Jung war immer nur die Notlösung

Von Sabine Adler, Hauptstadtstudio |
Franz Josef Jung hat das Gefechtsfeld verlassen. Zu spät. Politisch war er bereits gestern tot. Gekränkelt, um im Bilde zu bleiben, hat er so lange, wie er an der Spitze des Ministeriums am Bendlerblock stand.
Jung hat die Brisanz des Luftangriffes auf die zwei Tanklastzüge bis gestern nicht erkannt. Ihm fehlte das Gespür dafür, dass der Bombenangriff, bei dem über 100 Menschen getötet worden sind, höchst sensibel war. Der Unterschied zwischen einem feindlichen Taliban und einem Zivilisten ist in Afghanistan, wie wir inzwischen gelernt haben, so fließend, das heute ein Kämpfer sein kann, wer gestern noch ein Händler auf dem Markt war, ja sogar ein von deutschen Polizeiausbildern geschulter Polizist. Somit konnten die Zahlen über zivile Opfer nicht verlässlich sein, will heißen, konnten sie jederzeit höher ausfallen, als zunächst angenommen.

Dass der Minister sein eigenes inneres Frühwarnsystem nicht sofort und umfassend auf Alarmbereitschaft polte und damit jeder Meldung zu dem Vorfall vorrangige Bedeutung zumaß, ist das Hauptproblem von Franz Josef Jung. Es offenbart seine grundsätzliche Nichteignung für Ämter dieses Ranges. Spitzenpolitiker müssen die Fähigkeit besitzen, Krisen zu meistern, dabei Wesentliches von Nachrangigem zu unterscheiden, eine durchlässige Kommunikation im eigenen Hause gewährleisten, in der jede Nachricht von Bedeutung den Weg bis ganz nach oben schafft. Vor allem die unliebsamen dürfen nicht steckenbleiben, sind es doch gerade sie, die ein gefährliches Eigenleben entwickeln können.

In Franz Josef Jung hat Bundeskanzlerin Merkel einen äußerst loyalen Kabinettskollegen eingebüßt, was sie schmerzen wird. Doch die Trennung war überfällig, genaugenommen hätte es zu einer so engen Bindung gar nicht kommen dürfen. Wusste die CDU-Chefin doch schon zu Beginn der Großen Koalition vor vier Jahren, dass Jung gar nicht Verteidigungsminister werden wollte. Wer wie Jung oder auch der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Michael Glos derart in ein Amt gezwungen wird, dem fehlt eine wichtige Voraussetzung für Erfolg: die Begeisterung für das, was er tut.

Obwohl Angela Merkel schon seinerzeit besser beraten gewesen wäre, auf Jung zu verzichten, hielt sie noch an ihm fest, als sie längst sah, wie wenig souverän er in der Kundus-Krise agierte. Die Bundestagswahl hätte den überfälligen Schnitt ohne Gesichtsverlust für alle ermöglicht, der Kanzlerin fehlte der Mut. Dabei war Jung ohnehin immer nur die Notlösung. Mal, um die Ansprüche des mächtigen hessischen Landesverbandes zu befriedigen, mal, um Ministerpräsident Roland Koch in Berlin zu verhindern, der nicht nur nach dem Empfinden der Regierungschefin zu stark polarisiert.

Mit seinem Rücktritt erweist Jung der neuen Bundesregierung wie auch der in Afghanistan kämpfenden Bundeswehr einen ehrenwerten Dienst. Sich selbst, wenn er sich für die Aufklärung der Informationspannen im Verteidigungsministerium weiter zur Verfügung stellt, aber vielleicht einen Bärendienst.