Junge Frau mit Schlagzeug

Vorgestellt von Hans-Ulrich Pönack · 26.03.2008
Das Spielfilmdebüt "Meer is nich" von Regisseur Hagen Keller über eine 17-Jährige aus Weimar bietet Teenie-Kino der besseren Art. Lena hat das Schlagzeugspielen für sich entdeckt und will eine Band gründen. "Schmetterling und Taucherglocke" ist vor dem Hintergrund einer schweren Erkrankung eine Hymne auf das Leben.
"Meer is nich"
Deutschland 2007, Regie: Hagen Keller, Hauptdarstellerin: Elinor Lüdde
Hagen Keller (Buch und Regie) ist Thüringer (Bad Langensalze) vom Jahrgang ´68, hat schon ein bewegtes Leben als Wehrdienstverweigerer und folglich Kellner, Kraftfahrer, Bibliothekar, Heizer, Krankenpfleger, Bauhilfskraft und Zimmermann hinter sich, absolvierte im Abendstudium sein Abitur. Nach der Wende studierte er Übersetzer für Portugiesisch und Russisch und ließ sich anschließend an der "Staatlichen Fachakademie für Fotodesign" in München ausbilden.

Er ist seit 1996 freischaffender Fotograf (u.a. für den "Spiegel"), begann im Jahr darauf das Regie-Studium an der "Hochschule für Film und Fernsehen" in München. Danach erste Kurzfilme, hier nun sein Langfilmdebüt, für das ein Budget von rund 800.000 Euro zur Verfügung stand.

Im Zentrum: Die 17-jährige Lena aus Weimar. Die will sich nicht anpassen, keine Erwartungen erfüllen und sich schon gar nicht ihren Lebensweg vorschreiben lassen. Sie probiert also erst einmal "am Leben", "riecht" mal hier, mal da, hängt gerne rum, beobachtet, versucht, ihre Vorstellungen "zusammenzukriegen". Natürlich eckt sie dadurch oft an, zumal sie dann auch ihre Passion entdeckt: das Schlagzeug. Ihr Werdegang wird noch komplizierter. Aber: Sie entdeckt, wenn man etwas unbedingt will, läuft vieles fortan auch klarer. Und ebenso natürlich sagen auch hier die Eltern, also die Erwachsenen, zuallererst: "Lerne erst einmal was Gescheites!" Überall dasselbe.

Eine junge Frau und ihre Sinn- und Sich-Suche: Völlig unglatt, hakig bis zum Geht-nicht-mehr, gut austeilend wie einsteckend. Das kommt atmosphärisch unangestrengt ´rüber, besitzt viel Sympathie-Geschmack, weil die "Göre" durch die 24-jährige Langfilm-Debütantin Elinor Lüdde prima-spannend-"unruhig" vermittelt wird. Dass sie seit 2003 bei einer Frauenband namens "sleazy inc. operated" am Schlagzeug mitmischt, kommt ihr natürlich zugute. Ein charismatisches Unruhe-Talent, das an Franka Potente erinnert. Sieht man über die typischen Regie-Erstlingsmacken (gerne) hinweg, bekommt man es hier mit einem ebenso erstaunlich-ungekünstelten wie angenehm-unterhaltsamen deutschen Teenie-Kino der (viel) besseren Art zu tun.

<im_43566>"Schmetterling und Taucherglocke" (NUR IM ZUSAMMENHANG MIT DEM FILMSTART</im_43566>"Schmetterling und Taucherglocke"
Frankreich/ USA, Regie: Julian Schnabel, Hauptdarsteller: Mathieu Amalric, Emmanuelle Seigner, Josèe Croze, Max von Sydow, 122 Minuten

Regisseur Julian Schnabel stammt aus New York City, Jahrgang ´51 (also heute 56), studierte von 1969 bis 1973 an der Uni in Houston/Texas, besuchte in den Jahren 1973/74 das "Independent Study Program" am "Whitney-Museum" in New York. 1976 arbeitete er als Koch, bis 1979 folgten längere Aufenthalte in Italien, Frankreich, Spanien und Deutschland.

Schnabel ist Maler, gilt als einer der Hauptvertreter des Neoexpressionismus/New Image Painting. Viele seiner Werke sind auf unebenen Oberflächen von gebrochenem Glas oder Porzellan gemalt. Er hat u.a. auch die Cover der Alben "The Raven" von Lou Reed und "By The Way" der Band "Red Hot Chili Peppers" gestaltet. (Hier bildete er auch seine Tochter Stella ab, die damals eine Beziehung mit dem Gitarristen der Gruppe, John Frusciante, unterhielt.)

1995 stellte Schnabel ein eigenes Album namens "Every Silver Lining Has A Cloud" vor, an dem sich die Musiker Bill Laswell, Buckethead, Bernie Worrell und Nicky Skopelitis beteiligten. Seit Mitte der 90er Jahre ist Julian Schnabel auch als Spielfilmregisseur tätig. 1996 realisierte er "Basquiat", eine Biografie über den Künstler Jean-Michel Basquiat (gespielt von Jeffrey Wright). Vier Jahre darauf folgte "Before Night Falls" mit dem spanischen Schauspieler Javier Bardem (gerade Oscar-prämiert als satanischer Killer in "No Country For Old Men" von den Cohen-Brüdern und damals hierfür Oscar-nominiert) als homosexueller kubanischer Schriftsteller Reinaldo Arenas. Der dritte Kinofilm von Julian Schnabel entstand in Frankreich, hatte im Vorjahr seine Uraufführung beim Cannes-Festival und erhielt die "Goldene Regie-Palme".

