprengen versuchen. Es gab eine Betanzung der Architektur durch Sasha Waltz. Es gab jetzt bei der Eröffnungsveranstaltung mehrere sozusagen Interventionen, dass ein Sänger oder ein Musiker nicht auf der zentral gelegten Bühne agiert hat, sondern eben aus dem Publikum heraus, also, wo man schon versucht, dieses doch sehr traditionelle…
Deutschlandradio Kultur: .. föderale Prinzip...
Friedrich von Borries: …ja, das irgendwie aufzubrechen. Aber an dem Versuch es aufzubrechen sieht man auch, dass es da doch noch einem sehr klassischen Kulturbild verhaftet ist und dann auch noch in einem sozusagen Nutzungsmix mit Luxuswohnungen und Fünf-Sterne-Hotel es doch eher an eine Elite sich richtet als an eine offene demokratische Gesellschaft.
Insofern, aus einer politischen Perspektive sehr interessante und spannende Punkte, wo das Projekt sehr innovativ ist, aber auf der anderen Seite auch sehr, sehr konservative rückwärtsgewandte, wo ich nicht sagen würde, das ist irgendwie emanzipatorisch oder empowermentorientiert, sondern doch eher eine angstorientierte Form der Selbstvergewisserung, was man denn als bürgerliche Gesellschaft heute sein könnte.
Deutschlandradio Kultur: Diese Angstorientierung nehmen wir gleich nochmal auf. Aber ich wollte nochmal ein anderes Element in diesem Ensemble zur Sprache bringen. Das ist die sogenannte Plaza. Wenn man das jetzt mal verlängert, was Sie gerade gesagt haben, dann würde man ja sagen müssen: Das Volk steht im Wind, sozusagen auf dem offenen Balkon, der relativ großzügig gehalten ist. Und alle anderen sitzen im Warmen, im besten Falle in Luxuswohnungen, die 25 000 Euro pro Quadratmeter kosten und mindestens 120 Quadratmeter groß sind. Man kann sich dann ausrechnen, wie teuer die wirklich sind und für welche Klientel das gemacht ist.

Ist die Elbphilharmonie ein demokratisches Projekt?

Friedrich von Borries: Andrian Kreye hat in der Süddeutschen geschrieben oder gefragt, ob das die Freiheitsstatue Deutschlands sei. Da würde ich sagen: Hoffentlich bitte nicht, denn es ist ein, wie Sie gerade beschrieben haben, hierarchisch strukturiertes Gebäude und keines, was offen und wirklich im besten Sinne gleichberechtigt ideal wäre. Natürlich kann sich jeder eine Eintrittskarte kaufen. Sie sind auch preislich so gestaffelt, dass das jeder kann. Aber trotzdem ist es von der Grundhaltung ein elitenorientiertes Projekt.
Deutschlandradio Kultur: Diese Elitenorientierung versucht man ja rhetorisch immer aufzuweichen. Also, Sie haben eben den Generalintendanten Lieben-Seutter angesprochen, der gesagt hat, dass diese Elbphilharmonie eine "gelebte demokratische Kultur" sei. Olaf Scholz hat gesagt, der Hamburger Bürgermeister, sie werde von allen akzeptiert und adaptiert. Und andere sagen wiederum, dass jetzt auch noch der Elbphilharmonie eine positive Rolle der Stadtentwicklungspolitik innewohnt.
Also, das ist jetzt ganz groß gesprochen. In manchen Zeitungen kann man sogar lesen: "Große Willkommenskultur, demokratische Architektur für großbürgerliche Vergnügen" usw. usw. Also, hat man dann eigentlich ganz schnell diese, sagen wir, diese Malaise der ganz teuren Finanzierung vergessen und sieht jetzt tatsächlich nur noch das Ikonische?
Friedrich von Borries: Man hat vor allem eine Werbeagentur engagiert mit einem relativ guten Budget, die Öffentlichkeitsarbeit für das Projekt macht, was ich jetzt an und für sich auch nicht verwerflich finde. Ich finde auch, die Budgetfrage ist nicht die zentrale. Es wird Geld ausgegeben für die verschiedensten Dinge. Und es ist auch sinnvoll, das für Kultur auszugeben.
