Juan Carlos' Rücktritt

"Eine große Leistung"

Der bisherige spanische König Juan Carlos
Der bisherige spanische König Juan Carlos © picture alliance / dpa
Moderation: Klaus Pokatzky · 02.06.2014
Mit Juan Carlos tritt ein König zurück, der sich trotz einiger Skandale als Garant für Demokratie bewährt hat, sagt Paul Ingendaay, der als Kulturkorrespondent aus Madrid berichtet. Seinen Sohn Felipe hält er für "politisch viel beschlagener, als die meisten wissen".
Klaus Pokatzky: Als der Großvater von König Juan Carlos, als Alfons XIII. 1931 Spanien verließ und ins Exil ging, da war gerade die Republik ausgerufen worden, und der Bürgerkrieg warf seine Schatten voraus. Ein Bürgerkrieg, in dem am Ende General Francisco Franco siegte und der eine jahrzehntelange Diktatur zur Folge hatte. Franco bestimmte als seinen Nachfolger den jungen Juan Carlos, geboren 1938, und dem wird bis heute zugutegehalten, dass er nach dem Tode des Diktators 1975 Spanien in die Demokratie geführt hat und das Land trotz aller Spannungen mit Basken und Katalanen zusammenhielt. Paul Ingendaay ist Schriftsteller und Kulturkorrespondent in Madrid, guten Tag, Herr Ingendaay!
Paul Ingendaay: Guten Tag!
Pokatzky: Herr Ingendaay, ein Bürgerkrieg folgt jetzt, wo Juan Carlos zugunsten seines Sohnes Felipe abdanken will, sicherlich nicht. Aber die spanische Verfassung sieht so eine Abdankung gar nicht vor! Es muss jetzt ein eigenes Gesetz noch verabschiedet werden. Bleibt denn auf jeden Fall die Monarchie?
Ingendaay: Das halte ich für völlig wahrscheinlich, weil doch eine große parlamentarische Mehrheit das will. Das ist ohne jede Frage. Es mehren sich gerade die Stimmen des Protestes, gerade der jüngeren Generation, die linken Parteien, die auch ein bisschen Aufwind bekommen haben jetzt bei Europa, die sagen, man könnte doch jetzt eigentlich eine Reform mal in Angriff nehmen. Das wird aber, glaube ich, nicht passieren, es bleibt bei diesen Stimmen. Generell ist es so, dass man diese Abdankung und das Prozedere in die Verfassung hineinschreiben muss. Das liegt einfach daran, dass, als Juan Carlos I. König wurde, auch das Königtum wieder in die demokratische Verfassung hineingeschrieben werden musste. Denn unter Franco war ja das Königtum ausgehebelt für einige Jahrzehnte. Sodass wir also diverse Anomalitäten haben. Aber mit denen kann Spanien ganz gut umgehen.
Pokatzky: Was sagen Sie als der, der Sie ganz lange schon in Spanien leben: Könnte Spanien heute auf einen König verzichten?
Ingendaay: Im Prinzip ja. Denn der Parlamentarismus ist in Spanien wie in anderen Ländern auch, das ist bewährt jetzt bald 40 Jahre und ich sehe da überhaupt kein Problem. Es hat sich andererseits bewährt bei den etwas hitzköpfigen Spaniern, besonders in den Jahren des Übergangs, dass da eine Mittlerfigur war. Und ohne diese Mittlerfigur, aus der zieht sie auch das moralische Verdienst, den Kredit, ohne die Figur wäre dieser Übergang so nicht möglich gewesen. Von daher, glaube ich, zehrt die Monarchie noch von dieser großen Leistung. Und Kronprinz Felipe VI., wie er heißen wird als König, muss das im Grunde in die Waagschale werfen und sagen, nur durch dieses Verfahren eines Bürgerkönigs, der vorbildlich ist, der versöhnt und nicht spaltet, kann das Ganze laufen.
Gerüchte über die wahren Gründe
Pokatzky: Was waren denn jetzt die wahren Gründe für den Rücktritt? Es ist die Rede von Gesundheit, aber es hat ja, wie schon gesagt, diesen Jagdausflug in Botswana gegeben, dann hat eine Korruptionsaffäre das Königshaus in Zwielicht gebracht, seine Tochter Cristina steht im Verdacht, in einen Finanzskandal mit ihrem Ehemann verwickelt zu sein. Also, warum dankt Juan Carlos wirklich ab?