Danach gab es für "Schmetterling und Taucherglocke" zwei Golden Globes und vier Oscar-Nominierungen. Der Film basiert auf dem gleichnamigen autobiografischen Roman von Jean Dominique Bauby. Dort heißt es am Anfang: "Der Taucheranzug wird weniger drücken und der Geist kann wie ein Schmetterling umherflattern". Bauby war Journalist, Autor, Chefredakteur der Zeitschrift "Elle", befand sich auf der Überholspur des Lebens (= Wein, Weib, die Künste, das Reisen...), als er am 8. Dezember 1995 - im Alter von 43 Jahren - einen massiven Schlaganfall erlitt. Das extrem seltene "Locked-In-Syndrom" wird diagnostiziert: Der Körper ist vollständig gelähmt, man kann nur ein wenig den Kopf bewegen, ansonsten ist eine Kommunikation nur mit Augenblinzeln möglich, ausschließlich mit dem linken Auge: 1 x ja, 2 x nein. Der Mensch ist quasi in seinem eigenen Körper eingeschlossen, bei hellwachem Geist.

Mit Hilfe einer Sprachtherapeutin und einer Lektorin beginnt Bauby, ein Buch "zu schreiben". Ein "Augen-Buch" sozusagen, mit speziellem Alphabet (= die Buchstaben werden nach der Häufigkeit in der französischen Sprache geordnet). Eine Sisyphusarbeit, 28 Kapitel, 130 Seiten. Über seine Erfahrungen, Fantasien, Wünsche, Träume, über seinen Zustand: "Die Schwere des unbrauchbaren Körpers, die Leichtigkeit des weiterhin wachen Geistes."

Nach 14 Monaten ist es soweit, am 6. März 1997 erscheint das Buch in Frankreich, Jean Dominique Bauby stirbt drei Tage danach an Herzversagen, das Buch wird zum Bestseller, erscheint 1998 erstmals in Deutschland, befindet sich heute in der 9. Auflage.

Der Film ist packend, bedrückend, berührend, human, großartig in der Balance zwischen Authentizität in Bildern und Motiven, dem Sichtbarmachen des Leids und des Leidenden und dem würdevollen wie sogar selbstironischen, also "unterhaltsamen" Einfühlungsvermögen. Man möchte mitheulen und darf sich - respektvoll - "amüsieren". Unglaublich, aber es gelingt.

"Schmetterling und Taucherglocke" ist eine Hymne auf das Leben, auf das Glück, lebendig zu sein, sich von Kopf bis Fuß "freihändig" bewegen zu können: "Als ich gesund war, war ich gar nicht lebendig. Ich war nicht da. Es war recht oberflächlich. Aber als ich zurückkam, mit dem Blickwinkel des Schmetterlings, wurde mein wahres Ich wiedergeboren." Ohne dabei kitschig, pathetisch, denunzierend, gar peinlich oder voyeuristisch zu sein, ganz im Gegenteil: Diese Innen- wie Außenansichten eines kaputten, aber nicht zerstörten Mittendrin-Lebens werden behutsam wie kraftvoll wie poetisch wie spannend entwickelt. Mit genau dem passenden Blick und Ton zwischen Erbarmen und Ermutigung, zwischen Tiefe und Glaubwürdigkeit, zwischen Zeigen und Emotionen.

Dabei hat es der Hauptakteur, der französische Schauspieler Mathieu Amalric (der Bösewicht im nächsten Bond), am allerschwersten. Denn er muss sich stets im Liegen oder Sitzen und quasi regungslos "präsentieren". Hat im Off seine (bisweilen listig-ironischen) Kommentare, aber das war es schon. Umso beeindruckender seine sensible, unangestrengte, wie "selbstverständliche" Präsenz. Zu Hause gab es dafür zurecht kürzlich den französischen Oscar, den Cesar, als "Bester Darsteller". Durch ihn wird der befreiende Sieg des Geistes über die Vergänglichkeit des Körpers nachvollziehbar. Eine geradezu unglaublich-überzeugende darstellerische Glanzleistung.

Unterstützt wird er dabei von prominenten wie schönen einheimischen Stichwortgebern wie Emmanuelle Seigner als Ehefrau, Marina Hands als seine Geliebte, Marie-Josee Croze als Sprachtherapeutin, Anne Consigny als Lektorin und Max von Sydow als Vater. Doch dass dies auch emotional wie gedanklich "funktioniert", liegt nicht nur am Regisseur und seinen grandiosen Akteuren, sondern auch an zwei weiteren maßgeblich Beteiligten: Oscar-Drehbuchautor Ronald Harwood ("Der Pianist"), dessen Szenarium "stimmt", und an Oscar-Kamera-Ass Janusz Kaminski ("Schindlers Liste", "Der Soldat James Ryan", beide von Spielberg), der es hier eindrucksvoll versteht, Seele visuell sichtbar zu machen. Deshalb: Wie schon im Buch erlaubt es auch sein Film letztlich zu sagen: "Sein Werk ist eine Chance, bewusster zu werden."