Jürgen Kaube zur Debatte um Bari Weiss

Das schwierige Verhältnis von Argument und Twitter-Moral

09:33 Minuten
Jürgen Kaube bei einer Diskussion.
FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube möchte Medien, die auf Intelligenz setzen. © imago images / Pacific Press Agency
Moderation: Johannes Nichelmann · 17.07.2020
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In der Debatte um Selbstzensur betont „FAZ“-Herausgeber Jürgen Kaube, die Aufgabe der Medien sei es nicht, einfach zu wiederholen, "was es in der Außenwelt an moralischem Sich-Aufblasen gibt", sondern intelligent und wach auf die Welt zu blicken.
Ist die Selbstzensur zur Norm geworden? Die US-amerikanische Journalistin Bari Weiss ist jedenfalls fest davon überzeugt. In einem offenen Brief an den Verleger der "New York Times" hat sie dargelegt, warum sie nicht mehr Meinungsredakteurin der renommierten Zeitung sein will:
Twitter sei der eigentliche Chefredakteur, es gehe nur noch darum, eine begrenzte, aber laute, links-illiberale Zielgruppe zufriedenzustellen. Bari Weiss beklagt eine sogenannte "Cancel Culture", also eine Form des Boykotts von Menschen, die sich problematisch verhalten oder geäußert haben sollen.

Seitdem wird heftig diskutiert, ob sie recht hat. Auch Stefan Raue, der Intendant des Deutschlandradios, hat sich zum Thema geäußert. Er sagte, für Tendenzmedien wie Zeitungen sei es zulässig, eine bestimmte politische Haltung zu vertreten und diese von den Mitarbeitern einzufordern. In den öffentlich-rechtlichen Medien habe eine politische Agenda aber nichts zu suchen. Deren Aufgabe sei es, Vielfalt zu sichern.
Die "New York Times"-Journalistin Bari Weiss bei einer Diskussion.
Die "New York Times"-Journalistin Bari Weiss.© imago images / ZUMA Press

"Weltsachverhalte intelligent behandeln"

Der Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Jürgen Kaube, sagt: "Ich finde die generelle Unterscheidung zwischen Tendenz und Berichterstattung unvollständig." Es gehe darum, Weltsachverhalte – ob das Opern sind, falsch aufgestellte Denkmäler oder Rassismus – intelligent zu behandeln: "Da scheint mir ein Problem zu sein: Wie lässt sich Intelligenz, Wachheit, Aufmerksamkeit für Details verbinden mit so scharfer Moral? Das scheint mir die wunde Stelle."
"Das Kriterium für den Abdruck kann nicht sein, was genau die Meinung ist, sondern wie intelligent sie formuliert wird. Gibt es ein Argument? Wenn es kein Argument gibt, wäre ich geneigt zu sagen, dann lassen wir es lieber. Denn es ist nicht unsere Aufgabe, einfach nur zu wiederholen, was es in der Außenwelt an Sprüchen und moralischen Sich-Aufblasen gibt. Das müssen wir nicht wiederholen."
Weil es mehr gute Argumentationen gebe, als in eine Zeitung passen, müsse man als Redaktion aber selbst da auswählen, wo die Argumentation interessant sei, sagt Kaube. "Wenn man mal von grober Unhöflichkeit, Beleidigungen oder ausgestellter Dummheit absieht, wäre das Kriterium der Aufnahme immer: Gibt es einen Punkt, der noch nicht gemacht wurde? Weist es auf eine Denkmöglichkeit hin, die noch nicht so artikuliert worden ist?"

Twitters Kürze und das Argumentieren

Auf Twitter könne der geringe zur Verfügung stehende Platz, um die eigene Argumentation auszubreiten, Konsequenzen haben, erklärt Kaube. Es mache einen Unterschied, ob man auf Twitter nur drei Sätze schreiben oder in einer Zeitung eine ganze Seite füllen könne.
Insofern habe die starke Verknappung auf Twitter Konsequenzen: "Das ist so ein bisschen die Frage, ob das Medium wegen der Kürze zur Moral verführt. Moral geht schnell", sagt Kaube bezogen auf das Veröffentlichen bei dem Kurznachrichtendienst, schnell sei man bei Missachtung. "Wenn man das den ganzen Tag macht, verändert das ein bisschen den Charakter des eigenen Denkens", vermutet Kaube.
In Deutschland sei die Debatte aber alles in allem noch eine andere als in den USA, stellt Kaube fest. "Vielleicht sind wir noch nicht so 'versäult' in unserer Gesellschaft." Es sei verrückt, zu glauben, "dass ein Aspekt eines Menschen ausreichen soll, um ihn komplett zu qualifizieren. Ich glaube, da sind wir nicht und ich hoffe nicht, dass wir sagen müssen: noch nicht."
(ckr/mfu)
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