Junichiro Tanizaki: "Der Schlüssel"

Erotische Paar-Kommunikation der raffinierten Art

Buchcover "Der Schlüssel" von Junichiro Tanizaki, im Hintergrund eine japanische Berglandschaft
Junichiro Tanizakis "Der Schlüssel" entging 1956 nur knapp einem Veröffentlichungsverbot. © Cass Verlag / imago / Deutschlandradio
Von Thomas Wörtche · 21.06.2017
Ein alternder Professor und seine junge Frau tauschen sich mit ihren Tagebüchern indirekt über ihr Sex-Leben aus: "Der Schlüssel" von Junichiro Tanizaki löste vor 60 Jahren in Japan eine Porno-Debatte aus. Der meisterhafte Roman ist nun neu übersetzt worden.
"Der Schlüssel" von Junichiro Tanizaki ist ein Klassiker der Literatur des 20. Jahrhunderts. In Japan erschien der Roman des lange als Nobelpreiskandidat gehandelten Tanizaki 1956 und löste eine Debatte um Pornografie aus, einem Veröffentlichungsverbot erging das Buch nur knapp.
Angesichts der langen Tradition erotischer Kunst und Literatur in Japan und angesichts der persönlichen Themen Tanizakis seit seinen ersten Erzählungen und Romanen, die sich oft um Obsessionen, um Dominanz und Unterwerfung drehten, war "Der Schlüssel" nur konsequent. Der Roman konfrontiert zwei Tagebuch-Fiktionen, also auf den ersten Blick zwei radikal-subjektive Perspektiven auf die Welt – und stellt sich damit in die Tradition des japanischen Naturalismus, der immer mit einer gewissen "Selbstentblößung" einhergeht.

Ein Literaturprofessor sorgt sich um seine Potenz

Aber was vorgibt, intimste Selbstbespiegelung zu sein, ist eine raffinierte Art der Kommunikation: Der männliche Tagebuchschreiber, ein alternder Professor der Literatur, sorgt sich um seine Potenz und beklagt die sexuelle Unersättlichkeit seiner jüngeren Gattin. Deren Tagebuch aber behauptet, dass sie dem Professor eine gute Ehefrau sein will, sie ihn physisch widerwärtig findet und seine "Perversionen" nur zu erträgt, um ihre Pflicht zu erfüllen.
Tatsächlich aber dienen die beiden Tagebücher – formal durch eine "Männerschrift" und eine "Frauenschrift" ("Katanka" und "Hiragana") auch typographisch voneinander abgesetzt – der innerehelichen Kommunikation. Beide gehen davon aus, dass der jeweilige andere Partner das andere Tagebuch liest und beide sorgen mit ausgefuchsten Arrangements, dass dies auch tatsächlich der Fall ist.

Ein zusätzlicher Liebhaber für die Ehefrau

Der Professor bemerkt, dass Eifersucht für ihn ein gewaltiges erotisches Stimulans ist, deswegen führt er seine Frau mehr oder weniger offen dem Verlobten ihrer Tochter zu. Sie nimmt das Angebot, ihren "unstillbaren Sexualtrieb" noch zusätzlich mit einem jüngeren, potenteren Liebhaber zu stillen, gerne an. Er möchte seine Frau "moralisch so weit korrumpieren, wie es nur geht", sie nimmt diese Korrumpierung an, weil sie dadurch eine im traditionellen Verständnis gute Ehefrau ist, die alles tut, damit ihr Gatte glücklich sei.
So werden die Tagebücher zu Instrumenten der Manipulation, verlogen und heuchlerisch – auch weil das Ehepaar im Alltag so tut, als ob sie die Einträge nicht kennen würden. Die Tagebücher sind, so gesehen, weniger eine Selbstentblößung der Protagonisten, sondern eine ziemlich radikale Entblößung der japanischen Nachkriegs-Gesellschaft - die einerseits noch an den traditionellen Werten hängt, anderseits deren Obsoletheit in Relation zu den menschlichen Bedürfnissen schon erkannt hat.

Neuübersetzung eines vielschichtigen Meisterwerks

Die mit ästhetischen und psychologischen Mitteln ausgetragene Zimmerschlacht des Ehepaares, zeichnet darüber hinaus die Konfliktlinien zwischen den Geschlechtern vor, die spätestens in den 1960er-Jahren global ausbrechen wird. Im Westen werden vor allem Autorinnen wie Patricia Highsmith oder Margret Millar diese Dynamiken in ihren "Psycho-Thrillern" fortschreiben, in Japan Masako Togawa und andere Autorinnen.
Denn dass die ganze Angelegenheit in letzter Konsequenz, bis zum Tod des einen Parts ausgefochten werden kann, das steckt auch in dem bösen Ende von "Der Schlüssel". Ein extrem vielschichtiges und implikationsreiches Meisterwerk, das der Neuübersetzung und -Platzierung dringend bedurfte, weil es bis heute ein ästhetisch-literarischer Meilenstein ist.

Junichiro Tanizaki: Der Schlüssel
Aus dem Japanischen von Katja Cassing und Jürgen Stalph
Cass Verlag, Löhne 2017
204 Seiten, 22 Euro

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