Jules Massenet: Thaïs

Wandel zu einer Nonne

Ein Mann in einem schwarzen Engelskostüm beschwört eine junge Frau, die bunt gekleidet auf einem Sofa sitzt und ihm gebannt zuhört.
Athanael (Josef Wagner) kann Thaïs (Nicole Chevalier) mit seiner Ansprache erreichen. © Theater an der Wien / Werner Kmetitsch
Moderation: Cornelia de Reese · 06.03.2021
Thaïs ist die stadtbekannte, sich mit Liebhabern umgebende Schönheit Alexandrias. Der Mönch Athanael will sie zur "göttlichen Liebe" führen. Sie lässt sich darauf ein, doch Athanael wird dabei todunglücklich. Massenets Musik dazu ist voller exotischer Schönheit.
Jules Massenets Oper "Thaïs" hat eine sehr bekannte Zugnummer, das Geigensolo im 2. Akt: die Meditation, ein Zwischenspiel als Dreh- und Angelpunkt der ganzen Oper. Hier wird das Innehalten der Hauptfigur Thaïs begleitet, die über ihre Situation nachdenkt und sich für einen völlig neuen Lebensweg entscheidet. Sie wird die bunte Gesellschaftswelt Alexandrias verlassen, um einem Mönch zu folgen.
Das Libretto orientiert sich dabei an einem historischen Roman von Anatole France, der eine Legende um die Hetäre Thaïs aus dem 4. Jahrhundert aufgreift: Sie soll ihr Leben christlich geläutert als Eremitin beendet haben.

Gleißend schöne Musik

Die Musik von Massenet ist voller melodischer Schönheit – wie es die Meditation verspricht. Kurz vor 1900 entstanden, wirkt sie wie der Höhepunkt einer Epoche, ungehemmt und fließend, kurz bevor Dadaismus und Expressionismus Ecken und Kanten in Kunst und Musik schlagen sollten.

Inszenierung für die Kamera

Im Theater an der Wien wurde die Oper am 23. Januar 2021 auf der Bühne gegeben – ohne Publikum, etwas Presse durfte dabei sein – dazu Kameras und Mikrofone. Noch ist eine Fernsehausstrahlung, ein Streaming, in Planung. Doch über den europäischen Rundfunkaustausch können wir Ihnen dieses Ereignis schon jetzt im Hörfunk anbieten.
Eine Frau trägt bunten Federschmuck auf dem Kopf und um den Hals. Zudem gehören große Flügel am Rücken zu ihrem Kostüm.
Thaïs (Nicole Chevalier) ist glanzvoller Mittelpunkt auf den Festen in Alexandria.© Theater an der Wien / Werner Kmetitsch
Peter Konwitschny hat das Werk mit seinen drei Akten in fünf Bildern eingerichtet und inszeniert. Die Kritik zeigte sich begeistert, auch von der musikalischen Leitung von Leo Hussain.
Dabei prallen die gegensätzlichen Welten auch optisch aufeinander: Während Athanael als schwarzer Engel auftritt, zeigt der Regisseur Thaïs als bunte Glitzergestalt, ebenso mit Flügeln ausgestattet, die aber eher bunten Revue-Federn gleichen. Der Rest der Bühne ist schlicht: im Rundhorizont steht in jedem Akt nur ein symbolischer Gegenstand im Raum, etwa eine Couch.

Hochaktuelles Thema

Religiöser Kitsch sei das – so der Vorwurf nachfolgender Generationen an diese Oper. Peter Konwitschny will mit seiner Regie dem entgegentreten. Er will zeigen, wie zwei Menschen, die einem fanatischem Lebensbild folgen, nicht fähig sind, ein erfülltes Dasein zu leben. Das sei auch heute ein greifbares Phänomen.

Handlung

Die Oper, genauer gesagt, die "Comédie-lyrique" in drei Akten, 1894 in Paris uraufgeführt, spielt im 4. Jahrhundert. Der Ort: um und in Alexandria.
Im ersten Bild wird Athanel vorgestellt: Er ist Mönch und kehrt in sein Kloster heim – von einem Aufenthalt in Alexandria. Er berichtet vom lasterhaften Leben, das in der Stadt herrsche. Das klagt er unter seinen Brüdern an und bezieht sich in seinen Erzählungen vor allem auf Thaïs – eine stadtbekannte Hetäre, um die sich ein lustvoller Kreis geschart hat. Die Szene endet damit, dass Athanel den Entschluss fasst, Thaïs zu bekehren. Und er bricht für seine Mission erneut nach Alexandria auf.
Eine Horde schwarzer Engel mit Jesus ähnlichen langen Haaren und Bärten sitzt eng beieinander auf einer Bühne.
Athanael (Josef Wagner) im Kreise seiner Klosterbrüder.© Theater an der Wien / Werner Kmetitsch
Im zweiten Bild der Oper kommt Athanael in Alexandria an, wo er seinen alten Freund Nicias wieder trifft - ein reicher, junger Geschäftsmann voller Feierlaune, der gerade der Liebhaber von Thaïs ist. Auf seinem Fest am Abend begegnen sich alle. Unumwunden fordert Athanael die schöne Thaïs auf, ihr Leben zu ändern. Damit provoziert er Hohn und Spott. Athanael verlässt am Ende des 1. Aktes entrüstet das Haus, während Thaïs ihm eine Einladung hinterherruft.