Ingendaay: Es wird bisher natürlich spekuliert, weil, weder ist er bisher öffentlich aufgetreten, um überhaupt irgendwas zu sagen, das hat der Regierungschef verkündet. Noch wird er alle Gründe sagen, das ist auch ganz klar. Aber man kann sich das Ganze als eine Mischung denken. Einerseits, seine Gesundheit ist so angeschlagen, dass er bei seinem letzten großen Auftritt vor dem spanischen Volk, bei der Neujahrsansprache, da war er nicht mehr so gut, wie er mal vor Jahren war. Das war schon wirklich sehr schleppend und stotternd, die Rede, da sagte man, warum tut er sich das noch an, das war die eine Sache. Die andere ist, das Königshaus hat in den Umfragewerten doch stark gelitten in den letzten Jahren, aus guten Gründen, die haben Sie gerade genannt. Und Felipe ist da wirklich ein Symbol für den Neuanfang, er hält sich sehr distanziert von allen, die irgendwie als schwarze Schafe gelten könnten, sodass, glaube ich, der König über die Monate zu einer sehr vernünftigen Entscheidung gekommen ist.
Pokatzky: Und Felipe, also irgendwann mal Felipe VI., der hat wirklich eine blütenreine Weste?
Ingendaay: Blütenrein, wer ist das schon, unter uns gesagt, auf dieser Welt?
Pokatzky: Das wollen wir hier nicht vertiefen, unter uns Pastorentöchtern!
Ingendaay: Ich glaube, dass er sehr gut dasteht. Er hat wirklich auch eine Distanz markiert zu seiner Schwester Cristina, der zwei Jahre Älteren, gegen die ermittelt wird wegen auch Korruption im Zusammenhang ihres Mannes. Das heißt, er markiert die Distanzen immer da, wo es gefragt ist, wo es korrekt ist, seine Ehe mit einer Geschiedenen und Bürgerlichen ist prima, jetzt zehn Jahre Hochzeit. Er ist äußerst korrekt, bescheiden, tritt gut auf und er hat viel mehr politische Erfahrung, als die meisten wissen. Er ist wahrscheinlich der Politiker, der Lateinamerika am besten kennt von allen, er war bei allen Amtsübergaben dabei, seit 18 Jahren reist er durch die Welt, er war auch gerade wieder in El Salvador. Der Mann ist politisch viel beschlagener, als die meisten wissen.
Pokatzky: Also ähnlich wie die britische Queen im Commonwealth, die ja wirklich blütenrein ist, also, einen Menschen haben wir dann jetzt ... Aber ähnlich wie die britische Queen im Commonwealth ist der spanische König Oberhaupt der Organisation der iberoamerikanischen Staaten. Heißt das – Sie haben es eben schon gesagt –, dass von Felipe da auch neuer Aufbruch zu erwarten ist?
Ingendaay: Eigentlich ja. In Spanien ist es anders als im britischen Commonwealth ja nicht geschrieben. Es ist eher symbolisch und, um das mal mit einem alten Wort zu sagen, panhispanisch. Was Spanien tut, wird sehr beachtet, und man erwartet in Lateinamerika spanische Beachtung, spanischen Respekt und eine große Nähe, was Handel und andere Dinge betrifft. Kulturell ist die Nähe sehr groß. Von daher wird dort im Grunde ein großes Teilnehmen erwartet vom Prinzen und das wird er liefern. Das hat er in den letzten Jahren unermüdlich getan auf eine Weise, wie es der König gar nicht mehr konnte. Vergessen wir nicht: Juan Carlos hat in den letzten vier Jahren acht Operationen zu überstehen gehabt, nicht nur die Elefantenjagd, und er ist wirklich so angeschlagen, dass er nicht mehr im vollen Umfang die Amtsgeschäfte wahrnehmen kann.
"Ein guter Garant für die Demokratie"
Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur Paul Ingendaay, unser Kulturkorrespondent in Madrid zur Abdankung von König Juan Carlos. Herr Ingendaay, zum Helden der Demokratie wurde Juan Carlos ja am 24. Februar 1981, damals, als Franco-Militärs im Parlament ihren Putsch gestartet haben und der König daraufhin in Uniform seine Fernsehansprache gehalten hat, wo er sich zur Demokratie bekannt hat. War das damals wirklich so, dass er von Anfang an gegen die Putschisten war, oder hat das doch ein bisschen gedauert und er hat gezögert und sich entsprechend beraten lassen und dann gegen die Putschisten gestellt?
Ingendaay: Ja, die paar Stunden, auf die Sie gerade anspielen, sind in der Tat das Problem bei der Wertung dieser Ereignisse. Ich neige dazu, dass der König es im Wesentlichen richtig gemacht hat, ich will das Zögern oder Überlegen mal nicht in Rechnung stellen. Es gibt Verschwörungstheorien, die sagen, er habe zu lange gezögert. Dennoch meine ich, dass unterm Strich, nach dem, was wir wissen können, und nach dem, was die meisten Zeitzeugen sagen, die irgendwie Gewicht haben, steht er recht gut da. Und auch in Büchern und in literarischen Verarbeitungen ist seine Leistung gewürdigt. Ich meine, er war, seit er im Herbst 75 von Franco den Stab übernommen hat sozusagen, bis heute eigentlich ein guter Garant für die Demokratie.