Aber man muss sich trotzdem fragen: Welches Bild von Gesellschaft konstituiert man? Welches Verhältnis hat so ein Bauwerk und so ein Programm zu der Gesellschaft? Und da muss man, glaube ich, ehrlich sein. Das sind in dem Falle nicht alle. Man kann ja auch sagen, es ist nicht verwerflich, ein elitäres Projekt zu machen. Kultur hat manchmal auch was Elitäres, aber dann soll man das vielleicht auch sagen. Und eine designtheoretische Analyse des Gebäudes zeigt das halt auch auf, wie wir das ja eben in einigen Ansätzen versucht haben zu skizzieren.
Insofern ist es ein ganz stringentes Projekt. Dass die Politiker das in der Öffentlichkeit entweder anders verkaufen oder vielleicht auch selber anders wahrnehmen, sei ihnen auch belassen. Das ist jetzt auch nicht anders zu erwarten.
Deutschlandradio Kultur: In einem Aspekt dieser politischen Designtheorie geht es um das Gesellschaftsdesign und die Erzeugung oder das Schaffen, das Entwerfen auch von Identitäten, das Rückgewinnen auch vielleicht von verloren gegangenen Identitäten. "Sinnliche Erfahrung ermöglicht einer Gesellschaft eine Identitätserfahrung." – Wird denn diese Identitätserfahrung, wenn Olaf Scholz sagt, dieses Bauwerk wird von allen akzeptiert und adaptiert, ist das so etwas, wo diese Identitätserfahrung gemacht werden kann? Und wenn ja, welche Identität wird da erfahren sinnlich?
Friedrich von Borries: Also, ich glaube, da überlagern sich mehrere Punkte. Ich glaube, wenn man so der klassische Stadttourist, Stadtflaneur ist, man führt seine Freunde und Bekannte durch seine Heimatstadt, dann ist das ein Gebäude, was man gerne zeigt und was eine positive Ausstrahlung hat und mit dem man sich positiv identifizieren kann. Ich glaube, das funktioniert auf jeden Fall – auch in der Verknüpfung von Traditionellem, also, das alte Speichergebäude, was da noch besteht, alte Hamburger Tradition und diesem neuen leichten gläsernen kristallinen Körper, der oben drauf sitzt.
Die zweite Ebene ist natürlich das Programm inhaltlich, was da auch gespielt wird musikalisch. Das ist in dem Fall ja auch ganz interessant, dass es jetzt nicht, wie zum Beispiel die Berliner Philharmonie, ein nur klassisches Programm hat, sondern nächstes Wochenende spielen da die Einstürzenden Neubauten, vielleicht auch ein ironischer Kommentar zu sich selbst. Aber sie spielen tatsächlich dort, also – in Anführungszeichen – schon fast zu Klassik gewordene Punkmusik, mit dem sich ein strukturell bürgerliches Publikum seiner eigenen Wildheit und kulturellen Offenheit versichert. Also ich sage mal spießig mit poppigem Anstrich oder spießig mit punkigem Anstrich. Man hört die Musik seiner eigenen Jugend und kommt sich dabei jung und wild vor und ist aber gesittet und gesetzt in einem der schönsten und aufwendigsten Konzertsäle von Deutschland.

Humboldtforum: selbstkritischer Umgang mit eigener Geschichte

Ich glaube, das ist die Form von bürgerlicher Selbstvergewisserung, die dort stattfindet. Das ist das Gleiche wie Turnschuh mit Anzug etc., also eine Form von gediegener Lockerheit, derer man sich als offene bürgerliche Gesellschaft versichert.
Deutschlandradio Kultur: Ist da was einzuwenden dagegen?
Friedrich von Borries: Das ist jetzt erstmal eine Beschreibung.
Deutschlandradio Kultur: Ja eben, deswegen….
