Jüdisches Gymnasium Moses Mendelssohn

Eine traditionsreiche Lehranstalt

Ein Davidstern über einer Synagoge
Ein Davidstern über einer Synagoge © Picture Alliance / dpa / Jan Woitas
Von Alice Lanzke  · 20.02.2015
Die Geschichte des Berliner Judentums ist eng mit der Geschichte seiner Gemeindeschule verknüpft. Heute befindet sich am historischen Ort das Jüdische Gymnasium Moses Mendelssohn – dessen Entwicklung im Mittelpunkt des Buches "Schalom und Alefbet" von Dirk Külow steht.
Ein über zwei Meter hoher Stahlzaun, wachsame Polizisten und eine Kamera, die den Eingang im Visier hat: Beim Jüdischen Gymnasium in Berlin Mitte fallen als erstes die Sicherheitsvorkehrungen auf, mit denen sich die Schule scheinbar abschirmt.
"Die dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es also innen eine ganz weltoffene Atmosphäre gibt. Fast ein Drittel der Schülerschaft sind nicht-jüdischer Herkunft. Und der Alltag dort lebt von Respekt und gegenseitiger Anerkennung."
Der Historiker und Journalist Dirk Külow weiß, wovon er spricht: Vier Jahre lang hat er sich mit der traditionsreichen Schule in der Großen Hamburger Straße beschäftigt. Ergebnis seiner umfassenden Recherchen ist das Buch "Schalom und Alefbet. Die Geschichte des jüdischen Gymnasiums Berlin".
"Ich fand das höchstspannend, dass da sozusagen so ein unentdecktes Kleinod und Schatzkästchen da liegt und dachte, dass es für eine breitere Öffentlichkeit interessant sein könnte, so ein Zentrum jüdischen Lebens mal näher zu beleuchten und ins richtige Licht zu rücken."
1778 war die Schule auf Anregung des Philosophen und Schriftstellers Moses Mendelssohn gegründet worden. Zu jener Zeit war Bildung ein Privileg der Oberschicht. Mit der zunächst reinen Knabenschule sollten auch sozial benachteiligte Kinder qualifizierten Unterricht bekommen.
"Wir konnten nicht irgendwie in Clubs"
Ausführlich beschreibt Külow die prägenden Köpfe, finanziellen Schwierigkeiten und Grabenkämpfe, die selbst innerhalb der Gemeinde um die Schule ausgefochten wurden. Dabei war und ist diese auch ein Indikator für den Zustand der jüdischen Gemeinschaft Berlins.
So erlebte die Lehranstalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Blütezeit: 1906 zog sie in den von Johann Hoeniger entworfenen neoklassizistischen Bau, in dem sie noch heute sitzt.
1931 wurde sie schließlich mit der Mädchen-Mittelschule zusammengelegt und zählte drei Jahre später über 1.000 Schülerinnen und Schüler. Doch es dauerte nicht lange, bis die Folgen der immer drastischeren Judenverfolgung spürbar wurden - und das Haus für die Schüler eine ganz besondere Bedeutung bekam.
"Dieses Rückzugsgebiet Schule war ihnen ein Hort der Geborgenheit und sie konnten auch altersgemäß sich ausleben und natürlich auch vieles verdrängen, was an Unbill in der Stadt täglich vor sich ging - so war das eine kleine Oase für die Schüler."
An diese Oase erinnert sich auch Zeitzeugin Inge Weinem, die die Schule von 1939 bis 1942 besuchte:
"Für uns war es ein Mittelpunkt im Prinzip, unbedingt, weil wir hatten ja nicht andere Möglichkeiten: Wir konnten nicht irgendwie in Clubs - es war ja nicht viel."
Ganz besonders dankbar ist Weinem den Lehrern, die versucht hätten, ihre Zöglinge so gut wie möglich von der Verfolgung abzuschirmen:
"Die Lehrer hatten ja schon mehr Ahnung als wir Kinder, was passiert, und haben wirklich mit aller Liebe da rein, also - wir haben so oft schon gesprochen, das kann man gar nicht genug betonen, was die alles geleistet haben - plus unsere Eltern natürlich."
"Jeder war irgendwie damals bedrückt"
Doch alles Engagement konnte das Ende der Schule nicht verhindern: 1942 wurde sie auf Befehl des Reichssicherheitshauptamts geräumt und diente bis Kriegsende als Deportationslager für Berliner Juden. Die schreckliche Bilanz, die Külow in "Schalom und Alefbet" zieht, wurde bei der offiziellen Buchvorstellung von einer Schülerin des Gymnasiums vorgelesen:
"Von den Lehrerinnen und Lehrern der Jüdischen Mittelschule in der Großen Hamburger Straße, die sich vor Kriegsbeginn am 1. September 1939 nicht in das Ausland retten konnten, überlebte niemand den Vernichtungsfeldzug gegen die jüdische Bevölkerung."
Von den Schülerinnen und Schülern konnte sich nur ein Bruchteil retten. Zu DDR-Zeiten beherbergte der Bau eine Berufsschule - erst nach der Wiedervereinigung wurde das Gebäude der Jüdischen Gemeinde zu Berlin zurückgegeben. 1993 begann schließlich für damals 27 Schüler der Unterricht.
Mittlerweile ist das "Jüdische Gymnasium Moses Mendelssohn" eine staatlich anerkannte Privatschule der Gemeinde. Mehr als 420 Schüler werden hier unterrichtet - zwei Drittel von ihnen sind jüdisch. Unabhängig von der Konfession sind Hebräisch und Jüdische Religionskunde bis zum Abitur Pflicht. Das straffe Pensum trübt die Atmosphäre aber nicht, wie Inge Weinem nach einem Besuch berichtet:
"Also ich war so begeistert: Vollkommen anders! Locker! Die Jugendlichen frei! Also das kann man gar nicht beschreiben, wie anders im Verhältnis zu uns damals - eingeschüchtert und jeder war irgendwie damals bedrückt."
Das passt zum Selbstbild: Trotz der wechselvollen Geschichte will das Gymnasium nicht als Denkmal, sondern als lebendiger Ausdruck jüdischer Gegenwart verstanden werden - als ein Ort von Toleranz, Akzeptanz und Integration. Wie dieser Ort entstehen konnte, zeigt das Buch von Dirk Külow.

"Schalom & Alefbet: Die Geschichte des Jüdischen Gymnasiums in Berlin" ist im Verlag Hentrich & Hentrich erschienen. Der reich bebilderte Band umfasst 240 Seiten und kostet 24,90 Euro.
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