K. Meichenitsch, M. Neumayr, M. Schenk (Hrsg.): "Neu! Besser! Billiger!"

Soziale Innovation: Neue Wege für den Sozialstaat?

Ein Bedürftiger nimmt am Dienstag (03.07.2012) an der Essensausgabe in der Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo in Berlin seine Essensration von einer Mitarbeiterin entgegen.
Gerade im anglo-amerikanischen Raum mit seinem schwachen sozialen Netz spielen soziale Innovationen eine große Rolle © picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert
Von Nana Brink · 01.10.2016
"Soziale Innovation" - das Wort taucht auf, wenn durch neuartige Kooperationen Gelder in den sozialen Bereich fließen. Die britischen Social Impact Bonds sind ein Beispiel dafür, mit deren Hilfe Resozialisierungsmaßnahmen finanziert wurden. Doch manchmal verbirgt sich hinter diesen Ideen auch Etikettenschwindel.
In jeder Debatte um die Betreuung von Flüchtlingen oder das Pflegen von demenzkranken Angehörigen taucht das Wort seit ein paar Jahren in schöner Regelmäßigkeit auf: "Soziale Innovation". Es gibt den – nicht immer – neuen Konzepten, wie wir in Zukunft unseren Sozialstaat gestalten wollen, den Anstrich von Modernität.
Doch was verbirgt sich hinter diesem Modewort? Diese Frage stellen sich die Assistenz-Professorin Michaela Neumayr, die Ökonomin Katharina Meichenitsch und der Sozialexperte Martin Schenk in ihrem gerade im Wiener Mangelbaum Verlag erschienenem Buch: "Neu! Besser! Billiger! – Soziale Innovation als leeres Versprechen?" Das Herausgeberteam hat 20 Autoren aus Wissenschaft und Praxis versammelt, um die Realität hinter dem Etikett zu sichten, die, wie der Untertitel des Buches schon vermuten lässt, jede Menge Etikettenschwindel erkennen lässt.
Was also ist "soziale Innovation"? Vor allem ein vager Begriff. Oder wie die Herausgeber in ihrem Editorial schreiben:
"Von sozialer Innovation spricht man, wenn gesellschaftliche Probleme auf neue Art und Weise gelöst werden. Damit sind etwa neue Formen der Kommunikation gemeint, moderne Techniken und Methoden, oder neuartige Kooperationen verschiedener Institutionen und AkteurInnen."
Die Attraktivität des Konzepts besteht vor allem aus seinem Versprechen, die "Welt besser zu machen" nach den sozialen Verwerfungen der Finanzkrise. "Die Konjunktur der sozialen Innovation ist ein Krisenphänomen", schreiben die Herausgeber und erklären damit die Vagheit des Begriffs.

Mit weniger mehr erreichen

Interessanter als die Frage, was soziale Innovation ist, ist also die Frage, wer bedient sich ihrer? Zum Beispiel die Europäische Union in ihrem Strategiepapier 2014:
"In the current economic climate, it is essential to do more with less and to do it better."
Die Strategie also ist klar: Mit weniger mehr erreichen im sozialen Bereich. Aber ist das nun gut – oder eher schlecht, wenn soziale Innovationen teilweise die Aufgaben eines Sozialstaates übernehmen? Nur nebenbei: Diese Frage stellt sich in angelsächsischen Staaten mit traditionell gering ausgebildeten Solidarsystem eher selten.
Weltweit Aufsehen erregt haben die so genannten Social Impact Bonds (SIB). Hierbei stellen Stiftungen oder Privatpersonen Kapital für die Finanzierung sozialer Dienstleistungen zur Verfügung. Wenn das Programm erfolgreich ist, bekommen die Investoren ihr Geld zurück - plus einer Prämie.
Furore machten die SIB in der britischen Stadt Peterborough. Dort wurden Resozialisierungsmaßnahmen für Haftentlassene finanziert, wobei die Verzinsung für das eingesetzte Kapital von der Rückfallquote der Haftentlassenen abhing.

In den USA wählten die Sponsoren sogar die Lehrer aus

Kritisch wird das Konzept der sozialen Innovation, wo es den Sozialstaat nicht sinnvoll ergänzt, sondern seine Aufgaben übernimmt – und letztlich definiert. So geschehen im Bereich frühkindlicher Förderung an einer öffentlichen Schule in den USA. Dort haben Sponsoren nicht nur den Unterricht finanziert, sondern Einfluss auf die Auswahl der Lehrer genommen.
Dass sich hinter dem Begriff der sozialen Innovation oft auch ein Etikettenschwindel verbirgt, beleuchtet der Artikel des Philosophen Konrad Paul Liessmann. Da unsere Gesellschaft einem "Neuigkeitswahn" unterliege, seien Krisen nicht mehr das Ergebnis von Fehlentwicklungen oder begangener Irrtümer, sondern "in einer solchen Lesart immer und ausschließlich Resultate eines Neuigkeitsmankos. Es war zu wenig neu."
Wer einen Überblick über die Diskussion zum Thema "soziale Innovation" erhalten möchte, ist mit diesem Buch gut beraten. Es liefert unterschiedliche Definitionen, benennt Akteure, Projekte und Anwendungsbereiche. Allerdings hätte man sich ein besseres Lektorat gewünscht, das so manches "Soziologen"-Deutsch übersetzt und die leider auffälligen Redundanzen tilgt.

Katharina Meichenitsch, Michaela Neumayr, Martin Schenk (Hg.): "Neu! Besser! Billiger! – Soziale Innovation als leeres Versprechen?"
Mandelbaum Verlag, Wien 2016
226 Seiten, 12,80 Euro

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