Friedrich von Borries: Wir beide haben auch Turnschuh an und haben damit kein Problem. Das ist aber vielleicht was anderes als ein kulturelles Projekt, was Aufbruchssignal ist für eine Gesellschaft, die sich kulturell öffnet zu anderen Kulturen, die reflektiert, wo der Reichtum herkommt etc. Und das ist sehr interessant beim Humboldtforum, die ja ihre eigene Kolonialgeschichte extrem interessant reflektieren, damit auch aktiv umgehen, selbstkritisch mit sich umgehen, und das wird sich noch zeigen, inwieweit die Elbphilharmonie auch eine kritische Ebene zu ihrer eigenen Bürgerlichkeit hat, die ja ein bestimmter gesellschaftlicher Ausschnitt auch nur ist.
Und im Moment, wenn man sich das Gebäude nun halt ansieht und sieht, da ist auch ein Luxushotel und da sind diese Luxuswohnungen drin, dann strahlt das halt in einer gewissen Weise nicht eine Offenheit auch für alternative zeitgenössische Kulturen, für Jugendkulturen etc. aus, die man im Musikbereich vielleicht auch haben könnte, wenn man den Anspruch hat, Willkommenskultur und Pipapo auch sein zu wollen.
Deutschlandradio Kultur: "Design", so schreiben Sie, "hat einen emanzipatorischen Kern." Welcher Kern ist das ganz genau?
Friedrich von Borries: Ja, das liegt eigentlich schon in dem Wort drin, das die Tätigkeit eines Designers oder eines designenden Menschen beschreibt, nämlich: Er entwirft. Und dieses Entwerfen, sich selber zu entwerfen oder Dinge zu entwerfen, ist das Gegenteil zum Unterwerfen oder zum Unterworfensein.
Das heißt, wir können sagen: Die Welt ist so wie sie ist. Wir sind ihr unterworfen. Wir können nichts an ihr ändern. Oder wir sagen: Nein, wir entwerfen die Welt. Wir befreien sie. Wir ändern sie. Wir gestalten sie. Und dieser positive Impetus von jeder Gestaltung ist das emanzipatorische Moment. Entwerfen ist das Gegenteil von Unterwerfung und ist ein Akt von Befreiung und Emanzipation.
Deutschlandradio Kultur: "Entwerfen", so schreiben Sie wörtlich, "ist der Ausgang des Menschen aus seiner Unterworfenheit." Und der Heilraum, den dieser Satz erzeugt, nämlich die berühmte Kant’sche Formel "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit", da fehlt ein Wort, nämlich "selbst verschuldet". Also, man könnte ja auch sagen, entwerfen ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unterworfenheit. – Warum haben Sie das Wort weggelassen?
Friedrich von Borries: Weil nicht jede Form von Unterworfenheit, die wir erleiden, selbst verschuldet ist. Es gibt auch selbst verschuldete. Es gibt freiwillige. Ich spreche auch an anderen Stellen von der freiwilligen Unterwerfung, die wir alle vollziehen, wenn wir uns freiwillig überwachen lassen, indem wir Smartphones benutzen etc. Es gibt aber auch Formen vor allem im globalen Kontext, die nicht selbst verschuldet sind. Insofern wäre es sachlich falsch, dort nur von selbst verschuldeter Unterworfenheit zu sprechen.
Entwerfen ist auch der Ausgang der fremdverschuldeten und nicht selbstverschuldeten Unterworfenheit – unter politische Regime, unter ökonomische Zwänge etc. pp.
Deutschlandradio Kultur: Was heißt denn Unterworfenheit jetzt, sagen wir, im Designkontext genau?
Friedrich von Borries: Das müssen Sie jetzt nochmal spezifizieren.
