Juli Zeh zur Bundestagwahl

Ein Neustart mit Europa ist dringend notwendig

06:23 Minuten
Porträtbild der Schriftstellerin Juli Zeh vor einem hellgrauen Vorhang, der Falten wirft.
Die Schriftstellerin Juli Zeh ist selber SPD-Mitglied. Als solches ist sie zufrieden mit dem Wahlergebnis, aber nicht immer zufrieden mit der eigenen Partei. © picture alliance /dpa-Zentralbild / Soeren Stache
Juli Zeh im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 27.09.2021
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Die Parteien haben im Wahlkampf die Europapolitik ignoriert, moniert Schriftstellerin und SPD-Mitglied Juli Zeh. Deshalb müsse Olaf Scholz als Kanzler als erstes den Schulterschluss mit Frankreich suchen, um die EU und den Klimaschutz voranzubringen.
Die SPD gewinnt knapp vor der Union die Bundestagswahl. Die Sozialdemokraten können aufatmen, denn noch zum Wahlkampfauftakt war das nicht sicher. Es bestand sogar die Angst, sie könnten hinter den Grünen auf dem dritten Platz landen.
Die Schriftstellerin Juli Zeh, selbst SPD-Mitglied, sagt zum Wahlergebnis: "Es hätte schlechter laufen können. Damit sind, glaube ich, alle sehr zufrieden, die der SPD nahestehen."

Die Fehler der anderen

Sie glaube nicht, dass Olaf Scholz als Spitzenkandidat der Sozialdemokraten nur gewonnen habe, weil seine Mitbewerberinnen und -bewerber, Annalena Baerbock (Die Grünen) und Armin Laschet (CDU), im Wahlkampf so viele Fehler gemacht hätten, wie es manche Experten und Beobachterinnen analysierten.
"Wer tatsächlich glaubt, die gesamte deutsche Wahlbevölkerung würde ihre Entscheidung nur treffen aufgrund eines Lachers an der falschen Stelle oder irgendwelcher Patzer von Frau Baerbock: Solche Analysen sind ein Abgesang an die Mündigkeit des Bürgers", meint Zeh.
Vielmehr habe es einen starken Drang gegeben, wieder Politik für "die nicht ganz so privilegierten Klassen" zu machen. Die SPD habe im Wahlkampf "sehr klar und unverschlüsselt deutlich klassische sozialdemokratische Positionen nach vorne gebracht".
Damit habe sie gezeigt, dass "die gute alte Sozialdemokratie" eben nicht obsolet geworden sei, weil sie auf gesellschaftlichen Frieden abziele statt auf Polarisierung.

Europapolitik vordringlich behandeln

Nach der Wahl steht die SPD unter Scholz in der Pflicht, eine Regierung zu bilden. Welche Themen sollte er als Erstes anpacken, falls ihn der Bundestag zum Kanzler wählt? Die Juristin Juli Zeh plädiert hier für einen Fokus auf die Europapolitik: "Wir müssen ganz, ganz dringend mit der Europäischen Union einen Neustart machen."
Sie sieht darin auch die Voraussetzung für die anderen großen Themen wie die Klimapolitik. Für sie sind insbesondere diese beiden Themen unzertrennlich.
"Wir haben in Frankreich einen Präsidenten, der seit Jahren seine Arme ganz weit ausbreitet und sagt: ‚Liebes Deutschland, lass uns gemeinsam anfangen, hier etwas auf die Beine zu stellen‘."

Schulterschluss mit Frankreich

Der gemeinsame Schulterschluss mit Frankreich sollte daher Priorität haben und Scholz als erste Amtshandlung als Kanzler nach Paris und Brüssel fahren.
Schon im Wahlkampf habe Zeh die Europa- und Außenpolitik vermisst. Zur Frage, wie es weitergeht in der EU, habe sie von sämtlichen Parteien fast nichts gehört.
Auch ihre eigene Partei, die SPD, habe diese Lücke nicht geschlossen. Sie habe deswegen "auch da mal wieder ein Hühnchen zu rupfen": "Man ist ja nicht immer zufrieden mit der eigenen Partei. Eigentlich ist man sogar notorisch unzufrieden, besonders als SPD-Mitglied. Das gehört zum Style", sagt Zeh.
(sbd)
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