Pokatzky: Ohne Juan Carlos hätten wir also nicht die Demokratie, die die Spanier heute haben?
Ingendaay: Es ist ganz schwer zu sagen, denn es hätte Hauen und Stechen geben können. Dass es vergleichsweise friedlich ging, dass es so ging, dass die Spanier übereinkamen, dieses zerstrittene und gespaltene Land zu einen für ein Projekt der Demokratie, ist eine große Leistung. Ich würde sagen, Juan Carlos I. und sein Ministerpräsident Adolfo Suárez, der in diesem Jahr gestorben ist, sind die beiden wichtigsten Faktoren für diesen Übergang.
Pokatzky: Und was bekommen Sie denn jetzt so mit in den letzten Stunden, wie in Spanien auf diese ja völlig überraschende Nachricht reagiert wurde?
Ingendaay: Wir haben jetzt in den letzten Stunden erst sozusagen diese ganzen Tweeds gesehen. Wir haben zum ersten Mal nicht die Zeitung morgens, die es meldet, sondern wir haben wirklich Internet und überall schwallen die Stimmen. Wir sehen, dass von den Rändern, Katalonien und Baskenland, Forderungen kommen, jetzt die Verfassung zu reformieren und den Rändern mehr Eigenrechte zu gewähren, das ist das eine. Es gibt Forderungen von der Linken, die sagen, bitte, einen König brauchen wir gar nicht mehr. Und es gibt einen großen Konsens in der bürgerlichen Mitte, die die stärkste ist, Dankbarkeit, Anerkennung und jetzt bitte normalen Übergang zu einem 46-jährigen neuen König, der heißen wird Felipe VI.
Vier Sprachen konkurrieren miteinander
Pokatzky: Verfassung reformieren, wenn Sie sagen, von den Rändern her: Da könnten jetzt auch Vergleiche kommen mit dem belgischen König, der dieses Land ja auch zusammenhält. Wie könnte denn da die Verfassung, wo diese Integrationsperson jetzt erst mal weg ist und wir natürlich nur jetzt auf Felipe bauen können, aber wie könnte denn die Verfassung da geändert werden?
Ingendaay: Das ist sehr haarig, weil ja diese historischen Autonomien in Spanien eine eigene Sprache haben. Also Baskenland, Katalonien, Galizien sind drei offizielle Sprachen plus dem Spanischen, wir haben also vier. Diese pochen doch auf mehr Eigenständigkeit. Und wie das im Rahmen einer Verfassung zu regeln ist, wie weit man gehen kann, Eigenrechte zu geben, wo aber der Senat, der etwa dem Bundesrat entsprechen würde, nicht so voll entwickelt ist, wie das etwa in Deutschland der Fall ist, das ist so schwierig und komplex und wäre für Verfassungstheoretiker eine enorme Aufgabe. Wenn denn der Wille überhaupt da wäre! Ich sehe aber leider auch im Zentrum eine Art von großspanischem Nationalismus, eine gewisse Hysterie, Spanien zusammenzuhalten, als ob das Land bedroht wäre, das sehe ich auch wiederum nicht. Ich sehe da so ein bisschen Heißblütigkeit im Verteidigen des eigenen und ich meine, man sollte erst mal das eine über die Bühne bringen und dann sich über die Verfassung beugen, wenn Felipe im Amt ist, auf dem Thron sitzt, sich über die Verfassung beugen, mal schauen, kann man mehr föderales System machen wie etwa in Deutschland? Das wäre für Spanien ganz gut.
Pokatzky: Juan Carlos Großvater Alfons XIII. ist nach 1931 im Exil durch halb Europa getingelt. Was macht Juan Carlos jetzt, wo setzt er sich zur Ruhe?
Ingendaay: Ja, der Zarzuela-Palast ist ein wenig außerhalb von Madrid, gar nicht weit weg von hier übrigens, in einem Dorf namens El Pardo, das ist im Nordwesten. Und er wird irgendwann dort ausziehen, damit Felipe einziehen kann. Felipe selber ist in einem kleineren Gebäude, aber auf demselben großen Gelände. Und wo er wirklich am Ende wohnen wird mit Sophia, das ist noch nicht bekannt. Es wird sehr interessant werden, wie er leben wird. Aber ich bin sicher, er wird als Elder Statesman sozusagen, als Elder King wird er große Beliebtheit genießen, weil er jetzt eigentlich auch, um es mal salopp zu sagen, keinen Schaden mehr anrichten kann.
Pokatzky: Dank an unseren Kulturkorrespondenten in Madrid, Paul Ingendaay! Gracias und adiós!
Ingendaay: Einen schönen Tag noch, Herr Pokatzky!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.