Deutschlandradio Kultur: Entwerfen ist sozusagen dass, dadurch kann sich jeder etwas drunter vorstellen: Man macht einen Entwurf, der neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet, der vielleicht gar nicht so festlegt, welche Handlung man mit einem bestimmten Gegenstand tun soll, ob man darauf sitzen soll oder das als Tischchen benutzen soll. So klassische Bauhausarchitektur hat das häufiger im Bereich der Möbel getan. Und das Unterwerfen legt aber dann offenbar eine Handlungsmöglichkeit fest, zementiert Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Wie drückt sich das designmäßig aus?

Veraltete Wohnarchitekturen in Mittel- und Westeuropa

Friedrich von Borries: Also, ein schönes Beispiel ist ja die Architektur des Wohnens. Das kennen wir alle. Und wir leben heute fast alle in einer Wohnform hier in Mitteleuropa, Westeuropa, die sich orientiert an der klassischen – in Anführungszeichen "klassischen" Familie – zwei Eltern, zwei Kinder. Danach sind die meisten Wohnungen geschnitten. Wir haben eine soziale Realität, die anders ist, in der es Patchwork-Familien gibt, in der Leute sich trennen etc., in denen Familien viel dynamischer geworden sind. Die Wohnungen sind aber statisch. Wir kennen keine Grundrisse und keine Architekturen, die sagen, wir haben hier eine patchworkfähige Wohnung mit – weiß ich nicht – vielleicht zwei Eingängen, damit die getrennten Eltern unterschiedliche Eingänge benutzen können, aber die Kinder in ihrer Wohnung wohnen bleiben können und nicht pendeln müssen, nur mal so als ganz praktisches Beispiel.
Das heißt, die entworfene Struktur, die aus einem bestimmten Familien- und damit Teil eines Gesellschaftsbildes kommt, die bestimmt unsere Lebensform, statt dass anders herum unsere Lebensform, die in vielen Fällen nun mal eine Hybridisierung von Familienformen ist, die Wohnform neu bestimmt und neu definiert. Insofern unterwerfen wir uns oder meistens die pendelnden Kinder sind unterworfen einer bestimmten gestalterischen Lösung, die aus einer anderen Gesellschaftsvorstellung kommt als unsere gesellschaftliche Realität. Und das könnte man anders machen.
Das wäre dann ein Entwerfen im Sinne einer Anpassung oder Ermöglichung von anderen Formen des Zusammenlebens als die, die heute von Räumen oft vorgegeben werden.
Deutschlandradio Kultur: "Design", schreiben Sie, "ist so was wie das planvolle Gestalten von physischen und virtuellen Gegenständen in Innen- und Außenräumen, Informationen und sozialen Beziehungen". Wir nimmt man das dazu, worüber wir ja schon gesprochen haben, nämlich auch Weltdesign oder Weltgestaltung, Welt entwerfen und selbst entwerfen. Dann hat man eigentlich einen Begriff, der so ziemlich jede menschliche Tätigkeit umfasst. Verwässert man nicht da auch den Gestaltungs- oder Designbegriff?
Friedrich von Borries: Worum es mir geht, ist… oder um zu verstehen, worum es mir geht, muss man natürlich auch gucken, was ist der normale Designdiskurs. Im normalen Designdiskurs ist Design die Gestaltung von Gegenständen, von Objekten, vielleicht auch von Räumen. Und das wurde dann in den letzten zwanzig Jahren mit den entstehenden neuen Medien aufgeweicht in Richtung von virtuellen Angelegenheiten.
Wir haben ja eben gerade am Beispiel der Wohnung darüber gesprochen, dass die Gestaltung der Wohnung eben nicht nur die Gestaltung von den sogenannten vier Wänden ist, sondern einen massiven Einfluss auf die Möglichkeiten des Zusammenlebens hat, dass sie bestimmte Formen des Zusammenlebens ermöglicht und bestimmte nicht. Insofern ist das Entwerfen einer Wohnung immer auch das Entwerfen der sozialen Beziehungen, die in dieser Wohnung möglich sind.
Deutschlandradio Kultur: Oder man unterwandert das, indem man jetzt – also, ich habe gerade gelesen, dass der Paravent wieder ein Aufleben hat, um größere Räume zu teilen, also, mit einer schönen designten Stellwand.
