JVA Tegel in Berlin

Schule hinter Gittern

Gelaserte Stahlbleche ersetzten die Gitter an den Fenstern der Zimmer der neuen Sicherungsverwahrung in der JVA Tegel in Berlin.
Blick mit wenig Aussicht: Die JVA Tegel in Berlin © dpa / picture alliance / Hannibal Hanschke
Von Maximilian Klein und Thomas Klug · 23.02.2015
Außer Gitterstäben und Gefängnismauern sehen die jungen Männer Saban und Alex nicht viel in der JVA Tegel in Berlin. Sie haben andere Menschen beklaut und erpresst, wollen ihr Leben aber irgendwann wieder selbst in die Hand nehmen. Schulunterricht sollen ihnen dabei helfen.
Die UNO hängt an der Wand. Als Schautafel. Die aufgeklebten Flaggen sind vergilbt, die Handschrift nur noch schwer zu lesen. Die Vereinten Nationen sitzen im Klassenraum: Deutsche, Bulgaren, Türken, Tschetschenen, Russen, Araber, ein Staatenloser. Sie sitzen hinter den Schulbänken und lernen gerade Grundlagen der Prozentrechnung.
Sie sind spät dran damit. Viel zu spät. Die Fenster des Klassenraums sind vergittert. Alles ist hier vergittert. Jede Tür abgeschlossen. Die Schüler sind eingesperrt – für Jahre.
Es ist Pause. Der Lehrer verkündet das nach einem Blick auf die Uhr. Eine Schulklingel gibt es nicht.
"Bin seit sechs Monaten hier. Davor war ich in Moabit, zwei Jahre. Habe noch ein Jahr vor mir, bin Türke, bin 26, keine Frau, keine Kinder. Gehe immer noch zur Schule hier."
Saban will reden. Es ist Abwechslung. Und Abwechslung ist rar im Knast. Shaban spricht von Stadtteilen. Es sind die Orte, wo er im Gefängnis war. Er sagt Tegel – und meint die JVA Tegel, jene triste Gefängnisanlage im Norden von Berlin. Saban sagt Moabit – und meint die JVA Moabit. Von dort kennt Saban die Tage, an denen die Zellentür 23 Stunden geschlossen ist. 23 Stunden allein mit sich und seinen Gedanken.
Wir gehen in ein kleines Büro. Dort erzählt Saban seine Geschichte.
"Draußen waren andere Sachen wichtig, ich war hinter Geld her, also ich hatte mit Schule auch zu tun, ich war bis achte Klasse, bin aber immer nicht hingegangen. Hier ist ja so, wenn die Zelle nicht aufgeht, wenn du nicht hingehst, wird eben wieder abgeschlossen."
"Es ging um Geld"
Warum ist er im Gefängnis gelandet? Saban zögert mit seiner Antwort:
"Wegen Straftaten. Also ich habe Straftaten begangen. Hauptsächlich, es ging um Geld. Sagen wir, es ging um Diebstahl. Hauptsache, schnelles Geld."
Dann redet er von 15.000 Euro. Wenn man die in der Tasche habe, dann gehe man nicht regelmäßig arbeiten. Und Schule? Wenn er wieder draußen ist? Die Antwort kommt schnell:
"Also, wenn ich rauskomme, dann werde ich nicht mehr Schule machen. Ich würde normal arbeiten. Mein Wunsch wäre Koch. Wir haben einen Familienbetrieb, ein Restaurant, Zeitungsladen und so. Ich werde da schon irgendwo reinfallen und wenn nicht, werde ich mein eigenes eröffnen, einen Spätkauf oder so."
Hofpause. Der Hof ist wichtig. Raus aus den Mauern. Weg von den Fenstern, die das Draußen nur durch Gitterstäbe zulassen. Doch draußen ist es nicht viel besser. Der Blick geht nur bis zur nächsten grauen Wand, bis zum nächsten Gitter. Wenn Saban mal keine Gitter oder grauen Wände sehen will, hilft nur der Blick zum Himmel.
Als Lehrer im Gefängnis
Die Gitter vor den Fenstern – Lars Weber sieht sie gar nicht mehr. Seit sechs Jahren kommt er zweimal pro Woche in die Haftanstalt Berlin-Tegel, um den Insassen Deutsch und Englisch beizubringen. Und inzwischen auch Mathematik.
"Mich interessiert, dass man diese schwierigen Leute, also die schlechte Erfahrungen in der Schule gemacht haben, dass man die irgendwie kriegt. Man kriegt nicht alle, aber viele kriegt man."
Lars Weber fläzt sich auf seinem Schreibtischstuhl. Eine Vierteldrehung nach links, eine halbe Drehung nach rechts. Er sei kein geduldiger Mensch sagt er. Geduld hat er erst hier gelernt, bei seiner Arbeit als Lehrer im Gefängnis.

"Und dabei ruhig zu bleiben, den Humor zu behalten und nicht diesen Satz machen: Das habe ich schon tausendmal erklärt. Nee, mache ich nicht. Ich erkläre es nochmal."
Mit Schule wird kein Erfolg verbunden
Wiederholung. Die Schüler brauchen das. Wer hier zur Schule kommt, hat selten gute Erinnerungen an die Schule. Und Erfolg ist etwas, was keiner der Schüler mit der Schule verbindet. Lars Weber will das ändern.
"Sie waren einfach nicht in der Schule, sie haben ihre Drogen genommen, die haben die Schule abgebrochen, sie haben die Schule nicht ernst genommen. Und letztes Ende merken sie, dass sie auch deswegen hier sind, weil sie den normalen Bildungsweg nicht gegangen sind, keinen Beruf gelernt haben und versucht haben, sich irgendwie über Wasser zu halten und dann im Knast landeten."
Prozentrechnung. Eine Gleichung, zwei Bruchlinien, drei Zahlen, ein x. Hinter dem x muss sich auch eine Zahl verbergen. Das weiß Alex. Er muss die Zahlen irgendwie sortieren, irgendetwas wird multipliziert, dann wird etwas geteilt. Alex konzentriert sich, will es rauskriegen. In der Pause sagt er dann, dass er es ernst meint mit der Schule hier. Sehr ernst sogar. Seit knapp zwei Jahren sitzt er in der JVA Tegel. Seitdem plagt er sich mit Englisch, Deutsch, Geschichte. Und eben mit Prozentrechnung. Alex, schwarzhaarig, groß und stämmig, ein Tattoo auf dem Handrücken. Er stammt aus Bayern, lebt seit über sechs Jahren in Berlin, zwei Jahre davon hinter Gittern. Insgesamt soll er dreieinhalb Jahre Haft in Tegel verbringen.
"Räuberische Erpressung. Ich war damals in der Nacht vor einer Sparkasse und hab jemandem sein Geld weggenommen."
Er will seine Strafe zu Ende bringen – bis zum letzten Tag. Er weiß, dass er draußen sonst wieder ein Problem hat – ohne Schulabschluss.
"Aber da ich ja Schule mache und die Prüfungen dann noch sind, würde ich die verpassen. Und deswegen bleibe ich, um die Prüfungen von der Schule noch mitnehmen zu können."
Alex will auf Nummer sicher gehen. Und sicher – das ist für ihn der regelmäßige Unterricht, die Schule im Knast. Bis zum Abschluss.
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