Jürgen Martschukat: "Das Zeitalter der Fitness"

Schlanke Körper für den Kapitalismus

06:20 Minuten
"Das Zeitalter der Fitness: Wie der Körper zum Zeichen für Erfolg und Leistung wurde" von Jürgen Martschukat
Allein im Jahr 2018 wurden 5,7 Milliarden Euro in Deutschland für Fitnessprodukte ausgegeben, schreibt Jürgen Martschukat in "Das Zeitalter der Fitness". © S. Fischer Verlag
Von Thorsten Jantschek · 23.11.2019
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Ob in der Politik, im Job oder im Bett: Wer als produktives Gesellschaftsmitglied anerkannt werden will, braucht einen leistungsfähigen Körper. Der Historiker Jürgen Martschukat zeigt, wie ein neoliberales Fitness-Ideal unser ganzes Leben prägt.
Dass wir im Zeitalter der Fitness leben, ist angesichts der Umsätze der Fitnessindustrie kaum überraschend. Allein 5,7 Milliarden Euro wurden im vergangenen Jahr in Deutschland für Fitnessprodukte ausgegeben, die Mitgliederzahlen der Studios steigen ständig, mittlerweile schwitzen über elf Millionen Deutsche regelmäßig auf Cardio-Geräten und unter Hanteln. Doch für den Historiker Jürgen Martschukat bedeutet das mehr als eine neue Lust an Gesundheit und Bewegung. Denn im Zentrum des Fitnesstrends steht nicht mehr das Gewinnen und Verlieren im Sport, sondern allein die Herstellung des fitten Körpers und damit das "selbstverantwortliche, leistungsbereite und leistungsfähige Individuum".

Anerkennung nur für leistungsfähige Körper

Da dieses Individuum ein Produkt der Neuzeit, und eigentlich eines der Moderne ist, orientiert sich Martschukat in seiner kritischen Rekonstruktion des heutigen Fitnessdiktats an den historischen Körperpraktiken seit dem 18. Jahrhundert und kann zeigen, wie seit dieser Zeit auch über und durch Körperlichkeit regiert wird. "Fitness", so der Autor, "ist ein regulierendes und normierendes Ideal freiheitlicher, moderner Gesellschaften." Um als produktives Gesellschaftsmitglied anerkannt zu werden, bedarf es eben auch eines leistungsfähigen Körpers. Dass die Bundesregierung 2007 die Kampagne "fit statt fett" gestartet hat, ist nur eines von vielen Beispielen, wie über Normwerte wie dem Body Mass Index regiert wird: Im "Rücken" vermeintlich selbstbestimmter Akteure steht die Erwartung der Selbststeuerung von Individuen in der modernen Leistungsgesellschaft.
Zentraler historischer Meilenstein dieser Biopolitik der Fitness ist die Überführung von Darwins biologischem Begriff des "survival of the fittest" (das Überleben der am besten angepassten Individuen und damit die Idee des Wettbewerbs als Ordnungsprinzip in der Natur) in den Bereich des Sozialen: Fitness ereignet sich dann nicht nur zufällig durch Mutationen, sondern es kann zur Handlungsoption von Akteuren und Kollektiven werden. Der Volkskörper kann über die vielen einzelnen Menschen optimiert und geformt werden.

Schlanke Körper für schlanke Unternehmen

An keinem Ort wird diese biopolitische Wende der Fitness deutlicher als in der kapitalistischen Arbeitswelt. Galt zunächst der Arbeiter als Gegenstand der Optimierung, indem es in Arbeitervereinen oder Firmensportprogrammen schon im 19. Jahrhundert darum ging, die Leistungsfähigkeit zu stabilisieren oder gar zu verbessern, zeigt Martschukat sehr anschaulich, wie schnell der Angestellte des frühen 20. Jahrhunderts als "Krisenkörper" identifiziert und "bearbeitet" worden ist, jener – wie der Ruderer Richard Nordhausen das seinerzeit nannte – "körperlich widerstandslose Gehirnkrüppel".
Das setzt sich in Martschukats sehr lesenswertem Buch fort bis hin zu den Workouts der vielbeschworenen Ich-AGs als Teil eines dynamischen, flexiblen Kapitalismus. Hier ist das moderne Individuum zum Lebensunternehmer in eigener Sache geworden, mit ständiger Selbstkontrolle, Selftracking- und Optimierungsequipment. Schlanke Körper für schlanke Unternehmen! Das Fitnessdispositiv, also der Zusammenhang von Diskursen, Praktiken, Techniken et cetera, hat über die Pharmazie und die Erfindung von Viagra – so Martschukat – sogar die (männliche) Sexualität kolonialisiert.

Fitness-Helden wie du und ich

Diese Markt- und Machtlogik wird für Martschukat flankiert und gestützt von einer wirkmächtigen Erzählung, dem klassischen Heldennarrativ, in dem es gilt, Qualen und Entbehrungen auf sich zu nehmen, um stärker zu werden und Übermenschliches zu leisten. Ein Narrativ, das auch in Zeiten wirksam ist, die sich selbst als "postheroisch" definieren. "Wo Fitness auf dem Spiel steht, da sind Heldenmetapher und Heldenfigur nicht weit", diagnostiziert der Autor, um den Ort zu markieren, wo diese Heldenfigur eigentlich ins Spiel und in den Sport kommt.
Weil es hier um Helden wie dich und mich geht, um "Bürgerliche", liegt es historisch auf der Hand, dass die Mitglieder der bürgerlichen Stände nur als Soldaten, als Krieger zu Helden werden konnten. Dass Körpertechniken im Militär eine wichtige Rolle spielten, vom Drill über die Turnübungen der militärisch erfolgreichen preußischen Truppen bis hin zum militärisch-heroischen Körperkult des Nationalsozialismus, ist für Martschukat ein weiterer Beleg für die biopolitische Ausrichtung der Fitness, die sich bis in Trendsportarten wir "Warrior Workout" oder "CrossFit" einschreibt.
Jürgen Martschukat geht es glücklicherweise nicht darum, einem den Spaß am Sport zu verderben, sondern ein Bewusstsein für die politische Seite des Fitnesstrends zu stiften. Und auch politische Grenzen des Durchgriffs auf den Körper zu markieren, wie dies etwa jüngst von der "Body Positivity"-Bewegung oder den sogenannten "Fat Activists" in den USA diskutiert wird, die sich der Gesamtausrichtung der Lebensführung auf Gesundheit und Fitness widersetzen. Und darauf ein Stück Kuchen!

Jürgen Martschukat: "Das Zeitalter der Fitness: Wie der Körper zum Zeichen für Erfolg und Leistung wurde"
S. Fischer Verlag, 2019
352 Seiten, 25 Euro

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