Friedrich von Borries: Wobei der Paravent auch ein gestaltetes Objekt ist, das genau dazu dient, temporär Räume anders zu nutzen. Aber dann ist auch der Paravent eben nicht nur ein dreidimensionales Objekt, das einen Raum teilt, sondern der lenkt Bewegungen in diesem Raum. Der bestimmt Aufenthaltszonen, er öffnet und schließt sie und definiert damit die sozialen Beziehungen.
Dafür den Blick zu öffnen oder woran wir gerade diskutiert haben, an der Elbphilharmonie, dass die Elbphilharmonie eben nicht nur ein ästhetischer Körper im Stadtraum ist, den ich total spannend und schön finde, sondern auch die Repräsentation eines kulturellen Selbstverständnisses, über das wir gerade kritisch reflektiert haben, weil es bestimmte Sachen nicht mit einschließt, die vielleicht für die Zukunft oder die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft wichtig sind. Auf diese zusätzliche Dimension hinzuweisen, das ist das, was mir wichtig ist.

Muss heute jeder sein eigener Designer sein?

Die politische Designtheorie, wie ich sie versucht habe zu formulieren, schließt ja nicht die bestehenden ästhetischen, funktionalistischen, ökonomisch orientierten aus und sagt, die sind alle falsch. Sondern sie sagt nur, es gibt hier noch eine weitere Dimension, die politische Dimension, die bislang zu wenig bedacht und beachtet wird und wo ich vorschlage, dass man sie mit einbezieht in die Art und Weise, wie wir über unsere gestaltete Umwelt, über Design und Architektur nachdenken.
Deutschlandradio Kultur: Aber wird die nicht sozusagen auch nochmal ausgeweitet auf jeden Einzelnen? Also, sozusagen jeder hat die Verantwortung für seinen, Sie haben es gesagt, Lebensraum, seinen Lebensbereich. Lastet man da dem Individuum, das nicht nur jeden Tag Tausende von Entscheidungen zu treffen hat oder Hunderte, sagen wir mal, lastet man dem dann nicht auch noch ein Gestaltungsproblem auf, das ja normalerweise von anderen vielleicht gelöst werden kann? Und man eignet sich das dann in irgendeiner Weise an. – Man muss ja keine Zitronenpresse kaufen, die aussieht wie eine Spinne und auf drei Beinen oder vier Beinen steht.
Friedrich von Borries: Also, es gibt zwei Ebenen. Die eine ist, es gibt professionelle Designer, professionelle Gestalter, die an Hochschulen ausgebildet werden etc., die wichtig sind und die es auch weiterhin geben wird, die sich aber auch der politischen Dimension ihrer Tätigkeit bewusst sein müssen.
Und dann gibt es eine zweite Ebene, die Sie angesprochen haben. Die kommt dann bei dem zum Tragen, was ich "Selbstdesign" genannt habe, aber auch beim Überlebensdesign, dass wir in unserer Gesellschaft ja dazu gezwungen sind, Designer und Gestalter zu sein. Wir müssen es ja andauernd machen, es sei denn, wir entziehen uns ihr. Wir stellen uns ja in sozialen Netzwerken dar. Wir sind nicht mehr in einer Gesellschaft, in der man mit Anfang, Mitte Zwanzig in einen Beruf, ein Arbeitsverhältnis eintritt und in dem dann bleibt bis zu seiner sicheren Rente. Sondern man ist beständig in verschiedensten Märkten. Man spricht ja schon auch von einem Partnerschaftsmarkt, wo man sich beständig darstellt. Wir haben ja nicht mehr einen Lebens- und Sexualpartner oder zwei, drei, wie das noch die Elterngeneration oder auf jeden Fall die Großelterngeneration zu einer großen Mehrheit hatte, man hat ja mehrere, in denen man sich immer wieder neu erfindet, neu definiert – in Anführungszeichen auch neu gestaltet.
