Freitag, 19. April 2024

Archiv


Elektronische Kreide

Die Vorlesung in "Linearer Algebra" an der Technischen Universität Berlin kommt neuerdings ganz ohne Schiefertafel und Kreide aus. Mit einem elektronischen Stift schreibt der Dozent auf ein so genanntes interaktives Whiteboard, ein weißes Brett an der Wand. Was er hierauf schreibt, wird von einem Beamer riesengroß an die Wand geworfen. Das heißt, die Studenten lesen von der Wand ab - oder einfach von ihrem eigenen Notebook.

22.11.2002
    Die während der Vorlesung entstandenen Tafelbilder sind nämlich auch im Internet abrufbar. E-Kreide, also elektronische Kreide, so heißt dieses Prinzip. Die E-Kreide wiederum ist fester Bestandteil des vom Forschungsministerium an 22 Universitäten geförderten Notebook-Projekts MOSES. Über ein Funknetz kann sich der Student an verschiedenen Stellen auf dem Campus, auch in den Vorlesungsräumen, kabel- und kostenlos ins Internet einwählen und hat Zugriff auf Lernmaterialien. Sven Grottke, einer der Organisatoren des Projekts:

    Er kann überall in der Uni am Rechner seine Hausaufgaben machen. Daneben gibt es hier Projekte, die sich mit Multimedia in der Lehre beschäftigen, die auch interaktive Übungsblätter machen und ihre Lehrveranstaltung darauf umstellen, dass zum Beispiel Bildschirmexperimente gezeigt werden. Wenn die Studenten dann ihre eigenen Notebooks haben, können die nicht über den großen Beamer nur zuschauen, sondern können während der Veranstaltung dabei mitmachen.

    Eines Tages, so die Hoffnung, soll jeder Student sein Notebook durch die Uni tragen, wann immer er will und überall vernetzt sein, alle bürokratischen Dinge elektronisch und mobil erledigen und jederzeit Zugriff auf seine fachspezifischen Lernmittel haben. An der TU Berlin ist das Projekt vor ein paar Tagen so richtig angelaufen. Zunächst richtet es sich an die Erstsemester der Fakultät für Prozesswissenschaften. Einer von ihnen, der das neue System mit all seinen Kinderkrankheiten schon fleißig ausprobiert, ist Stefan Kordel, Student der Energie- und Verfahrenstechnik.

    Es ist irgendwo eine Antenne angebracht, und je näher man an die Antenne kommt, desto besser ist natürlich der Empfang. Wenn man weiter weg ist, kann es schon mal passieren, dass man aus dem Internet rausfällt. Aber genutzt wird es schon. Zum Beispiel, wenn man ein Referat für ein Seminar schreiben oder Ausarbeitungen machen muss, dann kann man schon mal ins Internet gehen und mit Google schauen: Was haben andere Seiten?

    Momentan lassen sich via E-Kreide nur die Tafelbilder im Internet abrufen. Doch die Organisatoren basteln schon an einer zukünftigen Audiofassung und träumen sogar von einer Video-Übertragung. Doch da regt sich der Widerstand der Lehrenden. Dozenten seien schließlich keine Schauspieler, sagt der Mathematik-Professor Andreas Unterreiter. Die E-Kreide habe ohnehin ihre natürlichen Grenzen:

    Ich sehe darin eine Ergänzung, wenn man mal zwei, drei Vorlesungen versäumt hat, wenn man den Vortragsstil kennt, dass man das, was man versäumt hat, besser zugänglich hat. Ich sehe auch einen gewissen Vorteil in der Abgleichung von Vorlesungsmitschriften in der Prüfungsvorbereitung. Aber ich sehe keinen Ersatz. Denn didaktisch sind Bücher besser. Zum Lernen sind Kontakte zu Kollegen besser. Und zum Erklären ist die physische Person besser.

    Eine Lernhilfe also und keine Uni-Revolution. Die MOSES-Organisatoren an der TU Berlin hoffen nun, dass ihre Hochschule das Projekt in einem Jahr weiterführt und ausbaut. Denn Ende 2003 versiegen die Fördergelder des Ministeriums.

    [Autor: Markus Rimmele]

    Links zum Thema

    Dass eine Videoübertragung aus dem Hörsaal auch datenschutzrechtliche Fragen aufwirft, berichtete Campus und Karriere am 21.11.2002.