Jules Massenet "Werther": Drama reiner Menschlichkeit

Referenzaufnahme mit Alfredo Kraus

Der Sänger steht an einer gelblichen Backsteinwand gelehnt.
Alfredo Kraus war einer der herausragendsten Vertreter des lyrischen Tenorfaches. © imago images / Leemage
28.03.2020
Das Ringen um Liebe und Tod in Goethes "Werther" ist ein berühmtes Zeugnis aus dem "Sturm und Drang", aber auch ein herausragendes Beispiel der französischen Opernromantik. Ein Juwel der Diskographie entstand 1979 mit dem spanischen Tenor Alfredo Kraus.
"Diese aufwühlenden Szenen, diese fesselnden Bilder", soll Jules Massenet gerufen haben, als ihm 1885 Goethes Briefroman "Die Leiden des jungen Werthers" in die Hände fiel. Fünf Opern u.a. die "Manon" hatte der 50-Jährige schon komponiert, als er sich an dieses aufwühlende, innere Drama zwischen Werther, Charlotte und Albert setzte. Einen Chor brauchte er dafür nicht. Ebenso wenig glänzende Nebenrollen; die sind bei Massenet hier eher Staffage. Der Motor der Handlung dieser unglücklichen, unerwiderten Liebesgeschichte mit tödlichem Ausgang sind allein die Seelen der Protagonisten.

"Drama reiner Menschlichkeit"

Goethes Briefroman von 1774 aus der Zeit des Sturm und Drang findet in Massenets Oper ohne die gesellschaftlichen Konflikte statt. Es ist ein "Drama reiner Menschlichkeit", wie der Librettist Paul Milliet sagte, bei dem Werther am Ende in Charlottes Armen verzweifelt Ossian-Text rezitiert, während seine Angebetete ihm im Angesicht des Todes nun ihre Liebe gesteht und in der Ferne Kinder Weihnachtslieder anstimmen.
Massenet schafft es meisterhaft, mit seiner Musik die Spannung der Geschichte des liebeskranken Tenors über vier Akte zu steigern. Seiner Charakterisierungskunst, die raffinierten Harmonien und ein nuancenreiches Orchesterkolorit sind unübertroffen in der französischen Opernromantik.

"Tristes Thema"

Als Massenet seine Opernpläne über Goethes Roman dem Direktor der Pariser Opéra-Comique Léon Carvalho eröffnete, war dieser nicht überzeugt. Der Impresario hatte dabei wohl seine Geschäfte im Blick, die mit der "Manon" sehr gut liefen und die Kassen zum Klingen gebracht hatten. Mit dem "tristen Thema" Werther würde sich das kaum wiederholen lassen.
Historisches Porträt des Komponisten, der locker in einem Lehnstuhl sitzt.
Jules Massenet machte aus dem "tristen Stoff" einen Opernerfolg.© imago images / imagebroker
Und er sollte nicht ganz Unrecht haben, wenngleich das nicht Massenets Oper betraf. Im Mai 1887 brannte die Pariser Oper über Nacht ab und die Uraufführung musste auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Es dauerte ganze fünf Jahre, bis man in Wien auf Massenets Oper aufmerksam wurde. Der Erfolg der deutschsprachen Aufführung war beim Publikum – nicht bei der Presse – so überwältigend, dass noch im gleichen Jahr, im Dezember 1892, die Oper in Genf und zwei Monate später in Paris über die Bühne ging.
"Werther" füllte die Kassen der Opernhäuser in Frankreich, Italien und Deutschland und verschwand dann doch von den Spielplänen und blieb lange unbeachtet.

Startenor des 20. Jahrhunderts

Ein gefeierter Werther-Darsteller war in den 1970er Jahren der lyrische Tenor Alfredo Kraus. Der "Werther" war seine Lieblingsrolle. Kraus, der als einer der besten Tenöre des 20. Jahrhunderts gilt, sorgte nicht zuletzt mit der Schallplatteneinspielung 1979 an der Seite der amerikanischen Mezzosopranistin Tatiana Troyanos für eine Renaissance dieser Massenet Oper. Diese Referenzaufnahme können wir Ihnen heute präsentieren.
Der Sänger sitzt an einem Flügel und schaut in die Kamera.
Der Tenor Alfredo Kraus entschied sich mitten im Ingenieursstudium für eine Sängerlaufbahn.© imago images / Leemage
Jules Massenet
"Werther", Drame lyrique in vier Akten
LibrettO von Paul Milliet (In französischer Sprache)

Charlotte - Tatiana Troyanos
Sophie - Christine Barbaux
Werther - Alfredo Kraus
Albert - Matteo Manuguerra

London Philharmonic Orchestra
Leitung: Michel Plasson
Aufnahme von 1979

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