Juli Zeh: "Neujahr"

Ein Neuanfang ist immer möglich

Juli Zeh, deutsche Juristin und Schriftstellerin.
Juli Zeh: Erinnerungen sind der vage Boden für unsere Identität © imago stock&people
Juli Zeh im Gespräch mit Julius Stucke · 10.09.2018
Die Schriftstellerin Juli Zeh legt ein neues Buch vor: "Neujahr". In diesem geht es um Erinnerungen, unsichere Identitäten, Panikattacken und ein Familienmodell, das nicht funktioniert. Doch Zeh weiß Trost: "Wir sind als Menschen frei und autonom."
In dem neuen Buch von Juli Zeh läuft ein Mann einen steilen Anstieg hinauf. Henning denkt über sein Leben nach. Von außen betrachtet scheint alles in Ordnung, doch im Innern ist keine Ruhe und kein Frieden. Panikattacken suchen ihn heim, Henning fühlt sich überfordert. Seine Krise speist sich aus ungeklärten Geschlechterrollen und der Frage, inwieweit die Kindheit sein weiteres Leben vorherbestimmt hat.
Das Thema Erinnerungen habe sie schon lange interessiert, sagte Juli Zeh im Deutschlandfunk Kultur. Der Mensch stütze seine Identität ja auf das, was er erinnere. Doch wenn man an die eigene Kindheit denke, stellten sich Erinnerungen manchmal nur als etwas heraus, was man von einem Foto kenne oder einem später einmal erzählt wurde. So sei der Boden für die Identität unsicher und vage.

Psychologischer Mythos

Zeh sagte, die Vorstellung, dass es ein dunkles Geheimnis in der Vergangenheit gäbe, wenn es einem in der Gegenwart schlecht gehe, habe die Psychologie viele Jahrzehnte geprägt. Wer dieses Geheimnis dann aufspüre und der Sache ins Gesicht schaue, könne den Knoten durchschlagen, so der Glaube. Das sei fast schon ein psychologischer Mythos, betonte Zeh. Es sei wichtig, sich mit der eigenen Vergangenheit zu befassen, sagte die Schriftstellerin. Sie glaube aber nicht, dass man damit ein Problem in der Gegenwart konkret lösen könne. Und genauso erlebe das auch ihr Romanheld Henning am Ende der Geschichte.
Zeh ist stattdessen vom freien Willen des Menschen überzeugt: "Wir sind als Menschen doch wirklich frei und autonom und wir können uns im Grunde in jedem einzelnen Augenblick dafür entscheiden, Dinge grundlegend anders zu machen und vor allem anders zu betrachten." Natürlich falle man auch immer wieder in vertraute Muster zurück - man müsse sich umgewöhnen und etwas Neues aneignen. "Aber die Freiheit, die Perspektive zu ändern, auf uns selbst und unser Leben, die haben wir tatsächlich in jedem einzelnen Moment." (ahe)
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