Also, ich glaube, wir bürden da niemandem etwas auf, sondern es ist so. Und ich versuche nur das zu beschreiben, was da ist. Und man kann es mit dem Designbegriff einfach sehr gut fassen, was diese Realität des sich permanenten Selbstdarstellens, Selbstgestalten, das Mantra der Weiterentwicklung ist, das jeder Arbeitnehmer dauernd zu hören bekommt, wo und wie er sich weiterentwickelt. Das sind Formen von Selbstgestaltung. Und die kann man designtheoretisch beschreiben.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie beschreiben es ja nicht nur, weil, an jedem Kapitelende steht ein markanter Satz, der eigentlich zwischen gutem und schlechtem Design entscheidet. Und gutes Design zum Beispiel in dieser Phase des Selbstdesigns, über die wir gerade gesprochen haben, ist eigentlich, eine gewisse Offenheit zu erzeugen, eine Freiheit, "Porosität" haben Sie das genannt. Was heißt denn das genau? Also, sich nicht den Zwängen der Selbstoptimierung und der Selbsttechnologie, hätte Michel Foucault, der französische Philosoph das mal gesagt, einfach anheim zu stellen, sondern sich zu widersetzen, offen zu sein für anderes?
Friedrich von Borries: Also, vielleicht zwei Bemerkungen: Es gibt einen sehr wichtigen deutschen Designer, Dieter Rams. Der hat irgendwann mal zehn Regeln für gutes…
Deutschlandradio Kultur: Braun.
Friedrich von Borries: Genau, der die Braun-Geräte gestaltet hat. Der hat irgendwann mal zehn Regeln für gutes Design aufgestellt. Und die Schlusssätze jedes Kapitels, die also sagen: Gutes Design ist…, beziehen sich in einer auch vielleicht ein bisschen ironischen Weise auf Dieter Rams und sein apodiktisches gutes Design.
Das Zweite ist, dass ich diese Sätze natürlich auch sehr ernst nehme und sie mir sehr wichtig sind. Sie sprachen auf den Schlusssatz im Selbstdesign an. Und die große Gefahr beim Selbstdesign ist, dass es was unheimlich Totalitäres hat, die Vorstellung, dass wir uns dauernd gestalten müssen, dauernd optimieren müssen, dauernd verbessern müssen.

Sachen unvollendet, unperfekt lassen

Und da zu sagen, nein, wir stehen auch zu einer gewissen Offenheit, die Sachen offen lässt, die Sachen unvollendet lässt, die Sachen unperfekt lässt. Wo man porös bleibt, durchlässig ist für andere Möglichkeiten, dass man innere Widersprüchlichkeiten zulässt und sich eben nicht zu einer – in Anführungszeichen – glatt designten, perfekt gestylten Oberfläche reduziert, sondern in einer Offenheit und Vielschichtigkeit gestaltet, das ist mein Appell in "Selbstdesign". Deshalb steht am Ende dieser Satz: Entwerfendes Selbstdesign gibt dem Selbst Freiheit und engt es nicht ein in bestimmte Gestaltungsvorstellungen, in bestimmte Normierungen, in bestimmte fixierte Formen.
Deutschlandradio Kultur: Tatsächlich ist es aber doch so, dass sich das berühmte Selbst ja gerne auch in seinen Freiheiten einschränken lässt, wenn es zum Beispiel um die Sicherheit geht. Einen Aspekt des Designs nennen Sie auch Sicherheitsdesign, das Design von Sicherheit. Und damit sind wir bei einem genuin politischen Thema. Also, das heißt, im Augenblick wird ja keine Partei müde zu betonen, welche Sicherheitskonzepte und wie viel Überwachung eigentlich an den öffentlichen Plätzen so stattfindet. Und ich gehe mal davon aus, dass die Elbphilharmonie ganz gut verkabelt ist und relativ viele Kameras da auf der Plaza auch installiert sind.
