Jung H. Pak: „Kim Jong-un“

Terror, Propaganda und Illusionen

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Buchcover zu Jung H. Paks Biografie "Kim Jong-Un".
Mit Kim Jong-Un" legt die CIA-Analystin Jung H. Pak eine umfassende Biografie des nordkoreanischen Diktators vor. © Dumont
Von Marko Martin · 10.08.2020
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Die faktensatte Biografie des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-un führt ins Machtzentrum in Pjöngjang. Die CIA-Analystin Jung H. Pak zeigt die Schwächen des westlichen Blicks auf den nordkoreanischen Diktator, der gern als "Riesenbaby" verspottet wird.
Als Luise Rinser, in der damaligen alten Bundesrepublik als friedensbewegte Schriftstellerin und streitbare Vegetarierin gern als "linkes Gewissen" apostrophiert, 1981 das abgeschottete Reich von Kim Il-sung besuchte, war sie derart beeindruckt, dass sie schrieb: "Christus ist ausgewandert nach Nordkorea." Die spätere Bundespräsidenten-Kandidatin der Grünen zeigte sich vor allem vom Diktator und dessen Sohn begeistert, weshalb sie auf eine dynastische Herrschaftskontinuität hoffte: "Kim Jong-il würde dafür sorgen, dass nicht nach dem Tod des Präsidenten ein Bruch entstünde, eine Spaltung zum Unheil des Volkes."
Die ehemalige hochrangige CIA-Analystin Jung H. Pak ist zwar keine preisgekrönte deutsche Pazifistin mit NS-Hintergrund, dafür aber seit Jahrzehnten eine präzise Beobachterin jener nordkoreanischen Diktatur, die seit Kim Il-sung durch abstruse Propaganda und unvorstellbaren Terror zusammengehalten wird.
Ihr soeben in den USA und in deutscher Übersetzung erschienenes Buch "Kim Jong-un" beschreibt deshalb nicht nur die luxuriöse Kindheit und Jugend des dritten Kim, sondern auch die Genese und Entwicklung einer Diktatur, die nunmehr als Atommacht die Welt in Panik versetzt. Ohne polemischen Überschuss wird hier von einer tatsächlich schrecklichen Familie erzählt, die trotz Hungersnöten und Arbeitslagern "ihrem" Volk permanent einbläut, es lebe in der besten aller vorstellbaren Welten.

Kontinuität westlicher Fehleinschätzungen

So spannend Paks Darstellung von Kontinuität und Neujustierung der Kim-Herrschaft aber auch ist – ihre Analyse westlicher Fehleinschätzungen bietet mindestens ebenso großen Erkenntnisgewinn. Finden doch, um es zugespitzt zu sagen, die auf ironisch gepolten Urenkel der pathetischen Luise Rinser ihr selbstreferentielles Vergnügen vor allem daran, sich Bilder aus der Serie "Kim Jong-un Looking at Things" anzuschauen und das vermeintlich putzige "Riesenbaby" ob seiner Uncoolness zu verspotten. Derweil erklären andere Experten, der übergewichtige Diktator führe sein Volk immerhin in eine Art "gelenkter Marktwirtschaft" und treibe sein Atomwaffenprogramm lediglich als Kompensation für mangelnden internationalen Respekt derart aggressiv voran.
Jung H. Pak, die der Obama-Administration über Jahre hinweg detailliert berichtet hatte, verwirft in ruhigem Ton die unangebrachte Heiterkeit der Youtube-Generation ebenso wie die Gesundbeter-Sprüche vermeintlicher "Nordkorea-Kenner". Vor allem der (hierzulande auch mit Blick auf Russland so beliebte) Sprech, der autoritäre Herrscher könne kein Interesse an einer Konflikt-Eskalation haben, wird von ihr mit einem kühlen "Warum nicht" gekontert. Denn weshalb sollte Kim III nicht weiter anheizen (und partiell und temporär Konzilianz-Gesten vollführen), da für seine Herrschaft das Feindbild eines demokratischen Südkorea doch geradezu überlebensnotwendig ist?

Trumps Fantasien vom "Deal" mit dem Diktator

Die schlimmste Fehleinschätzung aber leistet sich nach Jung H. Paks Expertise der gegenwärtige amerikanische Präsident, der in Sachen aggressiv kaschiertem Minderwertigkeitskomplex mit dem Jahrzehnte jüngeren Kim Jong-un durchaus mithalten könne. Im Wahn, dem Diktator einen "Deal" diktieren zu können, habe Donald Trump diesen lediglich aufgewertet. Mehr noch: Kim habe sofort verstanden, wie mit dem Narzissmus Trumps zu spielen sei, nach welchen Bildern der irrlichternde Obama-Nachfolger giere - und wie ihm das selbst helfe, das internationale Sanktionsregime zu unterlaufen.
Jung H. Pak ist weit entfernt von einem verwaschenen "Come together", wie es mitunter die Rhetorik deutscher Außenpolitiker prägt, sieht jedoch in einem klugen Multilateralismus die einzige Chance, das Kim-Regime wenigstens einzuhegen: Durch eine enge Allianz zwischen Japan, Südkorea und den USA (an die Trump freilich gerade die Axt anlegt) und durch eine klug interessengeleitete, diplomatische Einbindung Russlands und Chinas. Dass solche Expertisen bei Donald Trump auf taube Ohren stoßen, macht dieses Buch doppelt bedenkenswert: Ebenso entscheidend wie Kim Jong-uns Strategie wäre eine effektive Gegen-Strategie der westlichen Führungsmacht. Bleibt zu hoffen, dass die Wahlen im November nach vier Jahren wieder einen Präsidenten ins Amt bringen, der solcher Expertise tatsächlich zuzuhören weiß.

Jung H. Pak: "Kim Jong-un. Eine CIA-Analystin über sein Leben, seine Ziele, seine Politik"
Aus dem Amerikanischen von Ulrike Becker, Gabriele Gockel, Rita Seuß, Thomas Wollermann
Dumont Verlag, Köln 2020, 416 Seiten, 24 Euro

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