Jugoslawiens Weg in den Krieg

Der Zerfall eines Vielvölkerstaats

Im Krieg zerstörtes Haus in Mostar (Bosnien-Herzegowina)
Im Krieg zerstörtes Haus in Mostar (Bosnien-Herzegowina) © dpa / picture alliance / Jerzy Dabrowski
Von Thomas Franke · 27.07.2016
Anfang der 1990er-Jahre brannte es im Vielvölkerstaat Jugoslawien an allen Ecken und Enden. Und dennoch erschien ein Zerfall des Landes für viele undenkbar. Dabei zeichneten sich die Konflikte bereits Mitte der 1980er-Jahre ab.
"Du warst mir immer lieb
meine liebe Heimat
Jugoslawien
Für Dich ist viel Blut geflossen …"
Senad Haurdic ist Moslem, seine Frau Kroatin. Jahrelang hatte das niemanden gekümmert. Bis 1992 der Krieg in Bosnien ausbrach. Der Albtraum begann 1986. Da gab es Jugoslawien noch. Serbische Nationalisten provozierten im Kosovo die Polizei so lange, bis diese gegen sie vorging. Der Chef der serbischen kommunistischen Partei Slobodan Milosevic rief den Serben daraufhin zu:
"Niemand darf euch schlagen!"
Unter den Serben wuchs der Nationalismus. Im Februar 1989 demonstrierten serbische Bergleute aus dem Kosovo in Belgrad. Das damalige Staatsoberhaupt Raif Dizdarevic versuchte, sie zu beschwichtigen:
"Unsere Väter starben, um Jugoslawien zu schaffen. Wir werden nicht den Weg des Völkerhasses gehen. Wir nehmen den Weg der Brüderlichkeit und Einigkeit."

Der Zerfall ist nicht mehr aufzuhalten

Allen war klar, die Einheit Jugoslawiens ist in Gefahr. Doch der Zerfall des balkanischen Vielvölkerstaats war nicht mehr aufzuhalten. Die Volksgruppen strickten nationale Legenden, besonders Milosevic und die radikalen Serben:
"Keine Macht auf Erden kann das serbische Volk im Kampf um die Gerechtigkeit aufhalten. Jene, die das Volk täuschen, jene, die sich gegen Jugoslawien verschwören, werden verhaftet und bestraft."
Serbien war ohne Zweifel der dominierende Landesteil. Gefolgt von Kroatien. Dort war Franjo Tudjman angetreten, um "Kroatiens Ehre wieder herzustellen".
Tudjman war aus der KP ausgeschlossen worden, hatte Anfang der 80er-Jahre wegen staatsfeindlicher Propaganda im Gefängnis gesessen, ein paar Jahre im Ausland verbracht.

Tudjman heizt den kroatischen Nationalismus an

Am 24. Januar 1991 gab es einen Friedensmarsch in Zagreb. Betend zog die Menge durch die Hauptstadt Kroatiens. Zu dem Zeitpunkt hatten kroatische Nationalisten um Tudjman längst eine Truppe unter Waffen, außerhalb der Jugoslawischen Volksarmee. In Kroatien waren ganze Landstriche serbisch dominiert.
Die 600.000 Serben, die im kroatischen Landesteil lebten, fühlten sich vom kroatischen Nationalismus und seinen Symbolen aus der Nazizeit bedroht.
31. März 1991, Ostersonntag. Der Tag wird oft als der genannt, an dem der Krieg in Kroatien ausbrach. Er dauerte fast viereinhalb Jahre. Mehr als 20.000 Menschen starben. Hunderttausende wurden vertrieben.
Ein slowenischer Soldat steht in Lavamünd neben einem neu errichteten Schild an der Grenze von Österreich nach Slowenien mit der Aufschrift "Republika Slovenija" und macht das Siegeszeichen, aufgenommen am 29. Juni 1991.
Ein slowenischer Soldat steht Ende Juni 1991 neben einem neu errichteten Schild an der Grenze von Österreich.© B2918_APA
Im Juni 1991 erklären sich Kroatien und Slowenien für unabhängig. In Slowenien kam es zu einem kurzen Krieg mit der Volksarmee. Er dauerte zehn Tage. Etwa 60 Menschen starben.
Milosevic und die radikal-nationalistischen Serben hatten, anders als in Kroatien, kein Interesse an dem Alpenland, dort lebten einfach zu wenig Serben.

Die unaufhaltsame Eskalationsspirale

Doch die Spirale drehte sich weiter. Jugoslawien zerbrach. Das Gleichgewicht der Volksgruppen war zerstört. Und die bosnischen Moslems fürchteten, unter die Herrschaft der Serben zu geraten. So auch Alija Izetbegovic, Führer der bosnischen Moslems:
"Bosnien bleibt nicht bei einem blutigen Jugoslawien."
Sarajevo, Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas. Das Parlament. Am Rednerpult steht der Führer der Serben in Bosnien, Radowan Karadjic:
"Ich warne euch, ihr zieht Bosnien in den Abgrund der Hölle, im Kriegsfall wird das muslimische Volk untergehen, weil es sich nicht verteidigen kann."
Der ehemalige bosnische Serbenführer Radovan Karadzic bei der Urteilsverkündung des UNO-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag am 24.03.2016.
Der ehemalige bosnische Serbenführer Radovan Karadzic bei der Urteilsverkündung des UNO-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag.© afp / Robin van Lonkhuijsen
Präsident Alija Izetbegovic tritt ans Rednerpult:
"Die Rede von Herrn Karadzic und sein Benehmen hier zeigen, warum wir nicht Teil Jugoslawiens bleiben können. Ein Jugoslawien, wie es Karadzic wünscht, wollen nur die Serben."
Die serbischen Nationalisten bestimmten immer mehr das Tempo. Die Eskalationsspirale begann, sich unaufhörlich zu drehen.
Die bosnischen Moslems wollten ebenso die Unabhängigkeit. Im August und September 1991 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Serben und Kroaten in Bosnien. Die Europäische Gemeinschaft machte noch einen Vorstoß. Unter der Führung des Britten Lord Carrington legte sie einen Plan vor, um den Zerfall Jugoslawiens abzufedern. - Der scheiterte.

Demonstrieren für ein friedliches Zusammenleben

Im November 1991 demonstrierten in der Hauptstadt Sarajevo Zehntausende für ein friedliches Zusammenleben.
Viele kannten Jugoslawien von Urlaubsreisen und von den Olympischen Spielen 1984. Nun wurde Sarajevo ein Symbol für ethnischen Hass und Krieg, aber auch für den Zusammenhalt von Menschen.
Die Kämpfe in Bosnien eskalierten im April 1992. Fast vier Jahre dauerte der Krieg. Etwa 100.000 Menschen starben. Mehr als zwei Millionen Menschen wurden vertrieben.
Am 5. April begann die Belagerung Sarajevos. Sie dauerte fast vier Jahre. Mehr als 10.000 Menschen starben.
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