Er überzeugt sie doch

Das 3. Bild gehört Thaïs allein. In ihrer großen Soloszene reflektiert sie ihre Lebenssituation. Sie ist trotz der vielen Verehrer allein. Der Blick in den Spiegel verrät ihr, dass ihre Jugend und ihre Schönheit verblassen.
Da tritt Athanael ein - nie hätte sie gedacht, dass er ihrer Einladung auf dem Fest folgen würde. Er zeigt ihr deutlich, dass ihre Schönheit ihn als Mönch gefährdet. Einen Moment schwankt er sogar. Doch er kann sich fassen und präsentiert seine Entschlossenheit, sie in das Geheimnis der göttlichen Liebe einzuweihen. Dazu müsse sie aber ihr Hab und Gut vernichten, auch die geliebte Amor-Statue, an der Thaïs so hängt. Sie gerät ins Grübeln. Hier setzt (endlich!) die berühmte Meditation ein.

Verlassen Alexandrias

Eine schwüle, orientalische Nachtmusik begleitet Thaïs, die zum schlafenden Athanael vor ihr Haus tritt, um mit ihm zu gehen. Ihren Palast hat sie selbst angezündet. Da kündigt sich laut die Gesellschaft von Nicias an, die Thaïs mit sich reißen möchte. Doch sie will nicht. Nicias ist es schließlich, der seinem ehemaligen Jugendfreund und seiner Geliebten die Flucht durch ein Ablenkungsmanöver ermöglicht. Am Ende des 2. Aktes steht der Palast vollends in Flammen.
Auf einer vernebelten Bühne laufen viele Figuren durcheinander. 
Der Palast steht in Flammen - Athanael (Josef Wagner) und Thaïs (Nicole Chevalier) können fliehen. © Theater an der Wien / Werner Kmetitsch
Den folgenden 3. Akt hat Regisseur Peter Konwitschny zu einem einzigen Abschlussbild stark eingekürzt. Seine Begründung: er wolle die Handlung vorantreiben, den Hörgewohnheiten der heutigen Generation Rechnung tragen, die z.B. das große Ballett der Oper eher als Spannungs-Killer betrachten könnte.
Das Ballett war in der Pariser Oper eine unumgängliche Konvention an das Publikum – jeder Komponist hatte für diese Bühne eine große Ballettnummer einzufügen. Und tat er es nicht, übernahmen das andere Kollegen. Konwitschny verzichtet auf das alles. Er zeigt im fünften und letzten Bild Thaïs und Atanahel in der Wüste.
Auf einer kargen Bühne, die wie eine graue Steinwüste anmutet - die Steine bestehen aus gefalteten Geldscheinen - , stehen die beiden Figuren in Alltagskleidung Rücken an Rücken. Alle aufgesetzte Kostümierung ist verschwunden.
Thaïs (Nicole Chevalier) hat ihren Glimmer in der Gesellschaft von Athanael (Josef Wagner) abgelegt.© Theater an der Wien / Werner Kmetitsch
Sie machen Halt in einer Oase, denn Thaïs ist überfordert, erschöpft. Sie bricht zusammen. Athanael begreift erst in diesem Moment, als er sie verliert, dass er sie liebt und auch begehrt. Er reißt ihr den Mantel vom Leib, will sie halten. Er erkennt: Sein fanatischer Plan war ein tödlicher Irrweg. Doch Thaïs versteht seine Annährung falsch. Sie meint, er gebe sie für den letzten Schritt frei, verhelfe ihr zu Gottes Gnade. Die Meditation flammt erneut auf – hier im Abschluss-Duett von Athanael und Thaïs. Sie stirbt, er bleibt ernüchtert zurück.
Aufzeichnung vom 23.01.2021 im Theater an der Wien
Jules Massenet
"Thaïs", Oper in drei Akten und sieben Bildern
Libretto: Louis Gallet (nach der Novelle von Anatole France)
Thaïs, eine Kurtisane – Nicole Chevalier, Sopran
Athanaël, ein junger zönobitischer Mönch – Josef Wagner, Bariton
Nicias, ein reicher, junger Alexandriner – Roberto Saccà, Tenor
Crobyle, Sklavin – Carolina Lippo, Mezzosopran
Myrtale, Sklavin / Albine, Äbtissin – Sofia Vinnik, Mezzosopran
Palémon, ein alter Zönobit – Günes Gürle, Bass

Arnold Schoenberg Chor
ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Leitung: Leo Hussain

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