Jürgen Flimms "Don Karlos" in Köln

Schauspieler in Dauererregung

05:23 Minuten
Szenenbild aus "Don Karlos" am Schauspiel Köln. Eine Frau in weitem Kleid zeigt mit einer Blume auf einen Mann mit roter Jacke, der neben einem schwarz gekleideten weiteren Mann steht.
Überzogenes Pathos bestimmt die Inszenierung von "Don Karlos" am Schauspiel Köln. © Schauspiel Köln / Clärchen&Hermann Baus
Von André Mumot · 18.12.2020
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Jürgen Flimm hat am Kölner Schauspiel Friedrich Schillers "Don Karlos" inszeniert. Die als Stream gebotene Premiere hat unser Theaterkritiker André Mumot erlebt - die Inszenierung werde von einem längst überwundenem Missverständnis bestimmt.
Es scheint die Stunde der jungen, technikaffinen Theatermacherinnen und -macher zu sein: Die Bühnen müssen online gehen, um ihr Publikum in Zeiten der Pandemie zu erreichen, was den "digital natives" deutlich leichter fallen dürfte als den Veteranen der Zunft.
Am Schauspiel Köln hat man nun entschieden, die bereits geplante Premiere eines Altmeisters als Stream anzubieten – in Kooperation mit der "Kulturambulanz" von WDR 3. Urgestein Jürgen Flimm, Jahrgang 1942, inszeniert Schillers "Don Karlos", das große Prinzen-, Königs-, Freundschafts- und Gedankenfreiheitsdrama.
Es ist eine Rückkehr. Flimm war von 1979 bis 1985 Intendant des Schauspiels Köln, später leitete er die Salzburger Festspiele und war an Daniel Barenboims Seite Intendant der Berliner Staatsoper Unter den Linden von 2010 bis 2018. Inszeniert hat er in vergangener Zeit hauptsächlich Opern, ohne dabei allerdings allzu hohe Wellen zu schlagen. Dass er sich nun, zurück im Schauspielbereich, den klassischen Schiller’schen Politthriller ausgesucht hat, deutet auch nicht gerade auf eine innovative Aufrüttelung gängiger Theaterästhetiken hin – sei es in der analogen oder in der digitalen Aufführungsvariante.
Der Theaterregisseur Jürgen Flimm 
Jürgen Flimm hat eine enge Verbindung zum Schauspiel Köln: Bis 1985 war er dort sechs Jahre lang Intendant.© epd-bild / imago images / Thomas Lohnes
Schlimm muss das nicht sein, da das verschlungene, so stark auf seine Handlung fokussierte Intrigendrama durchaus eine zurückhaltende, eher naturalistische Spielweise vertragen kann. Flimms Schauspielerführung aber geht in eine ganz andere Richtung. Auf dunkler, von einzelnen Lichtsäulen erhellter Bühne wuseln die Darstellerinnen und Darsteller atemlos vor sich hin. Insbesondere Marek Harloffs Don Karlos ist in permanenter Dauererregung, stammelt, überschlägt sich, brüllt und greint und weint.

Überzogenes Pathos

Aber auch der große Bruno Cathomas als König Philipp ist eher eine groteske, kurios kauzige Karikatur als eine lebendige, widersprüchliche Machthaberfigur. Alles hier ist äußerlich, wird mit überzogenem Pathos herausposaunt. Auch die etwas ruhigere zentrale Auseinandersetzung zwischen Philipp und Marquis Posa (Nicolas Lehni) kann daran wenig ändern. Nachdem
noch einige Male Ausschnitte von Wagners "Tristan" von Livemusiker David Schwarz beigesteuert wurden, tritt am Ende auch noch der eher aus dem Boulevard- und Comedybereich bekannte Ralph Morgenstern als Großinquisitor auf. Humor bringt er nicht ins Geschehen, spielt seine Rolle aber mit Würde und läutet immerhin das Ende der 90 Minuten*) Streamerlebnis ein.

Deplazierte gekünstelte Intensität

Politische Bezüge und emotionale Spannungen – alles verpufft. Wohl weil ein altes, längst überwundenes Missverständnis die Inszenierung bestimmt – und von innen zerstört: Dass Theatertexte, insbesondere klassische, mit einer gekünstelten Intensität, mit fuchtelnder überspitzter Schreierei aufgewertet werden müssen.
Nicht zuletzt, weil dies eine Stream-Inszenierung ist, erscheint ein solches Verfahren völlig deplatziert. Schließlich muss nicht bis zur letzten Reihe gebrüllt werden an diesem Abend. Mit den Kameras auf der Bühne ließen sich leisere, stillere, schmerzlichere Momente auskosten. Um diese zu finden, muss man nicht einmal "digital native" sein.
*) Redaktioneller Hinweis: Wir haben die Länge der Vorstellung korrigiert.
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