Friedrich von Borries: Also, ich glaube, das da der gesellschaftliche Diskurs in die völlig falsche Richtung läuft und wir, statt darüber zu diskutieren, wie viel Sicherheit wir brauchen, wir diskutieren sollten, wie viel Unsicherheit wir uns zutrauen. Wie viel Unsicherheit sind wir bereit auszuhalten?
Deutschlandradio Kultur: Na wenig, sagt man nach dem Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz.
Friedrich von Borries: Schon klar. Ich glaube, das ist die gesellschaftliche Diskussion, die man führen muss. Und auch nach dem Anschlag auf den Breitscheidplatz gab es ja sehr wohl Stimmen und auch eine Lebenspraxis, die gesagt hat: Nein, wir wollen so leben wie wir leben. Dafür nehmen wir gewisse Unsicherheiten in Kauf. Und der Weihnachtsmarkt – so absurd man das vielleicht finden mag, Weihnachtsmärkte sind jetzt nicht der Ausdruck von Freiheit, den ich jetzt hier groß feiern möchte, - aber dass der dann wieder offen hatte und die Leute hingegangen sind, das ist gut und richtig oder das steht für eine bestimmte Haltung, die ich persönlich gut und richtig finde. Die sagt: Wenn man Freiheit leben will, muss man Unsicherheit aushalten.
Und ich schreibe: Ein entwerfendes Sicherheitsdesign ermöglicht, Unsicherheit auszuhalten. Denn Unsicherheiten müssen wir aushalten. Und der Freiheitsgrad einer Gesellschaft bemisst sich daran, wie viel Unsicherheit sie zulässt.
Und wir brauchen natürlich auch Sicherheiten. Die ganze Kleidung schützt uns vor Wind und Wetter, gibt uns Sicherheit. Gebäude schützen uns vor Fremden, die wir nicht kennen, vor Wind, Wetter, Kälte etc. Also, wir leben ja überall in Sicherheitskonstruktionen. Sonst könnte der Mensch als expansives Wesen gar nicht so existieren und von der Wüste bis zum Nordpol irgendwie die ganze Welt besiedelt haben, wenn er nicht in solchen Sicherheitsstrukturen auch denken würde. Das ist total spannend. Aber das Verhältnis zwischen, wie viel Sicherheit brauche ich und wie viel Unsicherheit lasse ich zu, das ist das Spannende. Und darüber, ich glaube, über das Aushalten von Unsicherheit wird zu wenig diskutiert, wie man von Sicherheit Herstellen zu Unsicherheit Aushalten kommt.
Deutschlandradio Kultur: Wie viel Unsicherheit soll man denn aushalten? Keine Poller aufstellen vor den Weihnachtsmärkten? Jetzt sind ja überall diese Betonpoller, übrigens ästhetisch nicht gerade sozusagen der letzte Schrei, würde ich behaupten, da gäbe es vielleicht noch schönere – in Anführungsstrichen – "schönere" Möglichkeiten. Oder keine Überwachungskameras in den Innenstädten? – Was stellen Sie sich da vor? Das klingt noch ein bisschen abstrakt.

"Der aktuelle gesellschaftliche Diskurs ist hysterisierend"

Friedrich von Borries: Jetzt stellen Sie mir ja Fragen, als wäre ich ein Sicherheitspolitiker. Als Theoretiker ist es erstmal meine Aufgabe, das nur zu beschreiben und zu fassen.
Natürlich bin ich auch nicht ganz neutral und habe meine eigenen politischen Vorstellungen und finde, dass der aktuelle gesellschaftliche Diskurs halt hysterisierend ist. Und das Aufstellen der Poller in jeder Fußgängerzone war ein symbolpolitischer Akt, in dem Handlungsfähigkeit bewiesen werden sollte. Also, die statistische Relevanz von Tödlichkeit von Terroranschlägen in Deutschland ist so gering, dass wir da eigentlich überhaupt nicht über Sicherheit diskutieren müssten. Also, wenn es jetzt wirklich um Gefährdung von Leib und Leben geht, gäbe es andere Sachen, die man verbieten müsste.
Deutschlandradio Kultur: Heiko Maas….
Friedrich von Borries: Tempolimit zum Beispiel.
Deutschlandradio Kultur: Tempolimit statt Fußfesseln für Gefährder.
Friedrich von Borries: Genau. Tempolimit statt Fußfesseln für Gefährder ist statistisch wahrscheinlich effizienter. Und ich glaube, dieser politischer Aufschrei nach mehr Sicherheit, nach mehr Videoüberwachung, nach mehr Pollern auf öffentlichen Plätzen bringt statistisch keine relevante Erhöhung der Lebenserwartung in der Bundesrepublik Deutschland.
Deutschlandradio Kultur: Ist aber eine Politik, die mit Angst operiert und mit Suggestionen operiert, also sozusagen der Vorstellung, es könnte ja was passieren. Und dann ist natürlich die Gefährdung eines Terroranschlags viel größer zu bewerten als ein Auto, das mit Vierzig statt mit Dreißig durch eine Dreißigerzone fährt. Ich habe neulich einen Bericht gehört bei uns im Radio, bei uns auf der Welle, dass die Wölfe wieder zurückkehren. Und es ist völlig unwahrscheinlich, dass ein Mensch von einem Wolf angefallen wird. Und der Experte, der hat gesagt: Ja, aber wir empfehlen den Leuten ja auch nicht, mit dem Helm in den Wald zu gehen, weil, die Wahrscheinlichkeit von einem Ast erschlagen zu werden, ist deutlich größer. Aber das Operieren mit Angst ist einfach ein starkes politisches Motiv auch.
Friedrich von Borries: Ja, Angst ist ein Herrschaftsinstrument, ein sehr effektives, das bestehende Verhältnisse verfestigt und zementiert. Das sieht man ja auf erschreckende Weise gerade in den USA mit dem Trumpismus. Also, die herrschende Klasse, um einen altmodischen Begriff zu verwenden, freut sich. Hat gut geklappt. Die Milliardäre in Trumps Regierung und ihre Freunde freuen sich wahrscheinlich auch über die neue Politik, die die USA machen kann oder machen wird. Und das alles basiert auf Angstkommunikation.
Aufklärung ist ein klassisches Instrument gegen Angst. Ich glaube an Aufklärung. Und so verstehe ich natürlich auch meine Arbeit, als Appell, statt alles zu glauben, analytisch hinter die Dinge zu gucken und ihre wahre Bedeutung oder noch andere Dimensionen von Bedeutung zu entdecken.
Deutschlandradio Kultur: Was bedeutet denn das für unsere Städte, also die öffentlichen Räume, die ja dann im Fokus stehen – im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich im Fokus von Überwachungskameras, vielleicht auch die Plaza der Elbphilharmonie?
Friedrich von Borries: Ja, man….
Deutschlandradio Kultur: Kann man das einfach weglassen?
Friedrich von Borries: Nein, natürlich überhaupt nicht. Man diskutiert ja seit langem diesen Verlust des öffentlichen Raumes. Und das wird halt weiter fortschreiten. Man muss sich da halt fragen: Was bedeutet das für eine Gesellschaft, die keine öffentlichen Räume mehr hat, in denen zufällige Begegnungen stattfinden, deren Eigenschaft von Zufälligkeit halt auch ist, dass da auch mal ein Anschlag passieren kann, wo die Eigenschaft der Zufälligkeit aber auch ist, dass ganz andere Sachen, schöne Sachen, tolle Sachen, überraschend Positives passieren kann?
Dass diese Räume immer weniger werden, das ist für meine Vorstellung von gesellschaftlichem Leben sehr traurig. Aber es ist dann kontrolliert und strukturiert und verhindert Veränderungen.
Deutschlandradio Kultur: Verlust der öffentlichen Räume. Zu Gast war heute der Designtheoretiker Friedrich von Borries, seine politische Designtheorie ist unter dem Titel "Weltentwerfen" im Suhrkamp Verlag erschienen.
Mehr zum Thema